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Der Blick der Moderne

Das Schwierige an der Architektur ist die Fotografie. Da muss um die richtige Perspektive gerungen und die optimalen Lichtverhältnisse abgewartet werden. Da werden Vorstudien mit der Kleinbildkamera gemacht und dann, wenn es zur Sache gehen soll, kommen Leute, die das Objekt der Begierde bewohnen oder sonst wie benutzen. Kaum tritt ein Mensch ins Bild, wird der Bau Kulisse. Fotografie reduziert die Architektur zum Bild - wie eine Ausstellung im Vitra Design Museum jetzt zeigt.

Von Christian Gampert | 15.03.2005
    Es ist leider wahr: Das Bild, das wir uns von der modernen Architektur machen, basiert meist nicht auf eigener Anschauung, sondern auf Fotos. Zwar mag man schon einmal in Ronchamp gewesen sein oder in der Weißenhof-Siedlung, aber die meisten Bauten kennen wir aus Fotobänden und Architekturgeschichten, zum Beispiel aus dem Klassiker von Siegfried Giedeon.

    Anders als die Abbildung von Ölgemälden, die farblich mehr oder weniger gut reproduziert werden, ist die Fotografie eines Gebäudes aber immer schon dessen Interpretation. Die Art und Weise, wie der (übrigens meist anonyme) Fotograf Architektur in Szene setzt, präformiert unsere Wahrnehmung von Bauten, also von räumlichen (!) Lösungen, in denen man sich eigentlich aufhalten, die man benutzen soll und deren Bewertung sich normalerweise aus deren Gebrauch ergibt.

    Die Ausstellung des Vitra Design Museums rückt diese Widersprüche in den Blick, indem sie einen fotografischen Katalog der Moderne mit Architektur-Modellen und Design-Objekten, Wohnobjekten konfrontiert - und nebenbei zeigt, dass diese Fotos aus den 1920iger bis 1950iger Jahren auch ideologisches Propagandamaterial waren: Ikonographie des Funktionalismus. Das Museum, das mit Klassikern wie Stahlrohrmöbeln, drehbaren Bürositzen der Firma Montecatini, Freischwingern, Zigzag-Stühlen von Gerrit Rietveld oder Alvar Aaltos Armsessel für ein finnisches Sanatorium aufwartet, kann diese Ausstellung aber nur dank der immensen Vorarbeit anderer veranstalten. Der italienische Architekt Alberto Sartoris nämlich, Erfinder der Axonometrie, einer Synthese Grundriß, Schnitt und räumlicher Ansicht, hat zwischen 1932 und 1957 mehrere dickleibige Foto-Sammelbände veröffentlicht: "Gli elementi dell’architettura funzionale" und "Introduzione alla architettura moderna" sind Bild-Bibeln der Moderne, und die "Archives de la Construction Moderne" der École Polytechnique de Lausanne haben das Original-Material jetzt wunderbar aufbereitet. War der Fotograf nun Sklave oder eher Partner des Architekten? Der Direktor dieser Archives, Pierre Frey, benennt die Spannweite solcher Zusammenarbeit:

    "In gewissen Fällen weiß man von langen Zusammenarbeiten von Architekten und Fotografen - der Fall von Luis Barragán und Armando Salas Portugal ist bekannt. Salas Portugal war zum Teil sogar dabei, bevor Barragán seine Entwürfe machte. Auf der anderen Seite findet man Le Corbusier, der über seine Fotografen eine sehr strenge Kontrolle ausübte und sie als Fußvolk betrachtete, die Bilder herzustellen und einfach einen Auftrag auszuführen hatten."

    Die monumentalgeometrischen, in freie Landschaft gesetzten Bühnen des mexikanischen Architekten Luis Barragan werden von Armando Salas Portugal scheinbar nur wegen ihrer Schattenspiele abgebildet oder wegen der Möglichkeit, dahinter die am Himmel dahintreibenden Wolkenfelder effektvoll zu inszenieren. Le Corbusiers leibeigene Fotografen dagegen legen die Models wie Puppen auf die verstellbaren Liegen und bevorzugen eine eher auf Gefälligkeit setzende Schrägsicht in die Innenräume.

    Die Ausstellung ist in Sachgebiete aufgeteilt: größtes Experimentierfeld ist die Villa, das Privathaus - hier reicht das Spektrum von William Everitts vollverglast-schwungvoller kalifornischer Sommerresidenz bis zum bulligen Wohn-Atelier, das Juan O’Gorman für Diego Rivera in Mexiko gebaut hat. Das kubische Entwerfen der 20iger und 30iger Jahre steht im Mittelpunkt, auch bei den Zweckbauten, bei Hans Scharouns langgestrecktem Breslauer Junggesellen-Wohnheim von 1929, das man auch im Modell sieht, oder bei seiner Berliner Arbeiter-Siedlung Siemensstadt Anfang der 30iger Jahre, deren Blöcke und Läden übrigens von Arthur Köster mit viel Sinn für die städteplanerische Gesamtkomposition ins Bild gebracht werden.

    Die poetischsten Lösungen gibt es dann bei den Sakralbauten, die ja eine Verbindung zu höheren Sphären aufzunehmen haben: Johannes Brinkmanns ovaler Amsterdamer Theosophen-Tempel, der offene Glockenturm der Basler Johanneskirche von Ernst Burckardt, Juan Madalenos Kapelle, deren weiße Wände von Eisenträgern wie von Nägeln durchstoßen werden.

    Verwaltungsgebäude wurden moderneren Architekten erst ab etwa 1940 anvertraut - auch da die ganze Palette von Eklektizismus bis zum radikalen Formwillen: Art Deco beim Londoner Daily Express-Redaktionshaus, auf den Fotos wirkungsvoll in die Höhe fliehender Monumentalismus in Amerika, sozialistische Normierung bei tschechischen Pensionszentralkassen.

    Ziemlich eng ist übrigens die Beziehung, die der italienische Faschismus zur Moderne unterhielt: die Flugzeughallen des Pier Luigi Nervi, die Kindergärten des Guiseppe Terragni, das "Haus der italienischen Jugend" von Agnoldomenico Pico von 1939 werden dann auch mit demselben Heroismus, derselben Emphase fotografiert, die auch die Gebäude bestimmen.

    Eines aber ist all den gezeigten Architekturfotos gemeinsam: Menschen kommen auf ihnen nicht vor. Offenbar sind diese Häuser nur für sich selber da. Werch ein Illtum.