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Der dialogische Holzwurm

Paul Claudels "Der Tausch" handelt von der zunehmenden Kommerzialisierung menschlicher Beziehungen. In Zürich inszenierte Christof Loy eine Neuübersetzung von Herbert Meier - heraus kam ein theatralischer Scherbenhaufen.

Von Cornelie Ueding |
    Ein raumbreiter Spielsteg zwischen den kassettierten Betonwänden der Box im Schiffbau – darauf zwei ebenso breite, massive Holzbalken, gestuft, unter einer erdrückend niedrig gehängten Holzdecke – diese Bühne ist für Claudels Figuren in Zürich die Falle, aus der es so wenig ein Entkommen gibt wie aus den fest gefügten Weltbildern im Kopf. Nach ein paar szenischen Momentaufnahmen, Ausschnitten aus einer Art Choreografie der Blicke und Begegnungen, geht's zur Sache,

    Der böse Ökonomismus des skrupellosen Geschäftsmanns Pollock ist Verführung pur. Er will alles einsacken, was ihm über den Weg läuft, auch Menschen, auch das junge Ehepaar Louis und Marthe; er labil bis zur Blödigkeit, sie ebenso glaubensstark wie dauergekränkt und mit mehr als nur der Tendenz zum kruden Dogmatismus. Der Deal gelingt: Louis nimmt das Geld, verkauft das lästig anhängliche Unschuldslamm, seine Frau, an den bösen Geldwolf. War er doch in der Nacht zuvor schon den Reizen von Pollocks derzeitiger Gespielin erlegen. Der Rest ist Reden, jedenfalls in dieser Aufführung.

    Christof Loy ist bei der Inszenierung von Claudels Ende des 19. Jahrhunderts entstandenem, kultur- und kommerzkritischen Erstling "Der Tausch" nach einem bewährten Rezept vorgegangen: Entstauben, Entkernen, Entbeinen. Es mag ihm ein Konzentrat der melodramatisch überfrachteten Vierertragödie zwischen reich und arm, mondän und gläubig, Spiel und Ernst vorgeschwebt haben. Das Resultat der allgemeinen Bemühungen, Neuübersetzung inclusive, ist freilich ein theatralischer Scherbenhaufen.

    Unter dem Staub: ein Situationsnichts. Im Kern – der dialogische Holzwurm. Statt der erhofften Verschlankung – psychologische Dürre. Statt exemplarischer tragischer Konflikte – plakative Zuschreibungen. Statt vielschichtiger Charaktere – platte Figurinen und tönende Phrasen. Sinnsprüche. Allgemeine Betrachtungen, öde Demonstrationen – alles, was das Theater zum Theater macht, ist hier weggeschnitten. Vielleicht um die gefährliche Sinnentleerung unserer Tage ins Blickfeld zu rücken.

    Dabei hat die theatralische Totaloperation dem Stück auch noch die alles umhüllende Esoterik geraubt, statt die Figuren als Opfer ihrer schematischen Denkweisen zu zeigen. Und dem Theater seine Erotik, sodass es zur Klippschule einer falschen neuen Einfachheit degradiert wird.

    Dankenswerterweise hat Regisseur Christof Loy einige Teile des melodramatischen "Tauschs" weggelassen: So den Mord der enttäuschten One-night-stand-Gefährtin an dem Verführten. Hier plant dieser selbstmitleidig den Tod an gebrochenem Herzen – weil er sich plötzlich wieder ganz einsam fühlt ohne den Halt der sinn- und moralgebenden Gattin. Doch diese, halb Model, halb Konfirmandin, und doppelt verraten, ergeht sich nun immer heftiger in bitteren Anklagen. Und der gebeutelte Garnicht-Held sieht sich rettungslos in der Klemme zwischen den moralischen Ergüssen dieser Allegorie der reinen Liebe in der Gestalt Marthes und der zweifachen Versuchung durch Geld und Sex, verkörpert durch die tückische Schauspielerin Lechy, die Inkarnation sündigen Begehrens in düsterem Rot.
    Es folgt der abendliche und nicht minder peinigende Showdown dieser arg verspäteten Moritat: Marthe gerinnt zu einer Symbiose aus Sara Sampson und Antigone, verzeiht, unaufhörlich redend, engelsgleich, alles und jedem, und zieht dem haltlosen Louis das Blutgeld samt der darum verkrampften Hand aus der Tasche. Die raffinierte Verführerin mutiert zum gerupften Huhn und vergießt Tränen der Verzweiflung – und alle sind, wie sich das für eine "klassische Tragödie" gehört, rettungslos verloren. Mitleid und Schrecken – Fehlanzeige. Eher gelinde Wut über anderthalb ewiglange, bleischwere Stunden und eine theatralische Mogelpackung, in der schlicht "nix drin" ist.