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Neutrinosuche geht weiter

Nicht nur am Genfer CERN, auch in den italienischen Bergen untersuchen Physiker kleinste Teilchen. Dazu werden in der Schweiz Neutrinos abgeschossen, die unter dem Gran Sasso, einem 2000er-Berg in den Abruzzen, wieder aufgefangen und analysiert werden. Doch das schwere Erdbeben vom 5. April 2009 hat auch die Gran-Sasso-Arbeiten ins Stocken gebracht.

Von Thomas Migge | 16.12.2009
    Das Forschungslaboratorium unterhalb des Gran Sasso war nach dem schweren Erdbeben Anfang April eine Zeit lang geschlossen. Die Medien sprachen von gravierenden Schäden an den hochsensiblen Anlagen im Innern des Gran Sasso. Es gab viel Rätselraten um das Schicksal des Laboratoriums, telefonische Anfragen liefen ins Leere. Die Forschungsanlage war jedoch weiter in Betrieb. Die Geräte wurden durch das Beben auch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Kurzzeitig war das Labor jedoch nicht besetzt, weil viele Mitarbeiter ihrer Wohnungen verloren hatten und nach Alternativen für eine Unterkunft suchen mussten. Seit einigen Wochen jedoch gehen die rund 750 Forscher und Angestellten aus 24 Staaten ganz normal ihrer Arbeit nach, in 15 internationalen Forschungsprojekten. Einer der Forscher kommt aus Deutschland und heißt Matthias Junkers:

    "Wir sind hier im Untergrundlabor des Gran Sasso und in dem Tunnel, den wir als Lkw-Tunnel bezeichnen. Das ist im Prinzip das Rückenmark des Labors, von diesem Tunnel gehen drei große experimentelle Hallen ab."

    Der Teilchenforscher führt durch riesige unterirdische Hallen und Tunnel. Rund 15 Meter hoch und noch breiter. Ein tief ins Innere des Berges getriebenes Stollensystem. Anfang der 80er-Jahre hatten die Bauarbeiten begonnen. In seiner Ausdehnung ist dieses Laboratorium weltweit einmalig. Der Neutrinoforscher Matthias Junkers gehört inzwischen zum festen Mitarbeiterstab des Nationallaboratoriums im Gran Sasso. Unter anderem arbeitet der Physiker am Opera-Experiment mit. In einer Halle erhebt sich, einem Hochregal vergleichbar, ein gigantisch wirkender Block aus sogenannten Modulen. An den Außenwänden fährt auf einer Schiene eine automatische Kamera langsam hoch- und runter. Matthias Junkers:

    "Das Opera-Experiment fotografiert Neutrinos und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn die Neutrinos hier ankommen treffen sie auf Module, die ganzen Wände sind voll mit diesen Modulen und die bestehen aus einer Schicht Blei, eine Schicht Fotoemulsion, einer Schicht Blei, eine Schicht Fotoemulsion."

    Wenn die Neutrinos auf das Blei treffen, produzieren sie sogenannte Sekundärteilchen. Die lassen sich mit der Fotoemulsion nachweisen. Unter einem Mikroskop sehen Junkers und seine Kollegen nach, ob es sich tatsächlich um ein Neutrino handelt.

    Junkers Arbeitsgebiet ist die Suche nach jenen massearmen Materie-Teilchen. Sie entstehen in großer Zahl bei Fusionsreaktionen im Innern der Sonne entstehen und durchdringen die Erde und andere Planeten ungehindert - was ihren "Fang" auch so schwer macht. Junkers spricht aber nicht gerne von "fangen" oder "Neutrinofalle":

    "Neutrinos kann man nicht in eine Falle stecken, im Moment auf jeden Fall noch nicht, weil sie so schwach wechselwirken, dass sie sich nicht einsperren lassen."

    Neutrinos sind auch sehr schnell. Auch das wird im Gran-Sasso-Labor gemessen. Jeden Tag sausen Milliarden von künstlich am Physikforschungszentrum CERN in Genf erzeugte elektrisch neutrale Neutrinos - Leptonen genannt - durch das Laboratorium in Italien. Sie legen die Strecke von 730 Kilometern in weniger als zwei Sekunden zurück. Im Gran Sasso untersuchen Junkers und seine Kollegen auch diese Teilchen.

    "Der Sinn des Experiments besteht darin, zu untersuchen ob die Neutrinos, die als Myon-Neutrinos, das ist eine bestimmte Neutrinofamilie, am CERN losfliegen, hier anders ankommen. Das heißt, ob sie sich von einem Myon-Neutrino in ein Tauon-Neutrino verändern."

    Der Nachweis eines Wandels vom Myon- zum Tauon-Neutrino würde die in den letzten Jahren aufgestellten Forschungshypothesen beweisen, wonach auch Neutrinos eine Masse haben. Eine sehr kleine zwar, aber immerhin.