Sommerspiele zum dritten Mal nach 1936 und 1972 in Deutschland, dieser Traum der fünf Bewerber Hamburg, Leipzig, Frankfurt/Main, Düsseldorf und Stuttgart ist nicht leicht zu verwirklichen. Die Mitbewerber für die finale Entscheidung im Juli des Jahres 2005 sind Metropolen vom Kaliber New Yorks, Madrids oder von Paris. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Jacques Rogge.
Wir haben nichts dagegen, wenn sich auch Nicht-Metropolen bewerben. In Deutschland ist das sowieso der Fall, denn Berlin beteiligt sich ja nicht. Aber man braucht eine kritische Masse, die kritische Masse hängt vor allem von der Bevölkerung ab, vom Unterkunftsaufkommen. Wir brauchen alleine rund 25 000 Hotelzimmer guter Qualität, das schließt von vorne herein eine ganze Reihe von Städten aus, die das nicht haben. Es stimmt, das wir diesmal viele prestigeträchtige Städte dabei haben, alles Hauptstädte mit einem besonderen Flair und darüber freuen wir uns. Denn das spiegelt die Popularität der Spiele in all diesen Ländern wieder.
In den anderen Ländern ist die Auswahl der Kandidaten nicht so aufwändig. Das NOK für Deutschland entschied sich für ein intensives, kostspieliges, kompliziertes und - wie sich erwartungsgemäß immer mehr zeigt- problematisches Auswahlverfahren im Internen. Der IOC-Präsident hat diesen deutschen Weg mit gemischten Gefühlen verfolgt:
Auf der einen Seite sind wir glücklich über den Enthusiasmus, über die positive Unterstützung aller deutschen Städte. Das ist sehr wichtig um die Werte des Sports in deutschlands hochzuhalten. Auf der anderen Seite hätten wir gern eine Situation, wo nicht zu viel Geld ausgegeben wird.
Der lange Bewerberprozess diente auch dem Vorhaben, die Situation des Sports in den Regionen der fünf Kandidaten im Speziellen und in Deutschland im allgemeinen zu verbessern. Es geht um Sport-Infrastruktur, damit verbunden um die gesamte Sportförderung.
Der interne Prozess der Kandidatenkür, wie er jetzt abgeschlossen wird, ist das eine, der Weg bis zur erlösenden Mitteilung des IOC-Präsidenten "The Winner is..." der andere - weitaus länger und problemreicher. Er kostet den Bewerber viel, der am Ende dann bei einem Scheitern nicht viel mehr in der Hand hat als eine äußerst kostspiele Image-und Tourismuswerbung. Zwar werden die Kosten teilweise von Sponsoren übernommen, aber vorwiegend muß der Steuerzahler dafür geradestehen. Dieser Umstand könnte zum Beispiel die Düsseldorfer Bewerbung gefährden. Dort läuft zur Zeit ein Bürgerbeghren gegen die Finanzgarantie des Stadtrates für die internationale Bewerbung. Ursel Fuchs.
Ich bin Sprecherin eines Bürgerbegehrens, worin der Rat der Stadt eine sehr umfassende Garantie dem NOK übergibt, und zwar betrifft sie zweierlei. Sie ist ein Blankoscheck, sie betrifft die Garantiesumme von 50 Millionen Euro für die zweite, internationale Bewerbungsphase von 2003 bis 2005, davon übernimmt die Stadt Düsseldorf 14 Millionen, den Rest teilen sich das Land NRW und der Zweckverband Rhein-Ruhr, aber Düsseldorf ist in obligo für die gesamte Summe und niemand weiß, ob aus den 50 Millionen nicht noch ein paar mehr werden.
Bis zu dieser Woche haben Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger schon 12 000 von 13 000 notwendigen Unterschriften gesammelt. Erst im Mai entscheiden die Stadtväter endgültig darüber, rein theoretisch könnte deren Finanzgarantie dann noch widerrufen werden. Bei allen Olympia-Interessenten ist der wirtschaftliche Erfolg der Gastgeber das Lieblingsargument. Die Frankfurter Bewerbungs GmbH hat eine entsprechende Studie erstellen lassen. Deren Chef Hans Jochen Weiss.
Na, so als alter Wirtschaftsprüfer sage ich mal, wir haben ja errechnet, dass die Spiele rund vier Milliarden bringen. Und bei dieser Wirtschaftslage, die wir haben, die düsteren Aussichten, der Irak-Krieg, brauchten wir dringend mal was, was Geld bringt, was einen Impuls gibt, der von außen kommt und der positiv belegt ist. Insofern denke ich, braucht Deutschland Olympische Spiele.
Vor solchen Studien aber warnt Professor Gert G. Wagner. Er ist Forschungsdirektor beim Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Da werde mit Hypothesen gearbeitet, und je nach Variation dieser Annahmen komme unterm Strich ein Plus oder Minus heraus. Auch falsch sei es, eine Olympia-Bewerbung mit ökonomischen Argumenten zu unterlegen, denn in der Regel seien sie kein gutes Geschäft. Zu sagen, das Geld, das von der öffentlichen Hand in Olympische Spiele investiert wird, komme drei- oder vierfach zurück, wäre laut Wagner olympisch gesehen, zu kurz gesprungen.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es überhaupt nicht klar, ob Olympische Spiele für eine ganze Volkswirtschaft beziehungsweise eine Region oder eine Stadt ein wirklich gutes Geschäft sind. Es ist ohne Zweifel so, das Olympische Spiele ein gutes Geschäft sind für einige, aber ob es denn netto günstiger ist, Olympische Spielein einer Region zu holen oder besser ein großes Klinikum zu bauen, das attraktiv ist für betuchte Kranke, das ist völlig offen.
Der Wirtschaftsexperte ist nicht grundsätzlich gegen das Bemühen um die Ausrichtung Olympischer Spiele. Falls die Bevölkerung dahinter stehe, solle sie sich das leisten. Die Bewerber jedoch sollten nicht mit zu erwartenden Gewinnen werben. Diese Erlöse würden nur Firmen machen, die im Auftrag der Bewerber arbeiten.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Stichwort im Kampf um Olympia-Tauglichkeit. Die Sportstätten müssen also auch noch nach den Spielen genutzt werden können. In der Vergangenheit gab es dafür ungute Beispiele. Das Olympiastadion in Atlanta, eine Woche lang Heimstätte der besten Leichtathleten der Welt, wurde danach in ein Baseball-Stadion umgebaut.
Schließlich sind olympische Sportarten eine europäische Angelegenheit, deshalb besteht hier die Gefahr nicht. Nur das Olympiastadion könnte für einige Bewerber in der späteren Nutzung ein Problem werden. So ist Düsseldorf beispielsweise noch nicht einmal als Spielort für die in Deutschland stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft 2006 berücksichtigt worden.
Planung und Vorbereitung solcher Großveranstaltungen wie Olympischer Spiele sind eine Zäsur für Politik und Gesellschaft vor Ort. So hat die Bewerbung der Rhein-Ruhr-Region, nicht überraschend, großen Ärger mit Umweltschützern. In Stuttgart protestierten Umweltverbände sporadisch. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele werde zweifelsohne Natur, Umwelt und Landschaft erheblichen Schaden zufügen, warnte Reiner Ehret, Vorsitzender des Landesnaturschutzbundes (LNV). Und der Umweltschutzverband BUND ist der Auffassung, dass sich durch Olympia die ohnehin schlechte Luftqualität in Stuttgart weiter verschlechtern könne.
In Düsseldorf waren die Proteste gegen den Bau des Olympischen Dorfes so harsch, dass sich das äußerst negativ im Evaluierungsbericht des NOK niederschlug. Dabei hatte sich die Rhein-Ruhr GmbH den Nabu als Berater gesichert. Dessen Chef Josef Thumbrink.
Jetzt ist herausgekommen, was wir uns auch wünschen, eine möglichst flächensparende Bebauung. Das, was an Freifläche gebraucht wird, soll temporär bebaut werden, die Bauten werden nachher wieder abgebaut. Das ist zwar auch ein Eingriff in die Natur, nur der wird aber auch dauerhaft ausgeglichen und Rheinauen, Rheindeich, das Naturschutzgebiet, bleibt auch außen vor.
Die Anwohner und Bewohner des ländlichen Stadtteils Lörick fürchten dagegen um einen gewachsenen dörflichen Stadtteil von Düsseldorf, der bisher als Naherholungsziel direkt am Rhein geschätzt wird. Mit dem Bau des Olympischen Dorfes würde dies langfristig zerstört, Existenzen würden gefährdet, erläutert Ursel Fuchs, Sprecherin der Initiative "Rettet die Rheinauen". O-Ton Fuchs Die es besonders schwer trifft und die nachhaltig drunter leiden, das sind die Landwirte. Da ist ein Biobauer, der in 10 Jahren Arbeit Pachtland so bearbeitet hat, das es biologisches Gemüse und Obst trägt. Das kann man nicht durch Ausgleichsflächen ersetzen, man kann nicht so irgendwo so eben Mal einen Bioacker aus dem Boden stampfen.
Doch Vernunftgründe wie Umweltschutz sind immer weiter in den Hintergrund gerückt, seit Olympische Spiele 1984 in Los Angeles erstmals nicht mit staatlich-behördlichem Segen, sondern rein privat stattfanden und mit einem großen finanziellen Gewinn für Gastgeber und IOC endeten. Fecht-Olympiasieger Thomas Bach, heute Vizepräsident des IOC, damals in seiner Eigenschaft als Athletenvertreter im IOC:
Das Eine ist die Frage, ob wir heute ohne diese Kommerzialisierung überhaupt noch Spiele hätten. Es gäbe keine Veranstalter mehr, wir haben schon für 1984 keinen Veranstalter mehr gehabt. Dann kam Los Angeles und sagte, nur mit einer gewissen Kommerzialisierung werden wir diese Spiele machen. Das heißt, es war die Frage, wie konnten diese Spiele organisierbar, durchführbar, finanzierbar gemacht werden. Das ist durch die Kommerzialisierung gelöst und man ist Gottseidank, ich sage das aus der persönlichen Erfahrung mit der Politik, man ist gottseidank von der Politik weg, die uns damals wirklich als Knüppel missbraucht hat oder auch als Feigenblatt in ihrer ansonsten durchaus nachgiebigen Haltung.
Seit dieser Zeit ist Olympia zu einem riesigen Geschäft geworden. Athen als Ausrichter der Sommerspiele 2004 , zum Beispiel, kassiert alleine aus den Vermarktung und Fernseheinnahmen eine Milliarde US-Dollar.
Kein Wunder, dass auch deutsche Städte ein Stück von diesem Kuchen haben wollen. Da die Bundeshauptstadt Berlin ebenso verzichtet hat wie München mit einem möglichen Olympia-Revival von 1972 stellt sich der Wettkampf der fünf Kandidaten für 2012 als ziemlich offenes Duell dar.
Bewerber Düsseldorf hat als Leitmotiv "So bunt wie die Welt" gewählt, ein Hinweis auf den multikulturellen Aspekt in dieser bevölkerungsreichen Rhein-Ruhr-Region. Die Wettkampfstätten sind international vielfach bewährt, hier hat der Sport eine Heimstatt. Der große Nachteil ist die regionale Ausdehnung: Reiten in Aachen, Rudern in Köln, Leichtathletik in Düsseldorf, Kanu in Duisburg, Handball in Dortmund - eine Summierung von Einzel-Weltmeisterschaften, sagen die Kritiker. Andererseits: Wirtschaftlich machte dieses Modell schon einen Sinn. Nordrhein-Westfalens Sportminister Michael Vesper:
Bei uns muss ja kaum noch etwas gebaut oder versiegelt werden, bei uns stehen die Gebäude, sie müssen erweitert und modernisiert werden, das ja. Aber sie müssen nicht völlig neu gebaut werden, also wo andere Pläne und Simulationen vorzeigen müssen, da können wir auf Gebäude hinweisen.
Frankfurt, Mainhattan genannt wegen der Skyline, aus der die Bankengebäude herausragen. Hier ist monetäre Kompetenz versammelt, womit das IOC durchaus zu beeindrucken ist. Es ist der internationalste aller Bewerber, auch das europäische Drehkreuz im Flugverkehr. Ministerpräsident Roland Koch sagt:
Ich glaube, dass wir in den Bewerbungsverfahren bewiesen haben, dass wir sehr, sehr gute Sportstätten errichten können, dass wir ein tolles logistisches Konzept haben, das bestreitet auch alles niemand. Ich denke, dass den Ausschlag geben wird, wir sind die Stadt, die große Chance hat, auch international zu gewinnen, denn wir sind international der bekannteste Knotenpunkt Deutschland.
Kapitalistischer Kälte haben die Frankfurter auf ihre Weise entgegengewirkt: Mit der starken Beteiligung von Schulen am Werbefeldzug und mit einer eindrucksvollen Kampagne, bei der sich Tausende freiwillige Helfer gemeldet haben für eine Sache, die noch in den Sternen steht.
Mit dem einprägsamen Slogan "Feuer und Flamme" wirbt Hamburg um die Gunst der NOK-Delegierten. Eine Stadt, in der Spitzensport eingeschlafen schien, wurde durch Olympia wachgeküsst. Der Schulterschluss mit der Politik und der hanseatischen Wirtschaft vollzog sich unglaublich schnell. Als krasser Außenseiter gestartet, hat das Konzept "Olympia im Stadtzentrum" die Hamburger an die Spitze katapultiert. Die Faszination von Spielen am Wasser zeigt ihre Wirkung. Ein Wassersportler ist auch Geschäftsführer der Bewerbung, der Ruder-Olympiasieger von 1960 Horst Meyer:
Dieses hervorragende Konzept für die Beherbergung auf den Kreuzfahrtschiffen, das Olympische Dorf so nahe zum Sportzentrum. Und das lässt sich ja in einem Bild gut ausdrücken, das sind schon Highlights, die sich auch sehr gut vermitteln lassen.
"Spiele mit uns" fordert Leipzig, das auf eine überdurchschnittlich große Sportbegeisterung seiner Bevölkerung verweist. Politisch wäre die Frage nach dem besten Kandidaten schnell entschieden: Von Alt-Kanzler Kohl über Ex-Außenminister Genscher bis Bundestags-Präsident Thierse hat sich eine übergroße Koalition der Leipzig-Befürworter gefunden. Eine Entscheidung für die Sachsen-Metropole wäre ein Wechsel auf die Zukunft, die Krönung für die aus der sogenannten Heldenstadt" hervorgegangene friedliche DDR-Revolution. Der Olympia-Beauftragte Burkhard Jung:
Wir haben eine Geschichte, die in 89 in der friedlichen Revolution wurzelt, die international sehr gut verstanden wird, die überall auf der Welt verstanden wird. Sie können das buchstabieren und kommunizieren und es passt zur olympischen Idee der Völkerverständigung, des Friedens, den letztlich Pierre de Coubertin im Sinne hatte, als er die Spiele der Neuzeit ins Leben rief.
Die "Faszination Stuttgart" hatte die NOK-Experten noch nicht erfasst, aber das kann sich ändern: Der Kandidat baut auf die bewährte schwäbische Mischung von Zuverlässigkeit und Innovation, wie sie die Autobauer Daimler-Benz und Porsche repräsentieren. Spiele in Stuttgart wären ein Publikumserfolg, zahlenmäßig ohnehin, aber auch wegen der Fairness der Zuschauer, die dafür mehrfach ausgezeichnet wurden. Geschäftsführer Raimund Gründler:
Wir haben im zentralen Park am Cannstatter Wasn 44 Prozent der Medaillenentscheidungen vorgesehen. Zu diesen Medaillenentscheidungen können die Sportler zu Fuß gehen, 84 Prozent der Medaillenentscheidungen werden in einem Umkreis von 12 Kilometern um das Olympische Dorf stattfinden.
In der langen nationalen Bewerbungsphase wird mit allen möglichen Tricks gearbeitet. NOK-Präsident Klaus Steinbach hatte die fünf Bewerber zu einem Fair-Play-Abkommen unter der Ägide von Bundespräsident Johannes Rau verpflichtet:
Das ist hochinteressant, die Olympiade zu bekommen und dann neigt man natürlich dazu, seine eigene Bewerbung allein zu sehen und nicht die der übrigen auch. Deshalb finde ich es gut, das über Fairness gesprochen wird, bis zum 12. April und auch nach dem 12. April, denn dann sollen ja alle Deutschen mitwirken, dass Olympia 2012 gelingt.
Kurz vor der Stunde der Entscheidung also wird der Ton schärfer unter den fünf Kandidaten. Jüngstes Beispiel ist ein internes Papier aus der Autorenschaft eines in der Bewertung wenig gut weggekommenen Kandidaten, das dem Deutschlandfunk vorliegt.
Darin werden der NOK-Expertenkommission gravierende Fehler vorgeworfen. Sie habe, zum Beispiel, Sicherheitsfragen und Kriminalstatistiken sowie die Finanzkraft der Kommunen und Bundesländer nicht gewertet, Zitat: "Teilweise werden Äpfel mit Birnen verglichen". Gegen Leipzig wird unter anderem vorgebracht, die Besitzverhältnisse beim Olympischen Dorf seien vielfach ungeklärt, die Medienschaffenden müssten in Containern arbeiten und in Schlafwagen logieren.
Hamburg werden "Fehlende Trainingsstätten beim Olympischen Dorf" attestiert, vor allem aber werden die Sicherheitsprobleme im Hafengelände, beim Olympiazentrum sowie im Olympischen Dorf "von Land- und Wasserseite" als erheblich dargestellt.
Zu beiden Kandidaten, Hamburg und Leipzig, wird in dem Papier kritisiert, sie würden das IOC-Kriterium nicht erfüllen, wonach eine Olympiastadt im Radius von 50 Kilometern mindestens 3 Millionen Einwohner haben solle. Für Hamburg wurden 2,7 Millionen, für Leipzig gar nur 1,3 Mio. Menschen errechnet.
In den angesprochenen Bewerberstädten reagiert man mit demonstrativer Gelassenheit auf diese Angriffe. Die Autoren des Papiers könnten keine Fachleute gewesen sein, heißt es etwa aus Hamburg. Denn wenn von der Hansestadt wörtliche verlangt wird, "Auswirkungen von Sturm- und Springfluten müssen geprüft werden", so wisse an der Küste jedes Kind, dass so etwas im Sommer, also zu Zeiten Olympischer Spiele, nicht möglich sei. Horst Meyer, Geschäftsführer der Hamburger Olympia-Bewerbung:
Also, für unsere Truppe gilt, hier das wirklich runterzukochen und nicht auf jedes zu reagieren, was unter der Gürtellinie ist. Ich kann nicht alle beeinflussen, besonders wenn auf politischer Ebene so alte Wunden aufbrechen. Das kriegt man natürlich nicht ohne Weiteres in den Griff. Da versuche ich eher gelassen zu reagieren.
Interessant ist die im Intern-Papier enthaltene Feststellung, "die Mehrzahl der Verbände hat keine Vor-Ort-Evaluierung vorgenommen". Will heißen: Die Sportverbände, die die Majorität der Stimmen haben, entscheiden am Samstag auch über Wettkampfstätten, die sie zum Teil gar nicht inspiziert haben. Was der Kritik an einem möglicherweise nicht unvoreingenommenen Wahlverhalten der Sport-Funktionäre neue Nahrung gibt. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzung lieferten sich diese Woche der für die Düsseldorfer Rhein/Ruhr-Region agierende DSB-Vizepräsident Ullrich Feldhoff und Hamburgs Olympia-Beauftragter Henning Voscherau. Unlauterer Stimmenfang war der Vorwurf, miese Attacke die Replik. Voscherau, ehemaliger Erster Bürgermeister der Hansestadt, präzisiert noch einmal:
Ich habe in der Bundespolitik, Bundesrat, Ministerpräsidenten-Konferenz und auch im Zusammenhang und Tauziehen mit dem Bundestag und den Parteien oftmals erlebt, das nicht immer die besten Argumente entschieden haben. Und ich betrachte diese zentrifugale Tendenz in der deutschen Geschichte und Politik als eine wenig diskutierte Hauptursache für die gegenwärtige Performance, seit Roman Herzogs Adlon-Rede, für das, was Newsweek nannte, the german disease und ich finde nicht, dass ich der Sport daran ein Vorbild nehmen sollte.
So oder so, spätestens jetzt bewahrheitet sich die Befürchtung, das unter dem Patronat von Bundespräsident Rau vereinbarte Fairness-Abkommen der fünf deutschen Olympia-Bewerber ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde.
Wir haben nichts dagegen, wenn sich auch Nicht-Metropolen bewerben. In Deutschland ist das sowieso der Fall, denn Berlin beteiligt sich ja nicht. Aber man braucht eine kritische Masse, die kritische Masse hängt vor allem von der Bevölkerung ab, vom Unterkunftsaufkommen. Wir brauchen alleine rund 25 000 Hotelzimmer guter Qualität, das schließt von vorne herein eine ganze Reihe von Städten aus, die das nicht haben. Es stimmt, das wir diesmal viele prestigeträchtige Städte dabei haben, alles Hauptstädte mit einem besonderen Flair und darüber freuen wir uns. Denn das spiegelt die Popularität der Spiele in all diesen Ländern wieder.
In den anderen Ländern ist die Auswahl der Kandidaten nicht so aufwändig. Das NOK für Deutschland entschied sich für ein intensives, kostspieliges, kompliziertes und - wie sich erwartungsgemäß immer mehr zeigt- problematisches Auswahlverfahren im Internen. Der IOC-Präsident hat diesen deutschen Weg mit gemischten Gefühlen verfolgt:
Auf der einen Seite sind wir glücklich über den Enthusiasmus, über die positive Unterstützung aller deutschen Städte. Das ist sehr wichtig um die Werte des Sports in deutschlands hochzuhalten. Auf der anderen Seite hätten wir gern eine Situation, wo nicht zu viel Geld ausgegeben wird.
Der lange Bewerberprozess diente auch dem Vorhaben, die Situation des Sports in den Regionen der fünf Kandidaten im Speziellen und in Deutschland im allgemeinen zu verbessern. Es geht um Sport-Infrastruktur, damit verbunden um die gesamte Sportförderung.
Der interne Prozess der Kandidatenkür, wie er jetzt abgeschlossen wird, ist das eine, der Weg bis zur erlösenden Mitteilung des IOC-Präsidenten "The Winner is..." der andere - weitaus länger und problemreicher. Er kostet den Bewerber viel, der am Ende dann bei einem Scheitern nicht viel mehr in der Hand hat als eine äußerst kostspiele Image-und Tourismuswerbung. Zwar werden die Kosten teilweise von Sponsoren übernommen, aber vorwiegend muß der Steuerzahler dafür geradestehen. Dieser Umstand könnte zum Beispiel die Düsseldorfer Bewerbung gefährden. Dort läuft zur Zeit ein Bürgerbeghren gegen die Finanzgarantie des Stadtrates für die internationale Bewerbung. Ursel Fuchs.
Ich bin Sprecherin eines Bürgerbegehrens, worin der Rat der Stadt eine sehr umfassende Garantie dem NOK übergibt, und zwar betrifft sie zweierlei. Sie ist ein Blankoscheck, sie betrifft die Garantiesumme von 50 Millionen Euro für die zweite, internationale Bewerbungsphase von 2003 bis 2005, davon übernimmt die Stadt Düsseldorf 14 Millionen, den Rest teilen sich das Land NRW und der Zweckverband Rhein-Ruhr, aber Düsseldorf ist in obligo für die gesamte Summe und niemand weiß, ob aus den 50 Millionen nicht noch ein paar mehr werden.
Bis zu dieser Woche haben Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger schon 12 000 von 13 000 notwendigen Unterschriften gesammelt. Erst im Mai entscheiden die Stadtväter endgültig darüber, rein theoretisch könnte deren Finanzgarantie dann noch widerrufen werden. Bei allen Olympia-Interessenten ist der wirtschaftliche Erfolg der Gastgeber das Lieblingsargument. Die Frankfurter Bewerbungs GmbH hat eine entsprechende Studie erstellen lassen. Deren Chef Hans Jochen Weiss.
Na, so als alter Wirtschaftsprüfer sage ich mal, wir haben ja errechnet, dass die Spiele rund vier Milliarden bringen. Und bei dieser Wirtschaftslage, die wir haben, die düsteren Aussichten, der Irak-Krieg, brauchten wir dringend mal was, was Geld bringt, was einen Impuls gibt, der von außen kommt und der positiv belegt ist. Insofern denke ich, braucht Deutschland Olympische Spiele.
Vor solchen Studien aber warnt Professor Gert G. Wagner. Er ist Forschungsdirektor beim Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Da werde mit Hypothesen gearbeitet, und je nach Variation dieser Annahmen komme unterm Strich ein Plus oder Minus heraus. Auch falsch sei es, eine Olympia-Bewerbung mit ökonomischen Argumenten zu unterlegen, denn in der Regel seien sie kein gutes Geschäft. Zu sagen, das Geld, das von der öffentlichen Hand in Olympische Spiele investiert wird, komme drei- oder vierfach zurück, wäre laut Wagner olympisch gesehen, zu kurz gesprungen.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es überhaupt nicht klar, ob Olympische Spiele für eine ganze Volkswirtschaft beziehungsweise eine Region oder eine Stadt ein wirklich gutes Geschäft sind. Es ist ohne Zweifel so, das Olympische Spiele ein gutes Geschäft sind für einige, aber ob es denn netto günstiger ist, Olympische Spielein einer Region zu holen oder besser ein großes Klinikum zu bauen, das attraktiv ist für betuchte Kranke, das ist völlig offen.
Der Wirtschaftsexperte ist nicht grundsätzlich gegen das Bemühen um die Ausrichtung Olympischer Spiele. Falls die Bevölkerung dahinter stehe, solle sie sich das leisten. Die Bewerber jedoch sollten nicht mit zu erwartenden Gewinnen werben. Diese Erlöse würden nur Firmen machen, die im Auftrag der Bewerber arbeiten.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Stichwort im Kampf um Olympia-Tauglichkeit. Die Sportstätten müssen also auch noch nach den Spielen genutzt werden können. In der Vergangenheit gab es dafür ungute Beispiele. Das Olympiastadion in Atlanta, eine Woche lang Heimstätte der besten Leichtathleten der Welt, wurde danach in ein Baseball-Stadion umgebaut.
Schließlich sind olympische Sportarten eine europäische Angelegenheit, deshalb besteht hier die Gefahr nicht. Nur das Olympiastadion könnte für einige Bewerber in der späteren Nutzung ein Problem werden. So ist Düsseldorf beispielsweise noch nicht einmal als Spielort für die in Deutschland stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft 2006 berücksichtigt worden.
Planung und Vorbereitung solcher Großveranstaltungen wie Olympischer Spiele sind eine Zäsur für Politik und Gesellschaft vor Ort. So hat die Bewerbung der Rhein-Ruhr-Region, nicht überraschend, großen Ärger mit Umweltschützern. In Stuttgart protestierten Umweltverbände sporadisch. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele werde zweifelsohne Natur, Umwelt und Landschaft erheblichen Schaden zufügen, warnte Reiner Ehret, Vorsitzender des Landesnaturschutzbundes (LNV). Und der Umweltschutzverband BUND ist der Auffassung, dass sich durch Olympia die ohnehin schlechte Luftqualität in Stuttgart weiter verschlechtern könne.
In Düsseldorf waren die Proteste gegen den Bau des Olympischen Dorfes so harsch, dass sich das äußerst negativ im Evaluierungsbericht des NOK niederschlug. Dabei hatte sich die Rhein-Ruhr GmbH den Nabu als Berater gesichert. Dessen Chef Josef Thumbrink.
Jetzt ist herausgekommen, was wir uns auch wünschen, eine möglichst flächensparende Bebauung. Das, was an Freifläche gebraucht wird, soll temporär bebaut werden, die Bauten werden nachher wieder abgebaut. Das ist zwar auch ein Eingriff in die Natur, nur der wird aber auch dauerhaft ausgeglichen und Rheinauen, Rheindeich, das Naturschutzgebiet, bleibt auch außen vor.
Die Anwohner und Bewohner des ländlichen Stadtteils Lörick fürchten dagegen um einen gewachsenen dörflichen Stadtteil von Düsseldorf, der bisher als Naherholungsziel direkt am Rhein geschätzt wird. Mit dem Bau des Olympischen Dorfes würde dies langfristig zerstört, Existenzen würden gefährdet, erläutert Ursel Fuchs, Sprecherin der Initiative "Rettet die Rheinauen". O-Ton Fuchs Die es besonders schwer trifft und die nachhaltig drunter leiden, das sind die Landwirte. Da ist ein Biobauer, der in 10 Jahren Arbeit Pachtland so bearbeitet hat, das es biologisches Gemüse und Obst trägt. Das kann man nicht durch Ausgleichsflächen ersetzen, man kann nicht so irgendwo so eben Mal einen Bioacker aus dem Boden stampfen.
Doch Vernunftgründe wie Umweltschutz sind immer weiter in den Hintergrund gerückt, seit Olympische Spiele 1984 in Los Angeles erstmals nicht mit staatlich-behördlichem Segen, sondern rein privat stattfanden und mit einem großen finanziellen Gewinn für Gastgeber und IOC endeten. Fecht-Olympiasieger Thomas Bach, heute Vizepräsident des IOC, damals in seiner Eigenschaft als Athletenvertreter im IOC:
Das Eine ist die Frage, ob wir heute ohne diese Kommerzialisierung überhaupt noch Spiele hätten. Es gäbe keine Veranstalter mehr, wir haben schon für 1984 keinen Veranstalter mehr gehabt. Dann kam Los Angeles und sagte, nur mit einer gewissen Kommerzialisierung werden wir diese Spiele machen. Das heißt, es war die Frage, wie konnten diese Spiele organisierbar, durchführbar, finanzierbar gemacht werden. Das ist durch die Kommerzialisierung gelöst und man ist Gottseidank, ich sage das aus der persönlichen Erfahrung mit der Politik, man ist gottseidank von der Politik weg, die uns damals wirklich als Knüppel missbraucht hat oder auch als Feigenblatt in ihrer ansonsten durchaus nachgiebigen Haltung.
Seit dieser Zeit ist Olympia zu einem riesigen Geschäft geworden. Athen als Ausrichter der Sommerspiele 2004 , zum Beispiel, kassiert alleine aus den Vermarktung und Fernseheinnahmen eine Milliarde US-Dollar.
Kein Wunder, dass auch deutsche Städte ein Stück von diesem Kuchen haben wollen. Da die Bundeshauptstadt Berlin ebenso verzichtet hat wie München mit einem möglichen Olympia-Revival von 1972 stellt sich der Wettkampf der fünf Kandidaten für 2012 als ziemlich offenes Duell dar.
Bewerber Düsseldorf hat als Leitmotiv "So bunt wie die Welt" gewählt, ein Hinweis auf den multikulturellen Aspekt in dieser bevölkerungsreichen Rhein-Ruhr-Region. Die Wettkampfstätten sind international vielfach bewährt, hier hat der Sport eine Heimstatt. Der große Nachteil ist die regionale Ausdehnung: Reiten in Aachen, Rudern in Köln, Leichtathletik in Düsseldorf, Kanu in Duisburg, Handball in Dortmund - eine Summierung von Einzel-Weltmeisterschaften, sagen die Kritiker. Andererseits: Wirtschaftlich machte dieses Modell schon einen Sinn. Nordrhein-Westfalens Sportminister Michael Vesper:
Bei uns muss ja kaum noch etwas gebaut oder versiegelt werden, bei uns stehen die Gebäude, sie müssen erweitert und modernisiert werden, das ja. Aber sie müssen nicht völlig neu gebaut werden, also wo andere Pläne und Simulationen vorzeigen müssen, da können wir auf Gebäude hinweisen.
Frankfurt, Mainhattan genannt wegen der Skyline, aus der die Bankengebäude herausragen. Hier ist monetäre Kompetenz versammelt, womit das IOC durchaus zu beeindrucken ist. Es ist der internationalste aller Bewerber, auch das europäische Drehkreuz im Flugverkehr. Ministerpräsident Roland Koch sagt:
Ich glaube, dass wir in den Bewerbungsverfahren bewiesen haben, dass wir sehr, sehr gute Sportstätten errichten können, dass wir ein tolles logistisches Konzept haben, das bestreitet auch alles niemand. Ich denke, dass den Ausschlag geben wird, wir sind die Stadt, die große Chance hat, auch international zu gewinnen, denn wir sind international der bekannteste Knotenpunkt Deutschland.
Kapitalistischer Kälte haben die Frankfurter auf ihre Weise entgegengewirkt: Mit der starken Beteiligung von Schulen am Werbefeldzug und mit einer eindrucksvollen Kampagne, bei der sich Tausende freiwillige Helfer gemeldet haben für eine Sache, die noch in den Sternen steht.
Mit dem einprägsamen Slogan "Feuer und Flamme" wirbt Hamburg um die Gunst der NOK-Delegierten. Eine Stadt, in der Spitzensport eingeschlafen schien, wurde durch Olympia wachgeküsst. Der Schulterschluss mit der Politik und der hanseatischen Wirtschaft vollzog sich unglaublich schnell. Als krasser Außenseiter gestartet, hat das Konzept "Olympia im Stadtzentrum" die Hamburger an die Spitze katapultiert. Die Faszination von Spielen am Wasser zeigt ihre Wirkung. Ein Wassersportler ist auch Geschäftsführer der Bewerbung, der Ruder-Olympiasieger von 1960 Horst Meyer:
Dieses hervorragende Konzept für die Beherbergung auf den Kreuzfahrtschiffen, das Olympische Dorf so nahe zum Sportzentrum. Und das lässt sich ja in einem Bild gut ausdrücken, das sind schon Highlights, die sich auch sehr gut vermitteln lassen.
"Spiele mit uns" fordert Leipzig, das auf eine überdurchschnittlich große Sportbegeisterung seiner Bevölkerung verweist. Politisch wäre die Frage nach dem besten Kandidaten schnell entschieden: Von Alt-Kanzler Kohl über Ex-Außenminister Genscher bis Bundestags-Präsident Thierse hat sich eine übergroße Koalition der Leipzig-Befürworter gefunden. Eine Entscheidung für die Sachsen-Metropole wäre ein Wechsel auf die Zukunft, die Krönung für die aus der sogenannten Heldenstadt" hervorgegangene friedliche DDR-Revolution. Der Olympia-Beauftragte Burkhard Jung:
Wir haben eine Geschichte, die in 89 in der friedlichen Revolution wurzelt, die international sehr gut verstanden wird, die überall auf der Welt verstanden wird. Sie können das buchstabieren und kommunizieren und es passt zur olympischen Idee der Völkerverständigung, des Friedens, den letztlich Pierre de Coubertin im Sinne hatte, als er die Spiele der Neuzeit ins Leben rief.
Die "Faszination Stuttgart" hatte die NOK-Experten noch nicht erfasst, aber das kann sich ändern: Der Kandidat baut auf die bewährte schwäbische Mischung von Zuverlässigkeit und Innovation, wie sie die Autobauer Daimler-Benz und Porsche repräsentieren. Spiele in Stuttgart wären ein Publikumserfolg, zahlenmäßig ohnehin, aber auch wegen der Fairness der Zuschauer, die dafür mehrfach ausgezeichnet wurden. Geschäftsführer Raimund Gründler:
Wir haben im zentralen Park am Cannstatter Wasn 44 Prozent der Medaillenentscheidungen vorgesehen. Zu diesen Medaillenentscheidungen können die Sportler zu Fuß gehen, 84 Prozent der Medaillenentscheidungen werden in einem Umkreis von 12 Kilometern um das Olympische Dorf stattfinden.
In der langen nationalen Bewerbungsphase wird mit allen möglichen Tricks gearbeitet. NOK-Präsident Klaus Steinbach hatte die fünf Bewerber zu einem Fair-Play-Abkommen unter der Ägide von Bundespräsident Johannes Rau verpflichtet:
Das ist hochinteressant, die Olympiade zu bekommen und dann neigt man natürlich dazu, seine eigene Bewerbung allein zu sehen und nicht die der übrigen auch. Deshalb finde ich es gut, das über Fairness gesprochen wird, bis zum 12. April und auch nach dem 12. April, denn dann sollen ja alle Deutschen mitwirken, dass Olympia 2012 gelingt.
Kurz vor der Stunde der Entscheidung also wird der Ton schärfer unter den fünf Kandidaten. Jüngstes Beispiel ist ein internes Papier aus der Autorenschaft eines in der Bewertung wenig gut weggekommenen Kandidaten, das dem Deutschlandfunk vorliegt.
Darin werden der NOK-Expertenkommission gravierende Fehler vorgeworfen. Sie habe, zum Beispiel, Sicherheitsfragen und Kriminalstatistiken sowie die Finanzkraft der Kommunen und Bundesländer nicht gewertet, Zitat: "Teilweise werden Äpfel mit Birnen verglichen". Gegen Leipzig wird unter anderem vorgebracht, die Besitzverhältnisse beim Olympischen Dorf seien vielfach ungeklärt, die Medienschaffenden müssten in Containern arbeiten und in Schlafwagen logieren.
Hamburg werden "Fehlende Trainingsstätten beim Olympischen Dorf" attestiert, vor allem aber werden die Sicherheitsprobleme im Hafengelände, beim Olympiazentrum sowie im Olympischen Dorf "von Land- und Wasserseite" als erheblich dargestellt.
Zu beiden Kandidaten, Hamburg und Leipzig, wird in dem Papier kritisiert, sie würden das IOC-Kriterium nicht erfüllen, wonach eine Olympiastadt im Radius von 50 Kilometern mindestens 3 Millionen Einwohner haben solle. Für Hamburg wurden 2,7 Millionen, für Leipzig gar nur 1,3 Mio. Menschen errechnet.
In den angesprochenen Bewerberstädten reagiert man mit demonstrativer Gelassenheit auf diese Angriffe. Die Autoren des Papiers könnten keine Fachleute gewesen sein, heißt es etwa aus Hamburg. Denn wenn von der Hansestadt wörtliche verlangt wird, "Auswirkungen von Sturm- und Springfluten müssen geprüft werden", so wisse an der Küste jedes Kind, dass so etwas im Sommer, also zu Zeiten Olympischer Spiele, nicht möglich sei. Horst Meyer, Geschäftsführer der Hamburger Olympia-Bewerbung:
Also, für unsere Truppe gilt, hier das wirklich runterzukochen und nicht auf jedes zu reagieren, was unter der Gürtellinie ist. Ich kann nicht alle beeinflussen, besonders wenn auf politischer Ebene so alte Wunden aufbrechen. Das kriegt man natürlich nicht ohne Weiteres in den Griff. Da versuche ich eher gelassen zu reagieren.
Interessant ist die im Intern-Papier enthaltene Feststellung, "die Mehrzahl der Verbände hat keine Vor-Ort-Evaluierung vorgenommen". Will heißen: Die Sportverbände, die die Majorität der Stimmen haben, entscheiden am Samstag auch über Wettkampfstätten, die sie zum Teil gar nicht inspiziert haben. Was der Kritik an einem möglicherweise nicht unvoreingenommenen Wahlverhalten der Sport-Funktionäre neue Nahrung gibt. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzung lieferten sich diese Woche der für die Düsseldorfer Rhein/Ruhr-Region agierende DSB-Vizepräsident Ullrich Feldhoff und Hamburgs Olympia-Beauftragter Henning Voscherau. Unlauterer Stimmenfang war der Vorwurf, miese Attacke die Replik. Voscherau, ehemaliger Erster Bürgermeister der Hansestadt, präzisiert noch einmal:
Ich habe in der Bundespolitik, Bundesrat, Ministerpräsidenten-Konferenz und auch im Zusammenhang und Tauziehen mit dem Bundestag und den Parteien oftmals erlebt, das nicht immer die besten Argumente entschieden haben. Und ich betrachte diese zentrifugale Tendenz in der deutschen Geschichte und Politik als eine wenig diskutierte Hauptursache für die gegenwärtige Performance, seit Roman Herzogs Adlon-Rede, für das, was Newsweek nannte, the german disease und ich finde nicht, dass ich der Sport daran ein Vorbild nehmen sollte.
So oder so, spätestens jetzt bewahrheitet sich die Befürchtung, das unter dem Patronat von Bundespräsident Rau vereinbarte Fairness-Abkommen der fünf deutschen Olympia-Bewerber ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde.