Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Der Blick ins Erdinnere

Physik. - Im März 2010 fing der Borexino-Detektor unter dem Gran Sasso-Massiv hatte ein sogenanntes Geoneutrino eingefangen. Dieses Neutrino bewies, dass ein Teil der Hitze im Erdinneren tatsächlich durch Radioaktivität erzeugt wird. Nun gibt es dazu neue Forschungsergebnisse.

Von Dagmar Röhrlich | 27.04.2012
    Die Erde ist ein ausgesprochen dynamischer Planet: Erdbeben und Vulkanausbrüche erinnern immer wieder daran, dass in ihrem heißen Inneren eine gewaltige "Maschine" arbeitet - die Plattentektonik.

    "Die Plattentektonik ist eine fabelhafte Methode, um die Hitze aus dem Erdinneren loszuwerden und damit den Thermostaten unseres Planeten zu regeln. Angetrieben wird sie durch Temperaturunterschiede, durch die im Erdinneren Bereiche entstehen, in denen heißes Material aufsteigt und kaltes absinkt. Aber wieviel Brennstoff ist da, um diese Erdmaschine anzutreiben?"

    fragt Bill McDonough von der University of Maryland. Insgesamt sei die Heizleistung der Erde enorm: Rund 45 Billion Watt strahle sie ins Weltall ab. Das ist der dreifache jährliche Energieverbrauch der Menschheit. Ein Teil dieser Hitze ist Restwärme von der Entstehung der Erde und aus ihrer Frühzeit, als der Zerfall kurzlebiger Radionuklide auf Hochtouren lief:

    "Wie hoch ist der Anteil dieser Restwärme - und welchen Anteil hat der radioaktive Zerfall der Radionuklide, die heute noch im Planeteninneren existieren?"

    Details über diese Energiebilanz sollen sogenannte Geoneutrinos enthüllen:

    "Geoneutrinos sind die Antiteilchen der Neutrinos, also von Elementarteilchen, die fast ungehindert die Erde durchdringen. Neutrinos entstehen in der Sonne bei der Kernfusion oder bei Supernova-Explosionen. Die Geoneutrinos hingegen stammen vom Zerfall radioaktiver Elemente im Erdinneren, und Uran und Thorium sind die, die wir messen können."

    Uran und Thorium stehen für rund 80 Prozent aller Geoneutrino-Produzenten der Erde. Bis die Wissenschaftler jedoch das erste Geoneutrino in den riesigen, unterirdischen Flüssigkeitsbehältern ihrer Detektoren nachweisen konnten, vergingen Jahre:

    "Es war eine Herausforderung, weil Geoneutrinos so gut wie nicht mit Materie wechselwirken. Flögen sie durch einen ein Lichtjahr langen Block aus Blei, gäbe es nur eine 50:50-Chance, dass sie auf irgendetwas treffen."

    Anhand ihrer Energie lassen sie sich zuverlässig von kosmischen Neutrinos unterscheiden. Inzwischen werden in einem speziellen japanischen Neutrinodetektor zwölf Geoneutrinos pro Jahr beobachtet, in einer italienischen Anlage sind es sechs:

    "Diese Messungen geben direkten Einblick in den nuklearen Brennstoffkreislauf der Erde und damit in die Energiebilanz und die Funktionsweise des Planeten. Die ersten Ergebnisse begeistern uns: In unseren wildesten Träumen hätten wir nicht gehofft, einmal unsere Modelle zur Funktionsweise der Erde überprüfen zu können."

    So verraten Geoneutrinos, das der laufende Zerfall von Uran und Thorium mit etwa 45 Prozent in der irdischen Gesamt-Energiebilanz zu Buche schlägt. Allerdings sind Uran und Thorium in der Erdkruste angereichert. Damit entsteht das Gros ihrer Zerfallswärme in dieser äußeren Gesteinshaut. Der Motor der Plattentektonik steckt jedoch tiefer, nämlich im Erdmantel. Wieviel der moderne radioaktive Zerfall zum Antrieb der Plattentektonik beiträgt, ist deshalb offen. Erste Abschätzungen wird ab dem kommenden Jahr ein dritter Spezialdetektor in Kanada ermöglichen:

    "Einige Wissenschaftler vertraten die Hypothese, dass es ab der Grenze Erdmantel-Erdkern natürliche Geo-Reaktoren gibt. Grundsätzlich gibt es solche Reaktoren. Einer von ihnen lief vor zwei Milliarden Jahren im heutigen Gabun an der Erdoberfläche. Die Geoneutrino-Messungen allerdings haben nun die Existenz solcher Gebilde im Erdmantel unwahrscheinlich gemacht: Falls es sie geben sollte, wären sie sehr klein und hätten kaum Einfluss auf das Funktionieren der Plattentektonik."

    Auch für den Erdkern hatten manche Wissenschaftler die Existenz solcher Georeaktoren angenommen. Denn einige Modellrechnungen zum Antrieb des Geodynamos und damit des Erdmagnetfelds hatten das nahegelegt. Aber auch dort gibt es sie wohl nicht oder sie spielen zumindest nur eine sehr untergeordnete Rolle.