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Der Blick geht Richtung Rassismus

Der Fußball soll zur EM 2012 in Polen und der Ukraine im Mittelpunkt stehen. Doch seine politischen Begleiterscheinungen sorgen für Diskussionen um Sicherheit und Fairness. Rassismus und Gewalt in Fußballstadien kennt auch der polnische Fußball. Die Organisation Nigdy Wiecej stellt sich dagegen.

Von Tilo Mahn | 17.03.2012
    Der Weg zum Widerstand führt durch mehrere Hinterhöfe in der Warschauer Innenstadt. Die Zentrale von "Nigdy Wiecej", auf Deutsch "Nie wieder", liegt zurückversetzt von der Straße in einer geräumigen Altbauwohnung. Von hier aus kämpft Rafal Pankowski gegen Rassismus in seinem Land.

    "Wir nutzen den Fußball als ein Mittel, den Leuten die Augen zu öffnen, speziell den jungen Leuten. Das ist es, was wir mit dem Projekt versuchen. Daher ist die Europameisterschaft eine gute Sache, weil sie die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht."

    Seit Mitte der neunziger Jahre widmet sich eine kleine Gruppe von Polen einem Problem, das durch die Europameisterschaft im eigenen Land neue Bedeutung bekommt. Die Mitglieder von Nigdy Wiecej verfolgen Rassismus und Gewalt im Fußball mit Studien und Aufklärungsarbeit. Nigdy Wiecej arbeitet weltweit mit anderen Anti-Rassismus-Organisationen zusammen. In Polen dominieren meist männliche Fans den Klubfußball auf den Rängen. Einige von ihnen, um ihrer Frustration über gesellschaftliche Zustände freien Lauf zu lassen. Solche Randerscheinungen im Fußball gibt es in jedem Land. Doch in Polen beobachtet Rafal Pankowski von Nigdy Wiecej häufig ein Totschweigen des Problems.

    "Natürlich ist Polen mit Blick auf die Geschichte ein Opfer des Faschismus gewesen. Doch das bedeutet leider nicht, dass es dieses Problem hierzulande nicht gibt. Und die Existenz dieser Problematik anzuerkennen ist bereits ein Schritt, um damit umzugehen. Auf jeder Ebene und in jedem Bereich. Daher glauben wir, dass es wichtig ist, dies öffentlich zu machen und öffentlich zu diskutieren."

    In Polen gibt es enge Verbindungen von einzelnen Fußballfangruppen zu rechts orientierten politischen Parteien. Anhänger der Partei Nationale Wiedergeburt, NOP, verkünden auf Bannern, Flugblättern und mit Parolen im Stadion ihre Meinung. Diese Fans sind Minderheiten, doch geben sie ein Bild wieder, das sich Polen vor der Europameisterschaft nicht erlauben kann.

    "Viele Polen würden nie zu einem Fußballspiel gehen, weil sie es für gefährlich halten. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Ligaspielen mit den polnischen Klubmannschaften und der Europameisterschaft. Auch in Bezug auf die Sicherheit."

    Für ein sicheres EM-Turnier beobachtet die polnische Polizei schon im Vorfeld verdächtige Fans, Kameras in den Stadien überwachen die Zuschauer. Doch die enge Verbindung einiger Hooligans zu rassistischen Motiven kann die Polizei nur schwer unterbinden. "Kickt den Rassismus aus den Stadien" fordern daher die Mitglieder von Nigdy Wiecej. Seminare an Schulen, Gespräche mit Lehrern, multikulturelle Fußballturniere und eine enge Zusammenarbeit mit Fangruppen in Warschau und ganz Polen – Rafal Pankowski und seine Kollegen wollen alle Beteiligten des Fußballs erreichen und erziehen. Um frühzeitig zu verhindern, dass antisemitische Parolen der arischen Horde oder rassistische Beschimpfungen gegenüber farbigen Spielern den Weg ins Stadion finden. Egal ob in Polen oder der Ukraine oder anderswo.

    "In vielerlei Hinsicht sind die Probleme in beiden Ländern ähnlich. Die Ukraine ist vielleicht ein bisschen komplexer zu erfassen aufgrund der starken regionalen Unterschiede. Aber die meisten Probleme, auf die wir stoßen, sind wirklich vergleichbar."

    Um den kleinen radikalen Splittergruppen entgegen zu wirken, wollen Polen und die Ukraine auch auf die Erfahrungen anderer Länder zurückgreifen. Auch deutsche Polizisten sollen helfen, Gewalt und Rassismus in polnischen und ukrainischen Stadien zu verhindern. Mathias Brandt von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit berät die Gastgeberländer in ihrer Organisation vor Ort.

    "Die Art und Weise, wie die Polizei sich auf die Fans vorbereitet, das ist schon ein ganz enormes Thema. Wir hoffen und beten und arbeiten auch ein bisschen darauf hin, dass die Ukrainer da auch taktisch ein bisschen von den Kollegen aus Europa lernen. Bis hin, dass wir Polizisten aus Deutschland hier im Einsatz haben."

    Nigdy Wiecej will nachhaltiger arbeiten und früher eingreifen. In Polen sind im ganzen Land kleine Kunstrasenplätze entstanden, auf denen Jugendliche in ihrer Freizeit Fußball spielen können. Das Projekt heißt "Orliki", "Adler", und ist ein Versuch der polnischen Regierung, Verständigung durch Sport unter Jugendlichen zu fördern. Rafal Pankowski geht die Initiative noch nicht weit genug.

    "Und wenn die Infrastruktur gebaut ist: Wie nutzt man sie? Nutzt man sie nur, um Kindern beizubringen, wie man gegen einen Ball tritt? Wir glauben, dass das nicht ausreicht. Unserer Meinung nach sollte das einen sozialen Einfluss haben und genutzt werden, um den Kindern auch ganz andere Dinge beizubringen. Diese Fußballfelder sind wichtig als Gemeinschaftszentren und damit eine ausgezeichnete Möglichkeit, um jungen Leuten eine soziale Botschaft zukommen zu lassen."

    Wegen seines Engagements ist Rafal Pankowski selbst schon bedroht worden. Sein Name findet sich auf Listen der rechtsextremen Organisation Blood and Honour in Polen wieder. Rafal Pankowski sieht seine Arbeit auch als Gradwanderung.

    "Wenn Dinge in einer Weise berichtet werden, die sie interessant erscheinen lassen für Rechtsextreme, kann das natürlich einen falschen Effekt haben. Wir denken aber genauso, dass es wichtig ist, überhaupt darüber zu berichten, in verantwortlicher Art und Weise. Wir sind auch sicher, dass eines der Probleme, die wir hier antreffen, das vollkommene Verleugnen der Existenz von Rassismus und rechtsextremen Bewegungen ist."

    Wenn zur Europameisterschaft im Juni alle Augen auf den Fußball gerichtet sind, hofft Rafal Pankowski, dass niemand die Augen vor den Problemen seines Landes verschließt. Vielmehr jedoch hofft er, dass es dann zum Turnier keine Gewalt und Rassismus, sondern nur Fußball zu sehen gibt.