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Der Bote - Elegies for piano

Rätselhaft erscheint eine Scheibe, die der Pianist Alexei Lubimov bei ECM vorgelegt hat. Nun ist ECM nicht nur einfach ein Label, sondern vor allem auch eine Denkfabrik. Da muss man von vornherein mit klugen, lesenswerten Essays im Booklet rechnen und damit, dass sich hinter dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit tiefere Absichten verbergen. Lubimov hat seine CD lapidar "Der Bote" genannt. Da ahnt man was und fragt schon mal prophylaktisch: Wann geht der nächste Schwan? Aber so einfach ist die Sache nicht. Die CD - Untertitel "Elegien für Klavier" - bietet eine Kompilation von zehn Stücken, die nach einer überaus sorgfältigen Dramaturgie zusammengestellt wurden - einschließlich der gedankenvollen Pausen zwischen den einzelnen Werken. Das Ganze ist, wenn man so will, ein Hörspiel des Verklingens. Es geht um zehn Kompositionen von Carl Philipp Emanuel Bach, John Cage, Tigran Mansurian, Franz Liszt, Mikhail Glinka, Frédéric Chopin, Valentin Silvestrov, Claude Debussy und Béla Bartók. Silvestrov ist zweimal vertreten. Sein eigentümlich klassizistisches Acht-Minuten-Werk "Der Bote" bildet den Abschluss, gibt der CD den Namen und lässt sie am Ende ganz knapp am Kitsch vorbeischrammen.

Norbert Ely |
    Nun ist es reine Nervensache, fast eine Stunde lang Elegien am Stück auszuhalten. Lässt man sich auf dieses Abenteuer ein, das sich selbstverständlich zu einer Reise in die Innenwelt entwickelt, so erlebt man eben doch, wie Ohr und Geist allmählich geschärft werden für die Momente des Zerbrechens in dem einen oder anderen Werk, für die unterschiedlichen Arten von Verklingen, denen Lubimov mit hoher Anschlagskultur und nuanciertem Pedal nachsinnt. Gleichzeitig erscheinen dann freilich auch die Unterschiede in der kompositorischen Qualität übergroß. Carl Philipp Emanuel Bachs Fantasie fis-moll wächst zu einem bedrohlichen Überformat und wirkt nicht weniger modern-zerrissen wie John Cages unmittelbar folgendes "In a landscape". Franz Liszts "Abschied" hingegen schrumpft zur sentimentalen Petitesse, und bei Béla Bartóks erstem der vier Klagelieder op. 9a spürt man eben wieder umso mehr, wie sehr es hier um Sein oder Nichtsein geht. Dabei glättet Lubimov eigentlich mit dem Ebenmaß seines Klavierspiels eher, als dass er die Differenzen herausarbeitete - eine Ausnahme bildet auch hier wieder die schwarze Messe des Bach-Sohns. Vielleicht liegt es auch daran, dass in Zürich, wo die Aufnahmen entstanden, ein geradezu idealer Flügel zur Verfügung stand, ausgeglichen in den Registern und überhaupt erlesen intoniert, sozusagen erste Sahne. Aber eben ein paar Sahnehäubchen zuviel. Lubimov setzt sich ja selbst gelegentlich an historische Instrumente. Bach vor allem hätte dringend der Registerunterschiede bedurft und eines größeren Reichtums an Obertönen, bei Chopin und Debussy könnte man sich stärker verhangene Klänge vorstellen. Es ist das Gleichmaß an Perfektion, das neben dem schlafbeschwörenden Gleichmaß des Tempos einen am Ende vermuten lässt, diese CD sei eben womöglich doch zu schön, um wahr zu sein. Insofern zieht Silvestrovs "Der Bote" zu Recht am Ende die Summe dieser eigentümlichen pianistischen Konfession: * Musikbeispiel: Valentin Silvestrov - Der Bote für Klavier (Ausschnitt) Das war "Die neue Platte" im Deutschlandfunk, heute mit einer neuen CD des Trios Cantabile und Werken von Gaubert, Debussy und Françaix, erschienen bei Thorofon, und der CD "Der Bote" des Pianisten Alexei Lubimov, herausgekommen bei ECM.