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Der Böse ist eine Frau

Bei Shakespeare ist Richard III. kein Held, sondern ein kalter, skrupelloser Herrscher, der aus Machtgier über Leichen geht. Am Staatstheater Nürnberg hat eine Frau diese Rolle übernommen.

Von Bernd Noack |
    "Was bleibt zu sagen? Die Welt rollt abwärts."

    Man kann ihm ja nicht oft zustimmen, diesem Richard III., diesem entstellten und gehetzten Paradebeispiel für die Menschwerdung des Bösen. In diesem Fall aber hat er nun einmal recht. Die Gesellschaft, in die er geworfen wurde wie ein abstoßende Warnung, ist selber aus den Fugen, die Ordnung ist ein Witz. An der Spitze des Staates zerfleischen sich die Machthaber und bringen sich gegenseitig um Ansehen und Leben. Richard sieht seine Chance. Als Ungeliebter in einem Familienheer aus Eifersüchtigen, Neidern und Emporkömmlingen nutzt er die Gunst der untergehenden Epoche und reißt die Herrschaft an sich. Kann man ihm das verdenken?

    Mehr als einmal kommen einem bei dem Nürnberger "Richard", den Christoph Mehler als sehr hermetische Untergangsparabel inszeniert hat, solche doch eigentlich unstatthaften Mitleidsgedanken. Denn agiert dort nicht einer, der seinen Weg durch Blut watend macht, der die Leichen derer, die ihm in die Quere kamen, zynisch als Kollateralschaden verbucht? Sicher, aber ist er wirklich soviel anders als die anderen, die er aus dem Weg räumt?

    "Sie tun mir Unrecht. Und das duld ich nicht. Wer sind die, die beim König Klage führn, ich liebt sie nicht und ich sei hart? Die lieben ihren König aber dürftig, die seine Ohren fülln mit Streitgerücht. Weil ich nicht biedern und nicht schleimen kann, nicht schleichen, schlecken, Sinn verdrehn, französisch Füße kratz affengleich, muss ich dabei sein voller Hinterhalt. Kann einer nicht nur einfach für sich leben?"

    Das Fatale an diesem Abend ist, dass einem dieser Richard irgendwie ans Herz wächst. Das liegt einmal daran, dass der ganze Hofstaat um ihn herum wie eine lächerliche, unfähige, alberne und selbstverliebte Ansammlung blaublütiger Laffen erscheint. Mehler lässt da keine großen Charakterfeinzeichnungen zu, was auch daran liegen mag, dass er den Shakespearetext unbedenklich rafft und Ereignisse mitunter kühn verstrickt auf die völlig kahle Bühne bringt.

    Es scheint, als wollte er schnell durch die verzwickte Dynastiegeschichte der Lancasters und Yorks, die sich bislang mit der Dezimierung des jeweils gegnerischen Clans unbeliebt gemacht haben: Intrigenspiel, verlogene Versöhnungen, taktische Verbrüderungen, täppische Harmonisierungen – da keift und droht und antichambriert es ungeniert unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in einem von der restlichen Welt vergessenen Raum, in einer erschreckend geist- und moralfreien Leere.

    Und in diesem Vakuum findet eben ein Kerl wie Richard unschwer seinen Platz. In Nürnberg spielt ihn die Schauspielerin Julia Bartolome. Und da die weibliche Besetzung dieser ur-männlichen Rolle im Verlauf des dreistündigen, pausenlosen Abends nicht bemüht sinnfällig als Beitrag zur Geschlechterdebatte begründet wird, nehmen wir einfach an, dass man hier keinen besseren Darsteller für diese Figur finden konnte im Ensemble.

    Das stellt aber sich als Glücksfall heraus. Denn letztlich ist diese Inszenierung ein großes Solo für die herausragende Julia Bartolome, der man vom Winter der Bitterkeit gebannt in den kurzen Sommer der Macht wie einem verschlagenen, mit Gesten und Worten verwirrenden Verführer folgt.

    Am Anfang wirft dieser Richard einen dürren, krummen Schatten an die Bühnenwand, zerbrechlich wie eine Giacometti-Figur; am Ende klebt er verkrampft auf einem schäbigen Küchenstuhl, der ein Thron sein will, und seine müde zerfurchte Stimme ruft nach einem Pferd, für das er ein Königreich opfern würde, das er längst verzockt hat. Dazwischen hat der ständig präsente Richard die Personen immer nah am Abgrund verschoben und, wenn es ihm nützlich erschien oder gerade aus einer Laune heraus, hinabgestoßen. Jetzt, am Ziel, ist da aber ein seltsamer Widerwillen gegenüber dem eigenen Aufstieg und zweifelhaften Erfolg zu spüren:

    "Vetter von Buckingham und alle hier: Wenn ihr das schwere Schicksal auf mich packt, dass ich`s jetzt trage, ob ich will, ob nicht, muss ich geduldig schleppen meine Last. Wenn Eure Lügen aber mein Gepäck beschwern, in Zukunft Euer Neid mich niederdrückt, wird Euer Zwang mein Freispruch sein von jedem Fehler, jedem Vorwurf auch. Denn Gott weiß, und ein wenig seht Ihr`s jetzt, wie fern die Sehnsucht nach dem Thron mir ist. Lang lebe Richard, Englands großer König!"

    Er preist sich selber an als Mogelpackung und feixt darüber, dass ihm seine Gefolgschaft auf den Leim geht. Die Morde aber, die er aus schaler Gier und Verletztheit heraus befiehlt, ekeln ihn bald an, die Erotik der Macht erleidet er wie unter Opferqualen, das Ende seiner blutigen Karriere erscheint ihm konsequent. Dieses Ungeheuer ist sich selbst nicht geheuer.

    Julia Bartolome entblößt ihren Richard bis auf die geschundene Seele. Ein körperlich verwachsener Spieler, der sich flugs entkrüppelt, wenn es der Täuschung des Gegners dient, kämpft da schließlich nur noch gegen einen einzigen Feind an: gegen die Einsamkeit. Stolz und selbstbewusst ist er in keiner Sekunde, die beiden Ichs, die in ihm streiten, sprengen ihm Brust und Hirn. Und allein in seinem Missvergnügen, darf er jetzt nicht einmal den Anti-Helden-Tod sterben: er darf nur hocken bleiben auf seinem Stuhl, verlassen und verstoßen.

    Ein trauriges Denkmal des Versagens und der Sehnsucht, über das die Welt hinwegrollt – abwärts.