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Der Blessgans auf der Spur

Der Vogelkundler Helmut Kruckenberg aus Verden an der Aller erforscht am Ladogasee in Russisch-Karelien die Wanderrouten der arktischen Blessgänse. Die Tiere ändern häufig ihre Zugrouten. Derzeit sind sie auf dem Heimweg in die arktischen Brutgebiete.

Von Kai Toss | 29.06.2006
    Jeder Klick mit dem Zählgerät bedeutet zehn erfasste Blessgänse. Rund 20.000 rastende Tiere haben die fünf Vogelkundler um den Biologen Dr. Helmut Kruckenberg am Ladogasee bei Olonetz gezählt. Der mit 18.000 Quadratkilometern größte See in Europa dient den am Niederrhein und in Niedersachsen überwinternden Blessgänsen als wichtiges Rastgebiet, bevor sich die Tiere in den arktischen Brutgebieten verteilen. In den vergangenen Jahren hat Helmut Kruckenberg 8000 Gänse mit Halsringen mit individuellen Buchstaben- und Zahlencodes markiert.

    Wie viele markierte Gänse, halten sich am Ladogasee auf? Später werden die Wissenschaftler hochrechnen, wie viele Tiere insgesamt den See als Rastplatz nutzen. Mit speziellen Fernrohren streifen sie im Auto durch das Gebiet. Helmut Kruckenberg wird fündig.

    "Das sind K70 und K65. Ich glaube, die sind diesen Winter auch schon mehrfach gesehen worden. Wir wollen jetzt überprüfen, ob das, was die freiwilligen Beobachter in Friesland und am Niederrhein gesehen haben, an Anzahl Jungvögel beispielsweise, ob wir das hier auch noch feststellen können, also ob die die Jungen noch dabei haben."

    Insgesamt 35 Tiere haben die Ornithologen bisher am Ladogasee entdeckt. Da in Deutschland und den Niederlanden zahlreiche Hobby-Vogelkundler den Forschern Daten von abgelesenen markierten Gänsen liefern, wissen die Experten sehr genau, wo die Tiere überwintern. Wie sie dann aber in die arktischen Brutgebiete fliegen, ist weitestgehend unklar. Erstmals wurden deshalb im vergangenen Winter in Holland mehrere Blessgänse mit Satellitensendern ausgerüstet. Überrascht sind die Vogelkundler von einem Tier, das über die Ukraine geflogen ist und somit einen großen Umweg in Kauf genommen hat. Zwei weitere Blessgänse hingegen sind im Baltikum unterwegs, auf dem vorhergesagten Weg, Richtung Russland, Ladogasee.

    Während die Tiere in Niedersachsen und am Niederrhein nicht bejagt werden, gilt die Gänsejagd in Russland als großer Spaß. "Wir kommen hier jedes Jahr her", sagt Hobbyjäger Alexej. "Während der zehn Tage dauernden Jagdzeit entspannen wir uns von unserer harten Arbeit. Wir kommen hier aus dem ganzen Land her, und wir machen einfach nur Urlaub."

    Der Jagddruck ist enorm hoch, dies ist eine der Erkenntnisse der Ladogaexpedition. 600 Schuss haben die Forscher in einem kleinen Gebiet in nur zwei Stunden gezählt. Sogar auf den Schlafflächen im Moor werden die Vögel beschossen, kommen nicht zur Ruhe. Viele Tiere werden auch illegal bejagt. Ein weiteres Problem: In Russland werden im Frühjahr die Wiesen abgebrannt, damit die Flächen nicht verbuschen und weiterhin als Grünland genutzt werden können. Dabei kommt es regelmäßig zu Bränden, drei Häuser seien in den vergangenen Tagen zerstört worden, berichtet der Expeditionsteilnehmer Dr. Christoph Zöckler. Er arbeitet für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen.

    "Das war schon erschütternd. Ich habe schon öfters gedacht, dass wenn diese Felder abgebrannt werden, es ist ja nicht nur draußen, das machen die ja auch im Vorgarten, dass da möglicherweise auch was passieren kann. Wenn man dann sieht, dass dann tatsächlich so ein Haus abbrennt, einfach nur durch reine Unvernunft."

    Die Wissenschaftler aus Deutschland wollen sich nun mit ihren russischen Kollegen und mit Politikern regelmäßig austauschen, Ziel ist es, Alternativen zum Abbrennen der Grünflächen und zur Jagd zu erarbeiten, beispielsweise durch Naturtourismus: Gänse als Attraktion und Einnahmequelle. Die Zugvogelforschung des Teams wird privat bezahlt, von einem Verein, dem Vogelschutzkomitee. Obwohl die Zugvögel immer wieder von einigen Wissenschaftlern und von Politikern als mögliche Überträger von H5N1 betrachtet werden, werde die Zugvogelforschung vom Staat kaum finanziert, ärgert sich Dr. Johan Mooij, von der Biologischen Station im Kreis Wesel am Niederrhein. Er hält die Geflügelindustrie für den Überträger.

    "Da gibt es Transporte von Eiern, von Futtermitteln, aber auch von Menschen, die zwischen einzelnen Züchtungen hin und her laufen und es dann verschleppen können. Für Südostasien ist es eindeutig belegt."

    Johann Mooij, Helmut Kruckenberg und die anderen Vogelkundler werden weiterhin die Zugrouten der Blessgänse erforschen. Im Sommer startet die nächste Expedition, in die arktischen Brutgebiete nach Kolgujev . Begleitet werden sie dann von Myriaden von Mücken.
    Ein Jäger am Ladogasee in Russland zeigt eine geschossene Blessgans.
    Ein Jäger zeigt eine geschossene Blessgans. (Kai Toss)