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Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos

Nein, so leicht und schnell wie sonst ist Peter Handke in seinem neuen Roman nicht zu entdecken. Schließlich hatte man sich ja schon daran gewöhnt, daß in der Mehrzahl seiner Bücher Helden auftraten, durch die hindurch man sogleich den Autor zu erkennen meinte. Doch nun in Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos hat sich auch das Bild vom Autor als Held verflüchtigt, nur gelegentlich flackert es kurz auf, kaum häufiger als Hitchcocks Gestalt in seinen Filmen.

Eberhard Falcke |
    Der Held des Buches ist eine Heldin und Handke hat getan, was er konnte, um sie nicht einfach als weibliche Stellvertreterin erscheinen zu lassen. Wobei natürlich einzurechnen ist, daß sich seine Fähigkeiten in der Darstellung anderer Charaktere in Grenzen halten. Doch immerhin. Die Dame ist das, was der Volksmund als "Powerfrau" bezeichnet, und auch sonst hat ihre Rolle etwas Beherrschendes. Sie verkörpert nicht nur den Inbegriff der emanzipierten Frau, will sagen: sie ist nicht nur Bankerin, Mutter, reich und abenteuertauglich, - sie hat darüberhinaus auch noch den Autor ihres Romans voll im Griff. Und zwar dergestalt, daß sie ihm den Auftrag erteilt hat, einen Roman über ihre Person zu verfassen. Nach ihren Regeln, versteht sich, die da wären:

    Dem Autor, den sie mit dem Buch über sie , ihre Unternehmungen und ihre Abenteuer beauftragt hatte, war es zugleich untersagt worden, Namen zu verwenden. Wenn es nicht anders ging, sollte er ihretwegen Ortsbezeichnungen einsetzen. [...] Der Kreis der Leser hätte, so oder so, allein der großen Geschichte zu folgen ...

    Trotzdem ist aus dem Roman, wie diese Sätze ahnen lassen, ein veritabler Handke geworden, was man, wenn schon nicht am Personal, dann doch unzweifelhaft am Erzählstil erkennt. Und natürlich daran, daß es hier wieder um die Synthese von Wandern, Schauen und Erzählen geht, also um das, was längst als Handkes Standardfabel gelten kann. Auch Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos handelt von einer Reise, wie der zweite Teil des Titels anzeigt. Sie führt die Heldin von ihrem Wohnort, einer - wie vereinbart - namenlosen nordwestlichen "Flußhafenstadt", in jene kastilische Sierra und weiter in die Mancha, wo ihr Vertragsautor lebt.

    So einfach und linear, wie das klingt, ist das Buch allerdings nicht aufgebaut. Vielmehr führt der Weg durch ein dermaßen vielgestaltiges und komplex angelegtes Erzählgelände, wie man es bei Handke bislang noch nicht antreffen konnte. Wie einen Themenpark hat er das Kernland des Romans, die Sierra de Gredos ausgestattet. Da fehlt fast nichts, was ihn in den letzten Jahren beschäftigt und bewegt hat, von den Balkankriegen bis zu den in seinen Augen ewig ärgerlichen Medien, von der Qualität der Äpfel bis zu den Zumutungen des gesellschaftlichen Lebens. Neu dagegen, jedenfalls als zentrales Thema, ist der "Bildverlust". Er führt, so läßt sich der Begriff verstehen, zur Verarmung der Menschen, weil er sie im inflationären Bilderdschungel der Medien aller wahrhaften und substantiellen Bilder beraubt.

    Die Heldin allerdings besitzt noch einen Bildervorrat, welcher ihr Kraft verleiht. Um ihre Kraft und ihre Bilder zu erproben, zieht sie aus, auf der Suche nach Abenteuern. Dabei legt ihr Reiseziel, die Heimat des Don Quijote, den Gedanken nahe, daß sie beim Kampf um die eigenen Bilder mit dem Ritter von der traurigen Gestalt etwas gemeinsam hat. Und natürlich schließen daran noch weitere Verweise und Parallelen an. Zum Beispiel der hochgemute Wunsch der "Finanzweltmeisterin" und "Königin der Jetztzeit", wie die Heldin auch tituliert wird, daß sie lieber einen Cervantes als Erzähler angeheuert hätte. Entsprechend ist ihr Abenteurertum nicht ganz von dieser, unserer gegenwärtigen Welt.

    Bedrohung, Gefahr, Ausgesetztheit: es gab Zeiten, da man nur so, als mehr oder weniger notgedrungene Abenteurerin, sich draußen in der Wirklichkeit erlebte? Und nun fand sie sich unversehens wieder in so einer Zeit (die zwischendurch in Vergessenheit geraten, in Sagenhaftigkeit entrückt war) - endlich wieder. Heroisches Leben? Ab jetzt nur noch heroisches Leben! (Wir werden sehen.) Sie schwang sich den Sack auf den Rücken und hatte nun beide Hände frei. Und sie steckte sich eine der Federn aus dem Gürtel an den Hut.

    Gewiss: Man muss sehen, wohin Handke auf seiner neuesten Erzählexpedition mit dieser Abenteurerin und den Seitenblicken auf Cervantes kommt. Auf jeden Fall aber hat er sich - das wird schnell deutlich - mit diesem erzählerischen Ansatz einige neue Möglichkeiten eröffnet und einige alte Schwierigkeiten seines Schreibens reduziert.

    Schließlich hat es ja eine seltsame Bewandtnis mit diesem Autor. Unzufrieden mit der Welt, so wie sie ist, betreibt er Formen der Weltbetrachtung, aus denen er zumindest poetische Hoffnungszeichen ablesen kann. Dabei gerät er oft und kaum ganz unfreiwillig in die Rolle eines rechthaberischen Weisen, der den Zeitgenossen die Leviten liest. Daß er dafür Kritik kassiert, hat seine Richtigkeit. Dennoch ist Handke - auch wenn sein Habitus das nicht immer leicht erkennen läßt - ein Schriftsteller, für den Zweifel und Reflexion immer von größter Bedeutung waren. Sein ganzes Werk stellt nichts anderes dar als einen absolut kritischen Selbstverständigungsprozess über die Begründung von Literatur, die Rechtfertigung des Schreibens, den Sinn und die Möglichkeiten des Erzählens. Gerade bei ihm, der stets so ostentativ und provozierend im Erzählen das Heil sucht, ist kaum ein poetologisches Konzept heil geblieben. Und auch der neue Roman vermeldet ja bereits im Titel einen für Kunst und Poesie katastrophalen Befund: den "Bildverlust".

    Anders allerdings als auf- und abgeklärte Zeitgenossen es gemeinhin zu tun pflegen, reagierte Handke auf solche Verluste mit zornigen Schuldzuweisungen und dem Versuch, das Verlorene zu rekonstruieren. So bot er vielen das höchst ungewöhnliche Doppelgesicht eines Schwarmgeistes und Wüterichs, eine Kreuzung, die ihm sogar unter seinesgleichen den Status des Sonderlings verschaffte. Gerade dieses ambivalente Rollenbild jedoch, das ja meist auch auf die Texte selber durchschlug, erscheint nun angesichts des neuen Romans wie weggewischt und aufgehoben. Die selbstsicher-ausgeglichene Heldin vertritt Handkes weltfrommen Enthusiasmus ganz ohne seinen notorischen Ingrimm. Und aus der vielfachen Bezugnahme auf "Don Quijote" sprechen sogar Humor und Selbstironie. Schließlich handelt es sich dabei um die berühmteste Sonderlingsgeschichte der Weltliteratur. In einer solchen Tradition darf ein poetischer Geist auch das tun, was Handke immer die größten Schwierigkeiten bereitet hat: Er darf scheitern. Außerdem weht von Cervantes ein Wind der erzählerischen Freiheit und der auktorialen Spielfreude herüber, der im "Bildverlust" den Erzählstil lockert und für alle möglichen Volten biegsam macht.

    So weit, so gut. Hier liegen die Vorzüge, Überraschungen und neuen Aspekte des jüngsten Handke-Werkes. Trotzdem bleibt bei dieser erzählerischen Langstrecke noch viel Platz für Probleme. Denn die abenteuerlustige Heldin muß ein Gelände durchqueren, das es wahrlich in sich hat. Dort findet sie nichts geringeres vor als eine Landschaft der Parabeln, der historischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen, der unterschiedlichsten Motive, der Naturschilderungen und auch der eigenen Lebensfragmente. Mit anderen Worten: Die Sierra de Gredos, die sie durchwandert, ist ein hochgradig hermetisches Gelände, eine ganze Welt im kleinen. Darin begegnet man Vorgängen, Gegebenheiten und Phänomenen, die aus der Geschichte der Gegenwart wohlbekannt sind. Den grassierenden Regional- und Bürgerkriegen zum Beispiel, von denen ein Klima der allgemeinen Unsicherheit und Destruktivität ausgeht. Überhaupt herrscht viel Feindschaft und Mißgunst unter den Menschen in der Zone um die Stadt Nuevo Bazar, wo die Abenteurerin ihren ersten Aufenthalt nimmt. Unschwer läßt sich in diesem Nuevo Bazar ein Bild der Europäischen Gemeinschaft erkennen und zwar ein Schreckbild: Dort strömen Entwurzelte verschiedenster Nationaliäten zusammen, und es regiert der Kommerz, während bei den Menschen vornehmlich die negativen Eigenschaften gedeihen.

    Das eine Volk, auf dem Boden des anderen Volkes, führt sich dort umso mehr auf wie auf eigenem Boden, im Sinn von umso schlimmer - unvergleichlich und ausschließlich schlimm -, denn dort, jenseits der früheren Grenzen, das ist zwar nicht unser Volk, aber es ist, seit dem Wegfall der Grenzen, unser Boden. Unser Boden? unser Auslauf, unser Wälz- und Suhlgelände, unser Ersatzkriegsschauplatz. Würden die einzelnen Völker der Zone diese nämlich als ihren Boden erachten, käme da doch wenigstens hin und wieder noch eine ihrer aller guten Eigenschaften zutage.

    Auch hier also streitet und hadert Handke in seiner, wie stets, abenteuerlichen Syntax mit den Zeitumständen, denen er, wie es seine Art ist, ganz andere Diagnosen ausstellt als sie gemeinhin kursieren. Zugleich betreibt er damit allerdings ein ironisches Versteckspiel, indem er derlei bedenkliche Ausführungen einem obskuren Privathistoriker zuschreibt.

    Trotzdem ist die Leichtigkeit des Erzählens in diesem Roman nicht die Regel. Zu viel, vor allem zu viel Disparates findet sich in dem erzählerisch zu durchquerenden Territorium aufgehäuft. Zudem muß es einigermaßen unglaubwürdig erscheinen, wie zielstrebig und ungerührt sich die Heldin durch all die mehr oder weniger gut zu entziffernden Zeitzeichen hindurchbewegt. Sicher ist immerhin, daß ihre Expedition in der Zukunft stattfindet, womit der Entwurfscharakter dieser erzählerischen Welt- und Selbstsuche unterstrichen werden soll. Doch dann tun sich sonderbare Widersprüche auf. Einerseits hat diese Zukunft allerlei utopische Züge, unter denen Versöhnung und Friede und ein menschen- und weltfreundliches Wirtschaften an erster Stelle stehen. Andererseits werden solche Vorstellungen durch das feindselige Treiben aller gegen alle dementiert. Mag sein, daß sich für derlei Aporien eine Auflösung finden ließe. Doch mit Sicherheit wäre sie dann tief verborgen und es mangelte ihr an Evidenz. Eine Ursache dafür ist, daß Handkes Neu- und Umschreibung der Welt zuweilen stark zur Geheimwissenschaft tendiert, bei der sich Logik und Willkür, Transparenz und Obskurität ganz alchimistisch zu vermischen scheinen. Was die Klarheit nicht befördert. Ziemlich dichter Formulierungsnebel liegt denn auch über dem zentralen Ort der fiktiven Sierra de Gredos, einem Dorf in einer Gletschermulde. Dorthin haben sich jene zurückgezogen, denen der "Bildverlust" schon das Leben verdorben hat. Sie sind entwurzelt, krank und häßlich, weil ihnen die orientierenden Bilder von sich und der Welt verloren gegangen sind. Nun versuchen sie sich zu kurieren, indem sie alles anders machen als es im zerstörerischen Medienalltag, vor dem sie geflüchtet sind, üblich war.

    Ja, es handelte sich in Pedrada-Hondareda um ein Wirtschaften als ein Imaginieren und zum-Glänzen-Bringen und ins-rechte-Licht-Rücken dessen, was da war. Und dazu paßte auch, daß das Lassen und Unterlassen fürs erste etwas Fruchtbareres war als das Tun; und daß das Wort ‚Inspiration' bei solcher neuartiger Wirtschaft erst einmal fast nur Sinn hatte für Sachen, die es so notwendig wie gut war zu unterlassen.

    Unschwer erkennt man darin die Handke-Therapie für die poetische Erneuerung der Welt. In diesem Fall allerdings gibt es keine positive Heilungsprognose. Dennoch wird das Verhalten dieser hoffnungslosen Flüchtlinge mit einer Ausführlichkeit, Hingabe und kasuistischen Detailliertheit beschrieben - man könnte fast sagen: durchbuchstabiert - als wären von ihnen doch noch esoterische Wegweisungen zum Heil zu erwarten. In derartigen endlosen Passagen verkehrt sich die Erzählexpedition nicht nur einmal in ein stockendes Exerzitium.

    Handke erzählt mit Bedacht umständlich, er verweigert sich der Geläufigkeit fertiger Wendungen und Bezeichnungen, er benennt neu und um und befragt immer wieder seine Sätze. Das alles gehört zu seiner höchsteigenen Methode eines ständig sich selbst begründenden und vorantragenden Erzählens. Insofern ist das Buch ein Meta-Roman, der sein Entstehen mit erzählt. Sogar die Heldin hat, ganz Geschöpf ihres Autors, dieses Verfahren zur Vertragsbedingung gemacht. Sie will eine sich selbst erzählende Geschichte und noch mehr:

    Und du weißt ja: mich erzähltwerden spüren, das Einzige - mein einziger Maßstab. Und dazu muß, muß ich mich aussetzen.

    Wenn Handke den Bleistift aufs Papier setzt, dann geht es ihm nicht primär um eine Welt die bereits existiert, sondern um eine, die es zu erfinden gilt, sei es als Gegenwelt, als utopische Enklave oder als narratives Konzentrat, in dem das Reale einer poetischen Verwandlung und Verdichtung unterworfen wird. "Phantasie: Krone der Vernunft", heißt es am Schluß, als wärs ein letzter Segenspruch.

    Aus diesem Schreibprogramm entstehen sowohl fesselnde, zuweilen hochprägnante Textstrecken als auch andere, die sich eher in tautologischen Windungen dahinschleppen. Überhaupt sind die Wagnisse in dieser Prosa häufiger als die triftigen Wendungen. Solche Ambivalenzen gehören schlichtweg zu Handkes Handschrift. Hier allerdings fordern sie einen größeren Tribut als sonst.

    Immerhin ist es doch bedenklich, wenn das titelgebende Zentralmotiv des "Bildverlustes" den professionellen Lesern des Romans vorwiegend gleichgültig oder gar rätselhaft geblieben ist. Dabei verdient diese Problematik, die dem Buch ja immerhin als Mittelachse dient, brennendes Interesse. Tatsächlich aber bleibt die Idee des Bildverlustes, so wie sie im Roman formuliert und ausgebreitet wird, ein wenig nebulos. Gewiß: Daß es dabei um die mediale Inflationierung des Bildmaterials geht, das wird schnell begreiflich. Daß die Bilder für das Bewußtsein des Individuums von Bedeutung sind, daß sie seine Identität mit ausfüllen und formen - das kann man noch ahnen. Doch derlei Begründungen interessieren den Erzähler kaum. Er visiert sogleich die poetisch-magische Funktion der Bilder an und stattet seine Heldin mit genau jenen Handke-Bildern aus, die er auf seinen Wanderungen immer wieder eingesammelt und beschrieben hat. Sein Prosabändchen "Noch einmal für Thukydides" von 1990 war allein ihnen gewidmet. In diesem Roman verzeichnet schon der Klappentext ein ganze Liste davon.

    Der Flug der Abenteurerin südwärts. Das Nachmahl bei Tordesillas. Der Morgen mit den Arbeitern im balkanischen Hof. Der Steinmetz und die Errötende. Die Quellen des río Tormes ... Solche Bilder kamen ihr täglich, vor allem morgendlich. Sie lebte von ihnen, bezog aus ihnen ihr stärkstes Daseinsgefühl. [...] Wie wirkten die Bilder? Sie erhöhten ihr den Tag. Sie bekräftigten ihr die Gegenwart. Sie lebte von ihnen: das hieß auch, sie benutzte und nutzte sie. Sie verwendete sie sogar für ihre Arbeit; ihre Unternehmungen; ihre Geschäfte. Wenn sie so, beinahe sagenhaft, bei der jeweiligen Sache sein konnte, mit einer ‚zauberischen Geistesgegenwart im entscheidenden Moment', [...] dann verdankte sie das dem Eingriff ihrer Bilder in ihren Arbeitstag.

    Die Bilder sind ihr ein Kraftquell, auch eine Waffe, weil sie in Konfrontationen Stärke verleihen, nämlich die Stärke eines umfassenderen Bewußtseins gegenüber einem Gegner, der nur engen Zweckbestimmungen gehorcht. Noch größere Bedeutung wird jedoch ihrer magischen Funktion zugemessen, ihrem heilsamen visionären Gehalt.

    Denn die Bilder handelten ja jedesmal, wie gesetzmäßig, von Orten, wo ihr eine Einheit oder Harmonie zuteil geworden war. Nicht daß jene Gegenden ‚schön', ‚lieblich' oder gar ‚pittoresk' waren, zählte für ihre spätere Bildsamkeit; vielmehr mußten sie, ohne dein Wissen, in dich eine Fährte eingedrückt haben, aus welcher sich dir später einmal unversehens und unverhofft eine Welt im Frieden, eine ganze Welt im immer noch möglichen Frieden, oder eben jenes ‚Gehege der größeren Zeit' abgezeichnet haben wird.

    Dennoch müssen aufgeklärte Geister nicht sogleich befürchten, Handke wolle ihnen wieder einmal völlig Ungenießbares unterjubeln. Ausdrücklich betont er, um Missverständnissen vorzubeugen, daß seine Bilder nichts zu tun hätten mit Religion oder irdischer Heilslehre [23].

    Nur hatte noch niemand so recht von solcherart Bildern erzählen können? Es auch nicht so weltbedeutend wie sie gefunden? Es auch nicht gewagt?

    Handke mit seiner Abenteurerin hat es gewagt. Nur hätte er etwas deutlicher werden sollen. Dennoch kommt ihm das Verdienst zu, eine brisante Frage neu gestellt zu haben: Nämlich, was es heißt, wenn die Intensität, Ausdruckskraft, Bedeutsamkeit und vor allem das poetische Potential der Bilder auf dem Spiel stehen. Die inflationäre mediale Vermehrung und Abnutzung der Bilder muß unweigerlich ihre Substanz nivellieren, wenn nicht zerstören. Was das für Folgen haben kann für das Bewußtsein ebenso wie für Kunst und Literatur, das läßt sich noch kaum ermessen. Wer Handke in diesem Punkt, wie geschehen, banale Medienkritik vorwirft, der verkennt die Dimensionen dieser Problematik.

    Ist dieser Roman also trotz der genannten Einwände ein großer Wurf, vielleicht sogar - jedenfalls für den Moment - eine Summe des Handkeschen Werks? Nicht unbedingt. Sehr wohl ist er jedoch wieder ein riskantes Stück absolut charakteristischer Handkescher Erzählarbeit. Und diese ist ja gekennzeichnet durch ein tastendes, fragendes, schrittweise vordringendes Schreiben, das eben nicht nur von Wanderungen und Expeditionen erzählt, sondern diesen mit ihren Unwägbarkeiten auch nachgebildet ist. Insofern ist auch "Der Bildverlust" ein Versuch. Und wie bei jedem Vorstoß ins Ungebahnte vermag das Unternehmen insgesamt und in einigen Teilen zu faszinieren, ohne daß dies deshalb auch für jeden Schritt und jede Kurve gelten muß. Mit anderen Worten: Handkes neues Werk ist ein angreifbarer Roman aber ein außerordentliches und beachtenswertes Schreibprojekt.