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Der Blues vom Nichtbezahlen

Die Dramatikerin Elfriede Jelinek analysiert mit ihrem neuen Stück "Aber sicher!" die Finanzkrise. In der Inszenierung von Alexander Riemenschneider am Bremer Schauspiel häuft sich Motiv an Motiv, bis der wirtschaftliche Aufschwung wiederkommt.

Von Michael Laages | 15.03.2013
    Akkurat so waren "Die Kontrakte des Kaufmanns" zu Ende gegangen: mit der Grusel-Story einer Familie, die im Gefolge geplatzter Immobilien-Blasen, also dem Ausgangspunkt des Banken-Crashs, Haus und Hof und überhaupt alles verloren hatte. Und dann griff der Papa zur Axt und machte der Familie insgesamt ein Ende; wenn die Erinnerung nicht trügt, hatte die Dramatikerin hier (wie so oft, nicht nur in diesem Text) eine reale Tragödienmeldung aus der Zeitung auf ihre Art übersetzt in den zynischen Grundton speziell dieses Textes – denn zu den Grundbausteinen in den "Kontrakten" gehörte ja die Sprache der Banker selber, die die "Schuld" am Desaster immer wieder zurückgaben an uns, das Publikum, die ahnungslosen Schnäppchenjäger. Akkurat so beginnt nun auch Teil Zwei der "Kontrakte", unter dem Titel "Aber sicher!"
    Auf vier Männer verteilt ist der erste Teil des Textes, und das Bühnenportal ist im Wortsinn mit Brettern vernagelt, die Bühne von Rimma Starodubzewa ist komplett dicht mit Holzpaneelen. Die vier Herren wollen da rein; es war vielleicht mal das Haus der Familie – zuweilen nehmen sie Anlauf auf den Treppenstufen der ansteigenden Zuschauertribüne, rennen gegen das verschlossene Portal und holen sich dekorativ blutige Nasen. Sie setzen sinngemäß auch den Text des "Kontrakte"-Finales fort – räsonieren darüber, wie wenig vorhersehbar die Katastrophe war und wie sicher doch eigentlich die Geldanlagen; beklagen, dass das Haus, ihr Haus hinter den Holzpaneelen, komplett leer geräumt worden sei, alles irgendwie noch verwertbare Metall zum Beispiel sei schon im Recycling-Kreislauf. Vom Haus kommen sie bruchlos auf die Stadt, die das eigene Rohrleitungssystem, für die Stadtentwässerung zum Beispiel, als Tafelsilber an einen Investor irgendwo in den USA verkauft habe, nicht in "Übersee", sondern "über dem See" sagen die Figuren im wie gewöhnlich sehr gespreizten und ermüdend wortspielerischen Jelinek-Ton.
    Motiv häuft sich auf Motiv, Phantasie auf Phantasie – so stellen sich unsere vier Finanz-Verlierer (mittlerweile Hemd und Hose verlustig gegangen und nur mehr in Unterhosen) vor, wie die wieder erstarkenden Geldströme auf die unversiegbaren Ströme menschlicher Exkremente stoßen, die nun quasi in Fremdbesitz übergegangen sind; einer bringt sogar eine Handvoll Menschen-Mist aus der Requisite mit und verteilt sie im Quartett. Zum Klavier wird aber auch der schöne, zum Mitsingen und Mitklatschen geeignete Blues vom Nichtbezahlen angestimmt – wir zahlen nix, denn der Staat wird’s schon richten; die Banken hat er ja schon gerettet. Und pleite gehen kann er auch nicht, der Staat - jedenfalls solange ihn die EU im Notfall rettet ...
    So mäandert der ewige Wortstrom eine Stunde lang vor sich hin, in einer der Jelinek-typischen, unbearbeitet und unredigiert wirkenden Gardinenpredigten, die die erdrückende Mehrheit der Kritik in Deutschland ja derart klasse findet, dass die Autorin quasi ein Abo hat auf den Mülheimer Dramatikerpreis. Sei’s drum – da Jelinek den Regisseuren völlig freie Hand für die Realisierung gibt und die eigene Arbeit zum Steinbruch oder Wörter-See erklärt, aus dem jeder und jede beliebig schöpfen darf, sind Aufführungen ihrer Sermone (oder Sermonellen) immer auch Bewährungsproben für die Regie; und auch Alexander Riemenschneider in Bremen hatte alle Chancen der Welt. Er nutzt sie achtbar.
    Die vier Jammerer dokumentieren vor allem und in Endlosschleifen die Ahnungslosigkeit der Opfer angesichts der Undurchschaubarkeit finanzieller Transaktionen im Weltmaßstab; und dann ist eben das Häuschen weg, und das Tafelsilber der Städte ebenso. Sie sind wie wir – und Riemenschneider lässt die Bremer Herren denn auch über Stühle und Reihen klettern und Platz nehmen in unserer, des Publikums Nachbarschaft. Das stärkt das Mitfühlen, wo schon kaum etwas wirklich versteh- und durchschaubar ist. Die erste Stunde ist stark.
    Dann folgt Teil Zwei, eigentlich und laut Jelinek schon "der Epilog", in dem die Autorin Haltung und Schicksal der Politikerin Rosa Luxemburg beschwört – "kann weggelassen werden!" sagt sie selber im Text; und besser wär’s auch gewesen. Ein Zusammenhang jedenfalls ist nicht zu erkennen zwischen dem Absturzgezeter zuvor und dem Luxemburg-Solo jetzt. Wer mag, kann vielleicht Luxemburgs Visionen als Gegenentwurf zur Weltwirtschaft heute begreifen – aber deutlich ist, deutlich wird das nicht. Dann aber folgt Teil Drei, der Epilog zum Epilog – und hier, endlich, kommt die Dramatikerin zum Kern der Sache.
    Denn es ging ja nicht nur um immer weitere Analysen des Desasters – im Zentrum stand vor allem das ungläubige Staunen darüber, wie schnell die geretteten Banken wieder Profite abwarfen: für die Manager und Aktionäre, nicht für die Kunden. Und dass etwa die US-Regierung mit dem Wiederverkauf einer geretteten Versicherung Milliarden in die Haushaltskasse scheffeln konnte ... dieser letzte Text geht im letzten Bild unter die Haut. Das Holzportal ist in die Bühne hinein gekippt, und Goldflitter rieselte in die Szene, Scheinwerfer blenden das Publikum, und rechts rieselt alle paar Minuten und unaufgefordert Geld aus einem Automaten ... daneben sitzt das letzte Klageweib, endgültig rat- und hoffnungslos angesichts des neuerlichen Aufschwungs. Sie ahnt, dass das nächste Desaster nicht fern sein kann, und verstummt: "Ich kann nicht abtreten", sagt die Autorin mit ihr, und bittet: "Helfen Sie mir!" Mit diesem Finale ist Jelineks neues Palaver immerhin gut für einen halb starken Abend.