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Der Denkmalbauer

Surab Zereteli ist das, was man einen Hofkünstler nennt. Auf Schritt und Tritt begegnen einem in Moskau seine Arbeiten. Stelen, Denkmäler, Kirchen, der gesamte Park des Sieges. Seine Monumente pflastern die russische Hauptstadt regelrecht zu. Eine große Schau zeigt anlässlich seines kürzlichen 70. Geburtstages, was nicht schon auf öffentlichen Plätzen steht. Die Moskauer lieben Zereteli und sie hassen in, beides inniglich. Viele lieben ihn, weil sie seine Kunst verstehen. Die ist einfach, nicht mehr sozialistisch realistisch, sondern monumental realistisch und macht häufig vor der Grenze zum Kitsch nicht halt. Dabei gelingen dem Künstler durchaus beeindruckende Werke, wenn der überschwängliche Meister seine künstlerischen Mittel sparsamer einsetzt.

Von Sabine Adler | 11.04.2004
    Doch vor allem ist Zereteli verhasst. Als Leiter der russischen Kunstakademie, die immerhin 200.000 Mitglieder hat, scheinen sämtliche öffentliche Aufträge nur an ihn zu gehen. Moderne Künstler oder einfach nur mal andere Künstler haben keine Chance, denn überall wohin sie kommen, steht schon ein Zereteli-Werk. Nun möchte er wieder einmal auch die Vereinigten Staaten beglücken. Mit einem Denkmal zum 11. September.

    Als diese Tragödie geschah, sah ich im Fernsehen und auf den Straßen hier in Moskau Menschen mit Tränen in den Augen und da kam mir die Idee für die 30 Meter hohe Skulptur. Ich habe an dem Wettbewerb teilgenommen, aber mir schien es nicht richtig zu sein, ein Denkmal genau auf dem Platz zu errichten, der mit dem Blut und den Tränen der Opfer getränkt ist, auf dem ihre Knochen liegen. Auf einem solchen Platz ein Kunstwerk zu errichten, an dem sich Menschen erfreuen sollen, entspricht nicht meinem Charakter. Deshalb habe ich mich in einen Hubschrauber gesetzt, bin über New York geflogen und fand einen Platz.

    Zereteli ist ein Glückspilz, der sich die Welt schönredet und vor allem seine eigene Person ins rechte Licht zu rücken versteht. Dass sich New York nicht für seine Arbeit entschieden hat, verklausuliert er nun mit ethischen Vorbehalten. Sein Denkmal stellt er trotzdem auf. Auf einem Granit-Fundament, eingelassen in den Hudson-River, auf dem Gebiet von New Jersey. Das Denkmal ist offiziell ein Geschenk Russlands an das amerikanische Volk genau wie die Freiheitsstatue eine Gabe der Franzosen war. Eine Parallele, gegen die sich Zereteli nicht wehrt. Jetzt in der Endphase der Fertigstellung, denkt er schon wieder weiter.

    Die Skulptur wird gerade in einer Werkstatt in Sankt Petersburg hergestellt. Wir arbeiten im Drei-Schicht-System. Ich bin jetzt jedes Wochenende dort, denn wir wollen das Denkmal in diesem Jahr am 11. September und 9.15 Uhr einweihen. Mich hat auch der spanische Terroranschlag sehr mitgenommen, ich liebe Spanien, ich bin oft dort. Sollte das spanische Volk den Wunsch äußern, bin ich gern bereit, ihm ein Denkmal zu fertigen.

    Wenn ein Land sein Kunstwerk mal nicht haben möchte, wie es angeblich mit seiner Kolumbus-Statue war, findet sich immer noch ein anderes Plätzchen, zum Beispiel in der Moskwa. Da der Standort nicht mehr Südamerika sondern Moskau hieß wurde Kolumbus flugs in Peter den Großen umbenannt und segelt jetzt mit der Flotte im engen Betonflussbett, mit der er eigentlich den Atlantik überquert hat.

    Zereteli, der sich damit brüstet, zu Sowjetzeiten niemals Marx, Engels oder Lenin dargestellt zu haben, liebt dennoch durchaus die Nähe zur Macht. In seinem Haus hängen Fotos, die ihn mit Präsident Putin abbilden. In der Fülle seines Oeuvres gehen sie freilich fast unter. Sein Stadtschloss mitten im Zentrum von Moskau quillt über, allein im Garten reihen sich wohl über hundert Denkmäler aneinander. Ein vier bis fünf Meter großer Bronzebär begrüßt die Besucher direkt am Eingang, daneben streckt eine Art Ikarusfigur ihre Arme gen Sonne aus und berührt damit das Hausdach. Der Meister liebt es groß und üppig. Sein Werk schlägt alle Rekorde.

    Irina Turajewa: Die Anzahl seiner Arbeiten zu nennen ist sehr schwer. Er arbeitet in so unterschiedlen Genren. Das sind die Monumentalplastiken, mehr als 50 verschiedene Denkmäler und Skulpturen stehen in 18 verschiedenen Ländern. Seine Malerei umfasst mehr als 5000 Gemälde, das grafische Werk ist noch viel größer, ungefähr 20 Mal mehr als die Gemälde. Er malt praktisch immer, zu jeder Gelegenheit, bei Versammlungen, überall wo er seine Hände frei hat.

    Irina Turajewa ist die Pressesprecherin des produktiven Meisters, von den Geschichten, die sich die Moskauer hinter vorgehaltener Hand über Zeretelis Werke erzählen, will sie die bösen und spöttischen nicht kennen. Der Künstler, der sich an seinen Vorbildern Picasso und Chagall orientiert, sei ein Workoholic, Schüler oder Helfer, die die eine oder andere Idee des Meisters ausführen, habe er nicht:

    Er hat in seinen Werkstätten natürlich Helfer, aber es ist kein Betrieb oder Unternehmen. Er ist jemand, der alles mit seinen eigenen Händen herstellen möchte. Nur das was er technologisch nicht selbst kann, lässt er von seinen Helfern ausführen. Und die Helfer, die für ihn tätig sind, sind genau so arbeitssüchtig wie er selbst.