Ich bin Herbert Tucmandel, Gründer und Leiter der Vienna Symphonic Library - ein Sample Library Projekt, was sämtliche Maßstäbe in diesem Business um das Hundert- oder Mehrfache sprengt. Wir nehmen hier kontinuierlich auf, im Durchschnitt 300 Tage im Jahr. Wir haben Tausende von Aufnahme-Sessions mit allen erdenklichen Instrumenten, die im Orchester vorkommen, gemacht, solistisch, in Gruppen. Wir bearbeiten das Material, wobei der Arbeitsaufwand für die Nachbearbeitung etwa der zehnfache des Aufwands des Aufnehmens ist. Wir haben hier eine Infrastruktur geschaffen, wo 20 bis 25 Editoren das aufgenommene Material permanent bearbeiten und für die diversen Sampler-Engines konfigurieren.
Das heißt: Dieser Mann hat es auf dem Gewissen, dass künftig nicht nur Pop-Musik, sondern auch so genannte E-Musik ohne reale Musiker eingespielt werden kann. Es ist das größte Sampling-Projekt aller Zeiten und kommt in den nächsten Monaten zum Abschluss. Jeder Ton, den Sie in dieser Sendung hören, stammt von einem realen Musiker mit einem realen Instrument. Und doch kommt jeder Ton, den Sie in dieser Sendung hören, aus dem Computer. Die Vienna Symphonic Library, also die Wiener symphonische Bibliothek, enthält Dutzende von Instrumenten, für immer konserviert, in Form von Millionen von kleinen Klangbausteinen - Samples.
Man muss dazu sagen, dass ich aufgrund meines Cellostudiums - ich habe Violoncello als Konzertfach studiert und zwei Jahre bei den Wiener Philharmonikern als Substitut gespielt - sehr genau im Ohr hatte, wie ein Orchester zu klingen hat. Bei meinem Arbeiten war immer der Wunsch da, orchestrale Musik zu produzieren, und die Diskrepanz, was man bis dato mit Samples machen konnte und wie ein Orchester richtig klingt, war so groß, dass ich dachte, das kann und muss man besser machen.
Einer der wesentlichen Faktoren, warum man mit den alten Librarys nicht allzu weit gekommen ist, waren die zu wenigen Möglichkeiten. Die Auswahl der Töne, die hier gesamplet vorliegen, war viel zu eingeschränkt. Ein Orchesterinstrument - ganz gleich welches - hat so viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten, die durch diese Samples nicht erfasst waren. Das ist der eine Punkt.
Für uns war aber ein zweiter Faktor ganz wesentlich, nämlich, dass wir nicht nur Einzeltöne anbieten dürfen, weil kein Musiker der Welt Einzeltöne spielt, sondern einen Ablauf, und dieser Ablauf ist das Entscheidende, die Übergänge zwischen den einzelnen Tönen sind ganz wichtig, eben charakteristisch. Wir haben also ein Konzept erarbeitet, bei dem wir auch alle Tonübergänge, die in Frage kommen können, berücksichtigen. Wir nehmen bis zum Tonumfang einer Oktave alle Intervallschritte auf. Dadurch entsteht ein riesiger Sample-Pool. Da muss man die Skala des Instruments gleich mal 24 multiplizieren, um es "Legato-tauglich zu machen.
Wir arbeiten mit allen Tricks: Lossless Double Layer DVD-ROMs mit bis zu 16 Gigabyte. Unser großes Release umfasst trotzdem 15 oder 16 DVDs, 230 GB - das ist etwas, was auch auf DVDs nicht unbedingt so viel Spaß macht. Es geht halt nicht anders. Wenn in dieser Richtung nichts weiterentwickelt wird, müssen wir in Zukunft auf Festplatten ausliefern.
Aber die Datenmenge war uns immer egal. Der springende Punkt ist, dass wir gesagt haben, wir wollen ein authentisches Orchester liefern, und alles, was man dazu braucht, muss man halt produzieren. Und wenn es heißt, wir brauchen hier große Datenmengen, dann sind es eben große Datenmengen. Es geht ja nicht darum, dass wir um jeden Preis Quantität erzeugen, sondern wir erzeugen um jeden Preis ein authentisch reproduzierbares Instrument am Computer.
Hier hören Sie Streicher, Schlaginstrumente, Holz- und Blechbläser - das ganze Repertoire der Vienna Symphonic Library in dieser Filmmusik von Kuno Schmid. Unter den Filmmusikkomponisten hat sich die in ihrem vollen Umfang rund 5.000 Euro teuere Bibliothek aus Wien inzwischen herumgesprochen - und zu einem Qualitätssprung geführt. Das sind keine besseren Streicher- und Bläsersamples als früher, das sind Streicher, die sich endlich anhören wie Streicher, und Bläser, die sich nicht im Bläsersatz verstecken müssen, sondern auch als Solisten taugen.
Früher musste man bei Samplern immer den gesamten Ton ins RAM [Arbeitsspeicher des Computers] laden, weshalb man auch versucht hat, möglichst kurze Töne aufzunehmen und zu loopen [in Schleifen abzuspielen]. Das Streaming basiert drauf, dass nur ein kleiner Teil des Samples ins RAM geladen wird, der Startton. Alles andere wird dann direkt von der Festplatte in Echtzeit zugespielt. Das Vorladen dient nur dazu, die Latenz-Zeit der Festplatte zu überbrücken. Das hat auf jeden Fall eine größere Freiheit an Datenmenge ermöglicht, aber endlos ist sie natürlich auch nicht, weil irgendwann auch die vielen kleinen Teile das RAM füllen. 32-Bit-Systeme verwalten in der Regel nicht viel mehr als ein Gigabyte bei einer Softwareanwendung. Das heißt, bei 10.000 Samples ist Schluss. Man kann jetzt die Vorladezeiten etwas verringern und andere Tricks anwenden. Wer aber mit einem großen Orchester effektiv arbeitet, arbeitet meist mit mehreren Computern.
Die dann vernetzt sind und wobei jeder ein Instrument bedient. Um die Samples aufzunehmen, ließ Herbert Tucmandl mit Hilfe eines Sponsors ein Studio auf dem platten Land südlich von Wien bauen. Dieses Studio besteht aus drei Hüllen und hat angeblich schon den Hubschraubertest bestanden: Die extrem sensiblen Mikrofone nahmen die wenige Meter über dem kleinen Flachbau kreisenden Rotoren nicht wahr. Womit das Studio viel mehr zu kämpfen hat, sind die inneren Feinde: Tauben, die sich im Gebälk verirren, Fliegen und raschelnde Hemden. Hier wurde auch schon mal oben ohne dirigiert.
Das Studio ist nicht groß, es bietet einem kleinen Orchester Platz. Meist sind aber sowieso nur einzelne Musiker da, um ihre Einzeltöne aufzunehmen. Richtige Musik wird hier nicht gespielt. Gleich kommt ein Altsaxophonist. Im Moment ist Pause und eine gute Gelegenheit, die beiden praktischen Köpfe der Vienna Symphonic Library vorzustellen:
Dietz Tinhof:
Ich bin Dietz Tinhof, der Chef-Verantwortliche für alle Dinge, die mit der Tontechnik zu tun haben.
Michael Hula:
Mein Name ist Michael Hula, ich bin der künstlerische Leiter der Vienna Symphonic Library.
Wir sind jetzt in dem Studio, wo diese Aufnahmen gemacht werden, und auf dem Boden, einem Parkett, sind viele Sachen aufgeklebt und aufgemalt: EH2 oder AKG oder VA4. Was bedeutet VA4?
Hula:
Das ist die kleine Violagruppe, die kleine Bratschengruppe. Da sitzt ein Spieler. Wir haben vier davon. Und hier beschrieben sind die genauen Positionen, wo der Sessel stehen soll.
Der Fuß von Ihrem Stuhl steht gerade bei "Glaha".
Das ist die Gobomarkierung der Glasharfe. Als Gobos bezeichnen wir die Stellwände.
Es wirkt wie abstrakte Kunst, aber Sie haben das alles empirisch herausgefunden, zum Beispiel wo die Streicherinstrumente stehen müssen?
Empirisch ist zu viel gesagt; wir machen das eher sehr methodisch. Wenn klar ist, dass es ein bisschen enger klingen soll, stellen wir eben die Sessel enger zusammen. Das ist nicht die große Wissenschaft.
Wenn ich mit einer Triangel käme und sagen würde, lassen Sie uns die Triangel aufnehmen, dann wüssten Sie sofort, wo in diesem Raum die leckerste Stelle für die Triangel ist?
Ich wüsste eine Position, wo ich sie zunächst einmal hinstellen würde, nämlich hier in die Mitte. Man sieht auch an den Markern, dass es hier eine gewisse Massierung, Ballung von Zeichen gibt. Hier sind die Soloinstrumente meist am besten aufgehoben.
Trocken ist der Raum nicht.
Tinhof:
Nicht trocken, aber auch nicht hallig. Das scheint jetzt paradox zu sein. Man muss sich überlegen, dass jedes Instrument eine gewisse Kurvatur an Luft benötigt, um erst einmal überhaupt zum Klingen zu kommen. Tiefe und laute Töne brauchen gewissermaßen mehr Raum, um sich frei entfalten zu können. Wir haben hier sehr kurze, kontrollierte Reflexionen. Trockene Instrumente wären andererseits für das Ohr uninteressant.
War nicht das Paradigma immer, die besten Sampling-CD-Roms sind so trocken wie möglich aufgenommen, denn ich mache mir meinen eigenen Raum dazu?
Das ist im Prinzip richtig, aber ganz trocken ist ästhetisch nicht ansprechend. Wenn man "trocken" übersetzt, bedeutet es kratzend, spröde, nicht frugal, nicht reich.
Nun ist Robert Bernhard gekommen und hat sein Altsaxophon ausgepackt. Der Musikprofi ist nicht zum ersten Mal hier. Michael Hula, der Dirigent und Aufnahmeleiter, und er, der Musiker, sind ein eingespieltes Team.
Michael Hula:
Ich habe 15 Jahre im Orchester gespielt und fing vor 15 Jahren an, mich mit Computern und Sequencing-Programmen zu beschäftigen. Am wichtigsten ist, dass der, der hier in der Verantwortung steht, eine Vorstellung hat, wie es sein soll. Das Schlimmste, was man einem Musiker antun kann, ist, ihm zu sagen: "Spielen Sie den Ton gelber!" Damit kann er nichts anfangen. Ich sage statt dessen konkret: lauter oder leiser; diese Kriterien kann er umsetzen. Und das schätzen die auch, wenn einer nicht so drumherum ... Ach, ich werd' grad wienerisch ... Also, man muss sich klar ausdrücken können. Das ist eine gute Basis, dass die Nerven nicht schnell blank liegen.
Es genügt, wenn man im Orchester gespielt hat und alle Instrumente gehört hat, nicht nur einmal, sondern auch im täglichen Leben, mit den Schwierigkeiten beim Proben und allem, was sich da so abspielt. Deshalb bin ich davor gefeit, mir unsinnige Dinge zu erwarten. Wenn ich mir etwa von der Piccoloflöte erhoffe, dass sie dreifaches Pianissimo spielt, dann wäre ich hier fehl am Platz. Man weiß einfach, wenn die Musiker dem Instrument in den hohen Registern einen Ton entlocken, dann kann man das sehr deutlich an den Meters [Kontrollinstrumenten] ablesen - es ist einfach laut. Das kann man aber eigentlich mit dem Hausverstand regeln. Mit einer orchestralen Vergangenheit ist dieser Job also machbar.
Hier dirigiert Michael Hula Streicher-Ensembles. Das Studio ist zur Hälfte mit Musikern gefüllt. Konzentriertes Arbeiten bei allen Beteiligten.
Den Ton exakt zu treffen definiert sich nicht mit der Frequenz, in der er schwingt, sondern da sind andere Kriterien wichtig, etwa die Art des Anspielens und Ausklingens, wenn verlangt das Vibrato und wie es der Musiker gestaltet. Da gibt es unheimlich viele Parameter, die die Hauptkriterien darstellen. Das bisschen, was von 440 Hertz abweicht, ist ganz klar kein Kriterium, was wir nicht nachher viel einfacher editieren können.
Mit "nachher viel einfacher editieren" meint Michael Hula die Postproduktion der roh aufgenommenen Klänge. Die Editoren, die sich darum kümmern, haben meist eine Nähe zum Instrument, oder sie sind, wie Maya Vinson, Tonmeisterinnen. Sie spielt jetzt von ihrem Computer einen Trompetenton, wie sie ihn vom Studio geliefert bekommen hat, ab, und anschließend denselben Trompetenton, nur in der Tonhöhe ein klein wenig bearbeitet.
Also, der Musiker hat den Ton ein wenig zu hoch gespielt, und wir haben das korrigiert. Das ist sicher nicht aus Versehen passiert, sondern es ist einfach so, dass in Wiener Orchestern mit einer etwas höheren Stimmung gespielt wird, wahrscheinlich aus einer Wiener Tradition heraus.
Dass die beiden Trompetentöne unterschiedlich sind, hören nur ausgebildete Musiker. Die Software, die hier zum Einsatz kommt, kann natürlich Frequenzen messen. In vielen Fällen verändert Maya Vinson nur Teile des Samples, also etwa den Ausklang, nicht aber das Einschwingen. Zur Verdeutlichung, dass hier auch wirklich zwei unterschiedliche Töne am Werk waren, legt sie für uns die beiden Töne - vorher/nachher - direkt übereinander. Man hört die Schwebung - Indiz für die geringe Tonhöhenabweichung.
Zu den inzwischen offenen Geheimnissen der Vienna Symphonic Library gehört, dass die meisten Töne nicht, wie das bisher immer üblich war, einzeln, sondern in Paaren aufgenommen werden. Chef der Tontechnik, Dietz Tinhof:
Wenn ein Ton legato, also verbunden mit einem zweiten Ton gespielt wird, statt dass er neu ansetzt, dann gibt es eine ganz kurze, scheinbar chaotische Phase, wo der erste Ton nicht mehr klingt, und der zweite Ton gerade zu klingen beginnt.
Bei allen Instrumenten?
Bei faktisch allen Instrumenten.
Vor allem bei Streichern?
Extrem bei Streichern, aber auch etwa bei Schlaginstrumenten. Wichtig ist, zu verstehen, dass diese kleinen Nuancen in diesem kleinen chaotischen Zeitraum das sind, was das Ohr als realistisch empfindet - also nicht den eigentlichen, sauberen Ton, sondern diese chaotischen Übergänge. Und die können wir hier wunderbar einfangen und in der Postproduction, also beim Aufbereiten der Einzelsamples, dann drauf eingehen, dass das dann verwenderbar wird. Das heißt, wir schneiden diese tatsächlich gespielten Verknüpfungen von Tönen wieder so zusammen, dass diese Übergänge dem End-User auf Tastendruck zur Verfügung stehen. Er kann sie dann so verknüpfen, in seiner eigenen Spielweise, seinem eigenen Duktus, seinem eigenen Tempo, als wären die Töne in erster Linie einmal so aufgenommen worden.
Wir hören hier einen Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge". Bach kam bei diesem Werk nicht mehr dazu, hinzuschreiben, mit welchen Instrumenten es gespielt werden soll. Wir spielen es jetzt mit Violinen. Dass es so grausig klingt, liegt daran, dass es sich um eine so genannte Midi-Datei aus dem Internet handelt, die von den in jedem modernen Computer vorrätigen Samples abgespielt werden kann. Hier greift der Rechner auf sehr einfache Geigen-Samples in sehr niedriger Auflösung zurück. Das genügt, um sich ein Bild von der Komposition zu machen, aber tut auf Dauer weh.
Hier haben wir einige hundert Euro investiert und hochwertige Samples in den PC gefüttert. Das ist sozusagen der Stand der Dinge bis zur Vienna Symphonic Library, der Stand Ende der 90er Jahre. Achten Sie auf das sich monoton wiederholende Anstreichen von Saiten; es klingt so, als wären sie außer Atem und müssten bei jedem Ton neu Luft holen; neu einatmen, neu anstreichen. So spielt natürlich kein Violinist.
Und hier geschieht jetzt der Quantensprung: Die Vienna Symphonic Library lässt alles bisher Gehörte weit hinter sich. Jetzt scheinen die Streicher im Wohnzimmer zu sitzen.
Herbert Tucmandl:
Wir haben ein polyphones Instrument produziert, was sehr viel polyphon gespielt wird, die Konzertgitarre mit ihren sechs Saiten und Akkordtechniken. Und da haben wir uns die Mühe gemacht, wirklich alle möglichen Akkorde aufzunehmen, in verschiedenen Schlagtechniken. Das war ein fast unmenschliches Unterfangen, aber notwendig, weil bei polyphoner Spieltechnik die Klangvermischung im Instrument selber nicht simuliert werden kann.
Herbert Tucmandl, Gründer und Chef des Projekts, ist selbst klassischer Musiker. Er spielt aber sein Cello nicht mehr. Er spielt das Cello eines anderen, nämlich die Cello-Samples eines viel besseren Profis - auf seinem an den Computer angeschlossenen Keyboard.
Ist das kein Sakrileg? Kann das Tasteninstrument ewig das Eingabemedium für alle möglichen Instrumente sein?
Das Tasteninstrument ist der größte gemeinsame Nenner für alle Musiker. Jeder kann irgendwie mit Tasten umgehen, aber ein Streichinstrument zu spielen, können wirklich nur Leute, die auf einem Streichinstrument ausgebildet sind, oder einem Blasinstrument. Jeder weiß, dass Kinder mit dem Klavier schneller zu adäquaten Ergebnissen kommen als andere, die ein Streichinstrument erlernen, weil es einfach schwieriger, auch nuancenreicher ist, und weil die Tonerzeugung mehr Probleme aufwirft als ein simpler Tastendruck.
Natürlich müssen wir jetzt Instrumente, die ursprünglich nicht auf Tasten gespielt wurden, übersetzen. Eine gewisse Vorbildung ist dabei immer gut, wenn man sich vorher informiert, was ein Instrument kann, oder Live-Aufnahmen anhören, um ein Gefühl dafür zu bekommen, nicht nur, um auf einem monophonen Instrument nicht auf Tasten polyphon zu spielen, sondern auch herauszufinden, wie groß die Atemkapazität eines Bläsers ist, welche Phrasierungen sinnvoll sind - ein Trompetensolo, was fünf Minuten durchgehend im Fortissimo gespielt wird, ist einfach unrealistisch und wird auch als unrealistisch empfunden, selbst wenn es richtig gespielt klingt.
Das ist auch ein Grund, warum wir auf unserer Homepage diese Instrumente online anbieten, also diese große Instrumentalkunde, ich glaube, es ist die größte Instrumentalkunde, die man frei im Netz finden kann, wo man alles Wissenswerte über ein Instrument, von der Literaturgeschichte über Entstehung, Bauweisen, Artikulationen, nachschlagen kann.
Die Zielgruppe für das teuere Produkt sind nicht nur die Produzenten von Filmmusik, sondern jeder, der ein Orchester, ein Bratschensolo, eine Basstrompetengruppe im Kopf hat und sie endlich einmal hören will.
Ich kann eine Partitur schreiben und habe dann ein fertiges Stück in der Hand, ohne ein Orchester mieten, ohne in den Konzertsaal gehen, einen Dirigenten engagieren zu müssen. Ich kann meine Komposition, so wie ich sie im Kopf habe, sobald sie im Computer ist in ein Werk umsetzen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine Staffelei, ein Bilderrahmen und die Farben für den Maler. So wie der Maler sein Bild malt, möchte ich mein Musikstück "malen" können, ohne dass ich großen organisatorischen oder Kostenaufwand habe. Was nicht heißt, dass ich nicht will, dass das Stück live gespielt wird. Aber für viele Komponisten und auch für mich ist es wichtig, das Stück, was ich hier schreibe, vorab hören zu können, um es beurteilen zu können. Es ist nicht jeder so ein Genius, dass er das so l00-prozentig im Kopf hört, ohne dass es vorher gespielt wurde.
Für viele ist das also eine Hilfestellung beim Komponieren. Und dann ist es natürlich in vielen Bereichen eine Frage der Ökonomie, vor allem im Medienbereich, Filmmusikbereich, wo ich einen Score liefern muss, der wie großes Orchester klingen soll, aber nicht das Budget dafür kriege, um mit einem Orchester aufzunehmen.
Wenn man jetzt einmal die zeitgenössischen jungen Komponisten anschaut, wird jeder, der aufgeführt werden will, darauf schauen, dass er kein zu teueres Werk schreibt. Ich glaube, ein Newcomer handelt sich nur Probleme ein, wenn das erste Stück, was er aufgeführt sehen will, mit einem 100-Mann-Orchester und einem 80-Mann-Chor besetzt ist. Er wird es sehr schwer haben, dass ein Intendant, ein Veranstalter usw. überhaupt die Probenzeit bewilligt. Man schreibt also für kleinere Besetzungen, weil ganz einfach die Mittel fehlen. Oder man ist so etabliert, dass man das Orchester zur Verfügung bekommt. Aber um sich zu etablieren, muss man kleiner anfangen, und da sehe ich doch eine Chance, dass diese Komponisten im Vorfeld beweisen können, was sie drauf haben, wie ihr Stück klingt, dass es publikumstauglich ist, dass es Wert ist, aufgeführt zu werden - indem sie eben den Entscheidern ihre virtuelle Realisierung vorlegen können.
Die Bibliothek hat einen für die meisten Anwendungen ausreichenden Umfang erreicht, auch wenn es immer wieder einmal vorkommt, dass ein exotisches Instrument ausgegraben und dann doch noch auf Ewigkeit hier konserviert wird.
Dem Studiochef Dietz Tinhof fiel auf, dass ein Instrument, sogar ein ganz besonders großes, noch fehlt, nämlich der Konzertsaal selbst. Tinhof hat begonnen, die für ihre Akustik berühmten Konzerthallen Wiens mit einem Netz von Lautsprechern und Mikrofonen auszumessen, und beginnt nun, ein Computerprogramm zu schreiben, mit dem man jedes beliebige Sample virtuell in diese Räume hineinstellen kann. Statt also digitale Hallräume zu benutzen, mit ihrer Perfektion, setzt man die Instrumente in grandiose Räume mit ihren typischen "Fehlern".
Wir können erstmals das Verhalten eines Instruments auf einer Bühne in einem Realismus darstellen, wie er bisher einfach nicht möglich war.
Weil es da aber noch nichts zu hören gibt, sagen wir: Demnächst mehr.
Das heißt: Dieser Mann hat es auf dem Gewissen, dass künftig nicht nur Pop-Musik, sondern auch so genannte E-Musik ohne reale Musiker eingespielt werden kann. Es ist das größte Sampling-Projekt aller Zeiten und kommt in den nächsten Monaten zum Abschluss. Jeder Ton, den Sie in dieser Sendung hören, stammt von einem realen Musiker mit einem realen Instrument. Und doch kommt jeder Ton, den Sie in dieser Sendung hören, aus dem Computer. Die Vienna Symphonic Library, also die Wiener symphonische Bibliothek, enthält Dutzende von Instrumenten, für immer konserviert, in Form von Millionen von kleinen Klangbausteinen - Samples.
Man muss dazu sagen, dass ich aufgrund meines Cellostudiums - ich habe Violoncello als Konzertfach studiert und zwei Jahre bei den Wiener Philharmonikern als Substitut gespielt - sehr genau im Ohr hatte, wie ein Orchester zu klingen hat. Bei meinem Arbeiten war immer der Wunsch da, orchestrale Musik zu produzieren, und die Diskrepanz, was man bis dato mit Samples machen konnte und wie ein Orchester richtig klingt, war so groß, dass ich dachte, das kann und muss man besser machen.
Einer der wesentlichen Faktoren, warum man mit den alten Librarys nicht allzu weit gekommen ist, waren die zu wenigen Möglichkeiten. Die Auswahl der Töne, die hier gesamplet vorliegen, war viel zu eingeschränkt. Ein Orchesterinstrument - ganz gleich welches - hat so viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten, die durch diese Samples nicht erfasst waren. Das ist der eine Punkt.
Für uns war aber ein zweiter Faktor ganz wesentlich, nämlich, dass wir nicht nur Einzeltöne anbieten dürfen, weil kein Musiker der Welt Einzeltöne spielt, sondern einen Ablauf, und dieser Ablauf ist das Entscheidende, die Übergänge zwischen den einzelnen Tönen sind ganz wichtig, eben charakteristisch. Wir haben also ein Konzept erarbeitet, bei dem wir auch alle Tonübergänge, die in Frage kommen können, berücksichtigen. Wir nehmen bis zum Tonumfang einer Oktave alle Intervallschritte auf. Dadurch entsteht ein riesiger Sample-Pool. Da muss man die Skala des Instruments gleich mal 24 multiplizieren, um es "Legato-tauglich zu machen.
Wir arbeiten mit allen Tricks: Lossless Double Layer DVD-ROMs mit bis zu 16 Gigabyte. Unser großes Release umfasst trotzdem 15 oder 16 DVDs, 230 GB - das ist etwas, was auch auf DVDs nicht unbedingt so viel Spaß macht. Es geht halt nicht anders. Wenn in dieser Richtung nichts weiterentwickelt wird, müssen wir in Zukunft auf Festplatten ausliefern.
Aber die Datenmenge war uns immer egal. Der springende Punkt ist, dass wir gesagt haben, wir wollen ein authentisches Orchester liefern, und alles, was man dazu braucht, muss man halt produzieren. Und wenn es heißt, wir brauchen hier große Datenmengen, dann sind es eben große Datenmengen. Es geht ja nicht darum, dass wir um jeden Preis Quantität erzeugen, sondern wir erzeugen um jeden Preis ein authentisch reproduzierbares Instrument am Computer.
Hier hören Sie Streicher, Schlaginstrumente, Holz- und Blechbläser - das ganze Repertoire der Vienna Symphonic Library in dieser Filmmusik von Kuno Schmid. Unter den Filmmusikkomponisten hat sich die in ihrem vollen Umfang rund 5.000 Euro teuere Bibliothek aus Wien inzwischen herumgesprochen - und zu einem Qualitätssprung geführt. Das sind keine besseren Streicher- und Bläsersamples als früher, das sind Streicher, die sich endlich anhören wie Streicher, und Bläser, die sich nicht im Bläsersatz verstecken müssen, sondern auch als Solisten taugen.
Früher musste man bei Samplern immer den gesamten Ton ins RAM [Arbeitsspeicher des Computers] laden, weshalb man auch versucht hat, möglichst kurze Töne aufzunehmen und zu loopen [in Schleifen abzuspielen]. Das Streaming basiert drauf, dass nur ein kleiner Teil des Samples ins RAM geladen wird, der Startton. Alles andere wird dann direkt von der Festplatte in Echtzeit zugespielt. Das Vorladen dient nur dazu, die Latenz-Zeit der Festplatte zu überbrücken. Das hat auf jeden Fall eine größere Freiheit an Datenmenge ermöglicht, aber endlos ist sie natürlich auch nicht, weil irgendwann auch die vielen kleinen Teile das RAM füllen. 32-Bit-Systeme verwalten in der Regel nicht viel mehr als ein Gigabyte bei einer Softwareanwendung. Das heißt, bei 10.000 Samples ist Schluss. Man kann jetzt die Vorladezeiten etwas verringern und andere Tricks anwenden. Wer aber mit einem großen Orchester effektiv arbeitet, arbeitet meist mit mehreren Computern.
Die dann vernetzt sind und wobei jeder ein Instrument bedient. Um die Samples aufzunehmen, ließ Herbert Tucmandl mit Hilfe eines Sponsors ein Studio auf dem platten Land südlich von Wien bauen. Dieses Studio besteht aus drei Hüllen und hat angeblich schon den Hubschraubertest bestanden: Die extrem sensiblen Mikrofone nahmen die wenige Meter über dem kleinen Flachbau kreisenden Rotoren nicht wahr. Womit das Studio viel mehr zu kämpfen hat, sind die inneren Feinde: Tauben, die sich im Gebälk verirren, Fliegen und raschelnde Hemden. Hier wurde auch schon mal oben ohne dirigiert.
Das Studio ist nicht groß, es bietet einem kleinen Orchester Platz. Meist sind aber sowieso nur einzelne Musiker da, um ihre Einzeltöne aufzunehmen. Richtige Musik wird hier nicht gespielt. Gleich kommt ein Altsaxophonist. Im Moment ist Pause und eine gute Gelegenheit, die beiden praktischen Köpfe der Vienna Symphonic Library vorzustellen:
Dietz Tinhof:
Ich bin Dietz Tinhof, der Chef-Verantwortliche für alle Dinge, die mit der Tontechnik zu tun haben.
Michael Hula:
Mein Name ist Michael Hula, ich bin der künstlerische Leiter der Vienna Symphonic Library.
Wir sind jetzt in dem Studio, wo diese Aufnahmen gemacht werden, und auf dem Boden, einem Parkett, sind viele Sachen aufgeklebt und aufgemalt: EH2 oder AKG oder VA4. Was bedeutet VA4?
Hula:
Das ist die kleine Violagruppe, die kleine Bratschengruppe. Da sitzt ein Spieler. Wir haben vier davon. Und hier beschrieben sind die genauen Positionen, wo der Sessel stehen soll.
Der Fuß von Ihrem Stuhl steht gerade bei "Glaha".
Das ist die Gobomarkierung der Glasharfe. Als Gobos bezeichnen wir die Stellwände.
Es wirkt wie abstrakte Kunst, aber Sie haben das alles empirisch herausgefunden, zum Beispiel wo die Streicherinstrumente stehen müssen?
Empirisch ist zu viel gesagt; wir machen das eher sehr methodisch. Wenn klar ist, dass es ein bisschen enger klingen soll, stellen wir eben die Sessel enger zusammen. Das ist nicht die große Wissenschaft.
Wenn ich mit einer Triangel käme und sagen würde, lassen Sie uns die Triangel aufnehmen, dann wüssten Sie sofort, wo in diesem Raum die leckerste Stelle für die Triangel ist?
Ich wüsste eine Position, wo ich sie zunächst einmal hinstellen würde, nämlich hier in die Mitte. Man sieht auch an den Markern, dass es hier eine gewisse Massierung, Ballung von Zeichen gibt. Hier sind die Soloinstrumente meist am besten aufgehoben.
Trocken ist der Raum nicht.
Tinhof:
Nicht trocken, aber auch nicht hallig. Das scheint jetzt paradox zu sein. Man muss sich überlegen, dass jedes Instrument eine gewisse Kurvatur an Luft benötigt, um erst einmal überhaupt zum Klingen zu kommen. Tiefe und laute Töne brauchen gewissermaßen mehr Raum, um sich frei entfalten zu können. Wir haben hier sehr kurze, kontrollierte Reflexionen. Trockene Instrumente wären andererseits für das Ohr uninteressant.
War nicht das Paradigma immer, die besten Sampling-CD-Roms sind so trocken wie möglich aufgenommen, denn ich mache mir meinen eigenen Raum dazu?
Das ist im Prinzip richtig, aber ganz trocken ist ästhetisch nicht ansprechend. Wenn man "trocken" übersetzt, bedeutet es kratzend, spröde, nicht frugal, nicht reich.
Nun ist Robert Bernhard gekommen und hat sein Altsaxophon ausgepackt. Der Musikprofi ist nicht zum ersten Mal hier. Michael Hula, der Dirigent und Aufnahmeleiter, und er, der Musiker, sind ein eingespieltes Team.
Michael Hula:
Ich habe 15 Jahre im Orchester gespielt und fing vor 15 Jahren an, mich mit Computern und Sequencing-Programmen zu beschäftigen. Am wichtigsten ist, dass der, der hier in der Verantwortung steht, eine Vorstellung hat, wie es sein soll. Das Schlimmste, was man einem Musiker antun kann, ist, ihm zu sagen: "Spielen Sie den Ton gelber!" Damit kann er nichts anfangen. Ich sage statt dessen konkret: lauter oder leiser; diese Kriterien kann er umsetzen. Und das schätzen die auch, wenn einer nicht so drumherum ... Ach, ich werd' grad wienerisch ... Also, man muss sich klar ausdrücken können. Das ist eine gute Basis, dass die Nerven nicht schnell blank liegen.
Es genügt, wenn man im Orchester gespielt hat und alle Instrumente gehört hat, nicht nur einmal, sondern auch im täglichen Leben, mit den Schwierigkeiten beim Proben und allem, was sich da so abspielt. Deshalb bin ich davor gefeit, mir unsinnige Dinge zu erwarten. Wenn ich mir etwa von der Piccoloflöte erhoffe, dass sie dreifaches Pianissimo spielt, dann wäre ich hier fehl am Platz. Man weiß einfach, wenn die Musiker dem Instrument in den hohen Registern einen Ton entlocken, dann kann man das sehr deutlich an den Meters [Kontrollinstrumenten] ablesen - es ist einfach laut. Das kann man aber eigentlich mit dem Hausverstand regeln. Mit einer orchestralen Vergangenheit ist dieser Job also machbar.
Hier dirigiert Michael Hula Streicher-Ensembles. Das Studio ist zur Hälfte mit Musikern gefüllt. Konzentriertes Arbeiten bei allen Beteiligten.
Den Ton exakt zu treffen definiert sich nicht mit der Frequenz, in der er schwingt, sondern da sind andere Kriterien wichtig, etwa die Art des Anspielens und Ausklingens, wenn verlangt das Vibrato und wie es der Musiker gestaltet. Da gibt es unheimlich viele Parameter, die die Hauptkriterien darstellen. Das bisschen, was von 440 Hertz abweicht, ist ganz klar kein Kriterium, was wir nicht nachher viel einfacher editieren können.
Mit "nachher viel einfacher editieren" meint Michael Hula die Postproduktion der roh aufgenommenen Klänge. Die Editoren, die sich darum kümmern, haben meist eine Nähe zum Instrument, oder sie sind, wie Maya Vinson, Tonmeisterinnen. Sie spielt jetzt von ihrem Computer einen Trompetenton, wie sie ihn vom Studio geliefert bekommen hat, ab, und anschließend denselben Trompetenton, nur in der Tonhöhe ein klein wenig bearbeitet.
Also, der Musiker hat den Ton ein wenig zu hoch gespielt, und wir haben das korrigiert. Das ist sicher nicht aus Versehen passiert, sondern es ist einfach so, dass in Wiener Orchestern mit einer etwas höheren Stimmung gespielt wird, wahrscheinlich aus einer Wiener Tradition heraus.
Dass die beiden Trompetentöne unterschiedlich sind, hören nur ausgebildete Musiker. Die Software, die hier zum Einsatz kommt, kann natürlich Frequenzen messen. In vielen Fällen verändert Maya Vinson nur Teile des Samples, also etwa den Ausklang, nicht aber das Einschwingen. Zur Verdeutlichung, dass hier auch wirklich zwei unterschiedliche Töne am Werk waren, legt sie für uns die beiden Töne - vorher/nachher - direkt übereinander. Man hört die Schwebung - Indiz für die geringe Tonhöhenabweichung.
Zu den inzwischen offenen Geheimnissen der Vienna Symphonic Library gehört, dass die meisten Töne nicht, wie das bisher immer üblich war, einzeln, sondern in Paaren aufgenommen werden. Chef der Tontechnik, Dietz Tinhof:
Wenn ein Ton legato, also verbunden mit einem zweiten Ton gespielt wird, statt dass er neu ansetzt, dann gibt es eine ganz kurze, scheinbar chaotische Phase, wo der erste Ton nicht mehr klingt, und der zweite Ton gerade zu klingen beginnt.
Bei allen Instrumenten?
Bei faktisch allen Instrumenten.
Vor allem bei Streichern?
Extrem bei Streichern, aber auch etwa bei Schlaginstrumenten. Wichtig ist, zu verstehen, dass diese kleinen Nuancen in diesem kleinen chaotischen Zeitraum das sind, was das Ohr als realistisch empfindet - also nicht den eigentlichen, sauberen Ton, sondern diese chaotischen Übergänge. Und die können wir hier wunderbar einfangen und in der Postproduction, also beim Aufbereiten der Einzelsamples, dann drauf eingehen, dass das dann verwenderbar wird. Das heißt, wir schneiden diese tatsächlich gespielten Verknüpfungen von Tönen wieder so zusammen, dass diese Übergänge dem End-User auf Tastendruck zur Verfügung stehen. Er kann sie dann so verknüpfen, in seiner eigenen Spielweise, seinem eigenen Duktus, seinem eigenen Tempo, als wären die Töne in erster Linie einmal so aufgenommen worden.
Wir hören hier einen Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge". Bach kam bei diesem Werk nicht mehr dazu, hinzuschreiben, mit welchen Instrumenten es gespielt werden soll. Wir spielen es jetzt mit Violinen. Dass es so grausig klingt, liegt daran, dass es sich um eine so genannte Midi-Datei aus dem Internet handelt, die von den in jedem modernen Computer vorrätigen Samples abgespielt werden kann. Hier greift der Rechner auf sehr einfache Geigen-Samples in sehr niedriger Auflösung zurück. Das genügt, um sich ein Bild von der Komposition zu machen, aber tut auf Dauer weh.
Hier haben wir einige hundert Euro investiert und hochwertige Samples in den PC gefüttert. Das ist sozusagen der Stand der Dinge bis zur Vienna Symphonic Library, der Stand Ende der 90er Jahre. Achten Sie auf das sich monoton wiederholende Anstreichen von Saiten; es klingt so, als wären sie außer Atem und müssten bei jedem Ton neu Luft holen; neu einatmen, neu anstreichen. So spielt natürlich kein Violinist.
Und hier geschieht jetzt der Quantensprung: Die Vienna Symphonic Library lässt alles bisher Gehörte weit hinter sich. Jetzt scheinen die Streicher im Wohnzimmer zu sitzen.
Herbert Tucmandl:
Wir haben ein polyphones Instrument produziert, was sehr viel polyphon gespielt wird, die Konzertgitarre mit ihren sechs Saiten und Akkordtechniken. Und da haben wir uns die Mühe gemacht, wirklich alle möglichen Akkorde aufzunehmen, in verschiedenen Schlagtechniken. Das war ein fast unmenschliches Unterfangen, aber notwendig, weil bei polyphoner Spieltechnik die Klangvermischung im Instrument selber nicht simuliert werden kann.
Herbert Tucmandl, Gründer und Chef des Projekts, ist selbst klassischer Musiker. Er spielt aber sein Cello nicht mehr. Er spielt das Cello eines anderen, nämlich die Cello-Samples eines viel besseren Profis - auf seinem an den Computer angeschlossenen Keyboard.
Ist das kein Sakrileg? Kann das Tasteninstrument ewig das Eingabemedium für alle möglichen Instrumente sein?
Das Tasteninstrument ist der größte gemeinsame Nenner für alle Musiker. Jeder kann irgendwie mit Tasten umgehen, aber ein Streichinstrument zu spielen, können wirklich nur Leute, die auf einem Streichinstrument ausgebildet sind, oder einem Blasinstrument. Jeder weiß, dass Kinder mit dem Klavier schneller zu adäquaten Ergebnissen kommen als andere, die ein Streichinstrument erlernen, weil es einfach schwieriger, auch nuancenreicher ist, und weil die Tonerzeugung mehr Probleme aufwirft als ein simpler Tastendruck.
Natürlich müssen wir jetzt Instrumente, die ursprünglich nicht auf Tasten gespielt wurden, übersetzen. Eine gewisse Vorbildung ist dabei immer gut, wenn man sich vorher informiert, was ein Instrument kann, oder Live-Aufnahmen anhören, um ein Gefühl dafür zu bekommen, nicht nur, um auf einem monophonen Instrument nicht auf Tasten polyphon zu spielen, sondern auch herauszufinden, wie groß die Atemkapazität eines Bläsers ist, welche Phrasierungen sinnvoll sind - ein Trompetensolo, was fünf Minuten durchgehend im Fortissimo gespielt wird, ist einfach unrealistisch und wird auch als unrealistisch empfunden, selbst wenn es richtig gespielt klingt.
Das ist auch ein Grund, warum wir auf unserer Homepage diese Instrumente online anbieten, also diese große Instrumentalkunde, ich glaube, es ist die größte Instrumentalkunde, die man frei im Netz finden kann, wo man alles Wissenswerte über ein Instrument, von der Literaturgeschichte über Entstehung, Bauweisen, Artikulationen, nachschlagen kann.
Die Zielgruppe für das teuere Produkt sind nicht nur die Produzenten von Filmmusik, sondern jeder, der ein Orchester, ein Bratschensolo, eine Basstrompetengruppe im Kopf hat und sie endlich einmal hören will.
Ich kann eine Partitur schreiben und habe dann ein fertiges Stück in der Hand, ohne ein Orchester mieten, ohne in den Konzertsaal gehen, einen Dirigenten engagieren zu müssen. Ich kann meine Komposition, so wie ich sie im Kopf habe, sobald sie im Computer ist in ein Werk umsetzen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine Staffelei, ein Bilderrahmen und die Farben für den Maler. So wie der Maler sein Bild malt, möchte ich mein Musikstück "malen" können, ohne dass ich großen organisatorischen oder Kostenaufwand habe. Was nicht heißt, dass ich nicht will, dass das Stück live gespielt wird. Aber für viele Komponisten und auch für mich ist es wichtig, das Stück, was ich hier schreibe, vorab hören zu können, um es beurteilen zu können. Es ist nicht jeder so ein Genius, dass er das so l00-prozentig im Kopf hört, ohne dass es vorher gespielt wurde.
Für viele ist das also eine Hilfestellung beim Komponieren. Und dann ist es natürlich in vielen Bereichen eine Frage der Ökonomie, vor allem im Medienbereich, Filmmusikbereich, wo ich einen Score liefern muss, der wie großes Orchester klingen soll, aber nicht das Budget dafür kriege, um mit einem Orchester aufzunehmen.
Wenn man jetzt einmal die zeitgenössischen jungen Komponisten anschaut, wird jeder, der aufgeführt werden will, darauf schauen, dass er kein zu teueres Werk schreibt. Ich glaube, ein Newcomer handelt sich nur Probleme ein, wenn das erste Stück, was er aufgeführt sehen will, mit einem 100-Mann-Orchester und einem 80-Mann-Chor besetzt ist. Er wird es sehr schwer haben, dass ein Intendant, ein Veranstalter usw. überhaupt die Probenzeit bewilligt. Man schreibt also für kleinere Besetzungen, weil ganz einfach die Mittel fehlen. Oder man ist so etabliert, dass man das Orchester zur Verfügung bekommt. Aber um sich zu etablieren, muss man kleiner anfangen, und da sehe ich doch eine Chance, dass diese Komponisten im Vorfeld beweisen können, was sie drauf haben, wie ihr Stück klingt, dass es publikumstauglich ist, dass es Wert ist, aufgeführt zu werden - indem sie eben den Entscheidern ihre virtuelle Realisierung vorlegen können.
Die Bibliothek hat einen für die meisten Anwendungen ausreichenden Umfang erreicht, auch wenn es immer wieder einmal vorkommt, dass ein exotisches Instrument ausgegraben und dann doch noch auf Ewigkeit hier konserviert wird.
Dem Studiochef Dietz Tinhof fiel auf, dass ein Instrument, sogar ein ganz besonders großes, noch fehlt, nämlich der Konzertsaal selbst. Tinhof hat begonnen, die für ihre Akustik berühmten Konzerthallen Wiens mit einem Netz von Lautsprechern und Mikrofonen auszumessen, und beginnt nun, ein Computerprogramm zu schreiben, mit dem man jedes beliebige Sample virtuell in diese Räume hineinstellen kann. Statt also digitale Hallräume zu benutzen, mit ihrer Perfektion, setzt man die Instrumente in grandiose Räume mit ihren typischen "Fehlern".
Wir können erstmals das Verhalten eines Instruments auf einer Bühne in einem Realismus darstellen, wie er bisher einfach nicht möglich war.
Weil es da aber noch nichts zu hören gibt, sagen wir: Demnächst mehr.