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Der Blick hinter den Vordergrund

Hochschule für Gestaltung Ulm 1953-1968. Aus ihr gingen nicht nur Design-Legenden hervor, wie der sogenannte ‚Schneewittchen-Sarg', eine Radio-Phono-Kombination, die Hans Gugelot 1956 für die Firma Braun entwarf. Die Ulmer Hochschule stand zugleich für eine Ausbildungskonzeption, in der wissenschaftlich-technische und künstlerische Fähigkeiten und Kenntnisse mit gesellschaftlicher Verantwortung und politischer Bildung verbunden werden sollten. Alexander Kluge und Edgar Reitz z.B. gründeten hier 1961 das Institut für Filmgestaltung. Als private Hochschule, in der Forschung, Lehre und die Entwicklung von produktionsfähigen Prototypen ineins gehen sollte, war sie außerdem ein institutionelles Experiment

Rene Spitz | 31.07.2002
    Die Geschichte der Institution, ihr Entstehungskontext, die politischen, konzeptionellen und finanziellen Bedingungen ihrer Gründung, Entwicklung und letztlich ihrer Auflösung - steht im Zentrum des so eben erschienen Bandes "hfg Ulm. Der Blick hinter den Vordergrund". Rene Spitz' Darstellung, die der Chronologie folgt, basiert auf einer detailgenauen und äußerst umfangreichen Auswertung von in großen Teilen bisher noch nicht erschlossenem Quellenmaterial.

    Die Motivation ist ganz einfach: als junger 19jähriger Student bin ich in München beruflich in Kontakt mit Otl Aicher gekommen und wer einmal erlebt hat, wie Otl Aicher in seiner Autorität mit seinen Kunden umspringen konnte und wegen der absoluten Qualität seiner Arbeit sämtliche Rücksichtnahmen hintenan stellen konnte, der ist natürlich so beeindruckt von dieser unglaublichen fachlichen Autorität, dass man das gerne wissen möchte, wie kommt man denn an so ne Position.

    Otl Aicher und Inge Scholl - die ältere Schwester der von den Nazis hingerichteten Mitglieder der ‚Weissen Rose', Hans und Sophie Scholl - waren die Initiatoren dieses Projektes. Zunächst war es von ihnen als freie Schule für Kultur und Politik gedacht, in der politisch-journalistische und gestalterische Fächer gleichermaßen unterrichtet werden sollten. Hans Werner Richter war als ihr Rektor im Gespräch. "Positive Friedensarbeit" und die Erziehung einer "demokratischen Elite" waren allgemeine Orientierungspunkte der Konzeption, für die man nach 1949 Unterstützung durch den amerikanischen Hochkommissar John McCloy fand.

    Über diese Vorgeschichte sowie den intellektuellen Hintergrund in der unmittelbaren Nachkriegszeit erfährt man einiges im ersten Teil des Buches, ebenso über die Veränderungen, die durch die Beteiligung des in Zürich lebenden, ehemaligen Bauhaus- Künstler und Gestalter Max Bill notwendig wurden.

    Der Gedanke, die Welt zu verbessern, die Gesellschaft zu verbessern und zwar durch eine Elite, ganz deutlich ausgedrückt, durch eine Elite, die speziell gebildet und ausgebildet, aber auch besonders talentiert sein musste, die sich durch ihre Persönlichkeitsmerkmale in erster Linie von der breiten Bevölkerung unterscheiden sollte (...) und die dann weitere Kreise der Bevölkerung zu einem besseren Leben, zu einem demokratischeren Leben anleiten sollte, durch Design. Wobei der ursprüngliche Ausgangspunkt sehr viel stärker in eine Hochschule für Politik zielte mit ein bisschen Gestaltungsanhang, und im Jahre 1949/50 änderte sich das sehr schnell als Max Bill dazu kam und daraus eine Hochschule für Gestaltung mit politischer Fundierung wurde.

    ‚Die Moral der Gegenstände' hieß ein 1987 entstandener Katalog, der erstmals ausführlich und im Rückblick die gestalterische Arbeit der hfg würdigte. Der Titel fasst kurz und prägnant zusammen, was Otl Aicher so formulierte: "damals in ulm mussten wir zurück zu den sachen, zu den dingen, zu den produkten, zur straße, zum alltag, zu den menschen, wir mussten umkehren, es ging nicht etwa um eine ausweitung der kunst in die alltäglichkeit, in die anwendung, es ging um eine gegenkunst, um zivilisationsarbeit."

    Rene Spitz verfolgt nun in seinem Buch, unter dem Aspekt der Institutionengeschichte, die Verschiebungen, die sich im Verlauf der 15jährigen Geschichte der hfg in der inhaltlichen Ausrichtung der Ausbildung ergaben.

    Dann gibt es eine Änderung in der Haltung zu Wissenschaftlichkeit und Verwissenschaftlichung des Entwurfs des Designs um 56/57. Und das ist der Moment, wo die Trennung von Max Bill erfolgt, eine sehr schmerzhafte, sehr üble Trennung auch, die das Bild der hfg in der Öffentlichkeit lange bestimmt hat. D.h. der Künstler Max Bill, der ein Atelier an der hfg unterhalten wollte, wurde geschasst und es wurden Wissenschaftler berufen. Und auch diese Richtung wurde wieder geändert um 1963, als Otl Aicher feststellte, dass diese Verwissenschaftlichung des Designs in eine Richtung führte, die er überhaupt nicht gut heißen wollte, und auch hier warf er noch einmal das Ruder um, und als er dann in einer langen Auseinandersetzung 1964 die Oberhand gewonnen hatte und die theoretischen, die wissenschaftlichen Fächer in den Hintergrund gedrückt wurden, kurz darauf verließ er die hfg.

    Spitz zeigt in seiner Lesart der Dokumente wie die Auseinandersetzung um eine Hochschulverfassung immer mehr von persönlichen Querellen überlagert wurde, die zu Konflikten führten, die jedes Mal die gesamte Konstruktion der Hochschule in Frage zu stellen drohten.

    Es gab ein ausgezeichnetes Regelwerk, es gab so viele Regelwerke, dass man am Schluß gar nicht mehr wusste, welche Regelwerk denn eigentlich in Kraft ist und für welchen Bereich gilt. Es lag nicht am Regelwerk, es lag an der Weigerung einiger Menschen in der hfg, sich mit diesem Regelwerk abzugeben und sich daran zu halten.

    Spitz' Darstellung wird vor allem grundiert von der These, dass die Selbstauflösung der hfg 1968 - forciert durch das Ausbleiben öffentlicher Finanzmittel - sich nicht allein und auch nicht im Kern aus dem Druck von außen auf die Hochschule erklären lässt.

    10 Jahre hat diese hfg sehr erfolgreich bestanden und zwar auch mit einer sehr gesunden Mischung aus öffentlichen und privat erwirtschafteten Zuschüssen. Oder Aufträgen, muss man sagen. Das war eine komplexe Konstruktion 1963, zu dem Zeitpunkt als sie ihren größten Etat hatte. Aber die Ausgaben und Einnahmen waren sehr gut verteilt zwischen dem, was aus der Stadt, dem Land, dem Bund kam und das, was durch private Aufträge und auch Studentenleistungen gebracht wurde. Das war sehr gut, das hat funktioniert. Es hat dann nicht mehr funktioniert, weil sich die wesentlichen menschlichen Säulen dieser Konstruktion entzogen haben.

    Der beeindruckend gestaltete, großformatige Band ist sicherlich eine wichtige Basis für zukünftige Forschungen, die sich zum ersten Mal auf eine solche Fülle von aufbereitetem historischen Material stützen kann. Allerdings verliert man sich als Leser in der endlos gereihten chronologischen Erzählung, die der Autor aus den Dokumenten heraus kristallisiert und deren Darstellung er kaum weiter untergliedert. Seine Wertung und Lesart verbirgt sich hinter einem Gestus des Faktischen. Verloren gehen dabei zentrale Aspekte der inhaltlich-konzeptionellen Verschiebungen. So ist das, was sich hinter dem Begriff "Verwissenschaftlichung" verbirgt, der aus heutiger Sicht sehr spannende Versuch, Gestaltung mit Hilfe von Informationstheorie, Kybernetik und Wahrnehmungspsychologie neu zu bestimmen. Diese Geschichte der hfg steht noch aus.