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"Der deutsche Film wird Kunst sein oder er wird nicht sein"

Ludwigshafen war bisher ein eher blinder Fleck auf der Landkarte des Films. Mit dem ersten "Festival des deutschen Films" gelang dort jedoch in zehn Festivaltagen eine bemerkenswerte Mischung aus Locarno und Oberhausen. Kämpferisch und eigensinnig trat eine neue Autorenfilmergeneration auf, die in der "Ludwigshafener Position" auch programmatisch Stellung bezieht.

Von Klaus Gronenborn | 11.07.2005
    " Eigentlich wäre es doch schon, wenn von diesem ersten Festival so eine Art Ludwigshafener Manifest ausgehen könnte als Ergebnis des gemeinsamen Redens und Forderns."

    Der Wunsch des Filmregisseurs Fred Kelemen ging in Erfüllung. Das neu gegründete "Festival des deutschen Films" endete gestern Abend nicht nur mit der Preisverleihung im überfüllten Zeltkino. Kaum geboren, schickt sich dieses Festivalkind schon an, Filmgeschichte zu schreiben. Denn eine neue Autorengeneration des deutschen Films verteidigte in ihrer "Ludwigshafener Position" programmatisch den Kunstanspruch des deutschen Films. Ihr Manifest richtet sich gegen den "Mythos einer deutschen Filmindustrie" und setzt auf die eigensinnige Kraft einer "Manufaktur der Filmkunst": "Der deutsche Film wird Kunst sein", so heißt es, "oder er wird nicht sein." Nach den Repräsentanten des "Jungen deutschen Films" der sechziger Jahre, der Generation von Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Werner Herzog etc. ist eine Generation von Filmemachern herangewachsen, deren kompromisslos künstlerische Haltung auffällt. Eine Autorenfilmergeneration jenseits des Produzentenkinos a la Bernd Eichinger, eine Generation, die als deutsche "Nouvelle Vague" bereits international wahrgenommen wird, wie etwa im Falle von Christoph Hochhäusler, der mit seinem neuesten Film "Falscher Bekenner" auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes Furore machte.

    Ein facettenreiches Bild der Themen und Erzählstile dieser "neuen Welle" des deutschen Kinos konnte man sich während der vergangenen Woche in Ludwigshafen machen. Der Chemiestandort am Rhein hat sich als Filmstadt bislang nicht hervorgetan. Es gibt hier zwar einen Filmpreis, der an den in Ludwigshafen geborenen Hollywood-Regisseur William Dieterle erinnert und alle drei Jahre vergeben wird. Darüber hinaus herrscht in der Industriestadt am Rhein die übliche Provinz-Tristesse aus Kommerzkino-Centern in verödeten Fußgängerzonen. Das ist spätestens nach der gestrigen Preisverleihung auf dem "Festival des deutschen Films" anders geworden. Trotz großer Konkurrenz auf dem Markt der deutschen Festivals sah Michael Kötz, Leiter des benachbarten "Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg" und seit 14 Jahren als unermüdlicher Kämpfer für den - hierzulande mangelhaft entwickelten - gesellschaftlichen Respekt vor der Filmkunst und als Propagandist des Autorenfilms ausgewiesen, mit seinem neuen Festival eine Marktlücke. Michael Kötz' Idee, den deutschen Film als "Qualitätsprodukt" durch die Vergabe eines neuen, mit 50.000 Euro dotierten und vom Chemiekonzern BASF gesponserten, bewusst altmodisch so genannten "Filmkunstpreis" in Verbindung mit einem auf die Region setzenden Kulturereignis zu fördern, erwies sich als gelungenes Projekt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Präsentation von 19 aktuellen deutschen Produktionen im Zeltkino auf der Ludwigshafener Parkinsel im Rhein, inszeniert auch als Widerpart zur glamourösen "Lola"-Verleihung der Deutschen Filmakademie in Berlin, war ein Ereignis, das in seiner filmpolitischen Wirkung weit über die Region hinausstrahlte. Inmitten der Industrieprovinz ist ein neuer Ort des Autorenkinos auf der filmkulturellen Landkarte entstanden.

    Die Vielfalt der visuellen Erzählstile auf der Leinwand des Zeltkinos war eindrucksvoll. Der essayistisch gelenkte, ethnographisch präzise Blick auf die linksrheinische Provinz der "Vorgebirgs"-Dörfer zwischen Köln und Bonn in Alexandra Sells Dokumentarfilm "Durchfahrtsland", war der Preisjury eine "besondere Auszeichnung" wert. Die visuell radikale Bildsprache in Fred Kelemens düsterer Schwarzweiß-Ballade "Glut", erinnerte an beste osteuropäische Filmtradition. Robert Thalheims sympathisch-dialogwitzige Berliner Loser-Geschichte "Netto" erzählt ebenso anrührend wie sarkastisch humorvoll eine Vater-Sohn Geschichte der etwas anderen Art. Sie zeigt wie die heranwachsende Generation vergeblich versucht, ihre Eltern zu erziehen. Der mit einem Budget von nur 4500 Euro an der Potsdamer Filmhochschule produzierte Studentenfilm erhielt zu Recht den "Deutschen Filmkunstpreis." Auch im Gedächtnis und vom Publikum in Ludwigshafen stürmisch gefeiert blieb "Katze im Sack", Florian Schwarz' an der Ludwigsburger Filmakademie entstandener Diplomfilm. "A bout de souffle", außer Atem in Leipzig, so könnte man dieses rau-rasante, digital gedrehte Kinostück mit Anklängen an die französische "Nouvelle Vague" der sechziger Jahre und das deutsche Action-Kino eines Roland Klick stilistisch auf den Begriff bringen. Schnelles Genre-Kino über Liebesgeschichten zwischen Leuten, die "gefühlsverstockt" sind. Eine Hoffnung für das deutsche Autorenkino der Zukunft.