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Der Direktor und die Avantgarde der 20er-Jahre

Das Oldenburger Landesmuseum existiert seit 1921 in seiner heutigen Form. Jetzt erinnert es zum ersten Mal in einer Ausstellung an seine modernen Wurzeln: "Der zweite Aufbruch in die Moderne" illustriert das Engagement des ersten Gründungsdirektors Walter Müller-Wulckow für Expressionismus, Bauhaus und Neue Sachlichkeit.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Auf die Frage, warum er denn ausgerechnet in Emden eine Kunsthalle baue, pflegte Henri Nannen, der kunstsinnige Stern-Herausgeber, zu sagen: "Weil Nolde nur bis Oldenburg kam." Und da hatte Nannen recht: Schon im Jahre 1921 verschlug es den ersten Propagandisten der klassischen Moderne in die Oldenburger Provinz, den Frankfurter Kunsthistoriker Walter Müller-Wulckow. Der heutige Direktor des Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg wollte nun genauer wissen, wer sein Vorgänger war:

    "Das war eigentlich die spannendste Entdeckung, dass dieses Landesmuseum in der Provinz einen Gründungsdirektor hat, der zu den ganz frühen Sammlern der Moderne gehörte, der schon bevor er nach Oldenburg gekommen ist, Kirchners "Marzella" gekauft hat. Er gehört wirklich zu den Wurzeln der Avantgarde-Bewegung unter den Sammlern, und das hat er behutsam, ganz beharrlich weiter verfolgt."

    Rainer Stamm hat die ersten Monate seines Direktorat in Oldenburg damit verbracht, nach den Wurzeln seines Hauses zu graben. Und er ist in Archiven und Depots mehr als fündig geworden. Man weiß, dass die Herzöge an der Hunte Antiken sowie Bilder ihres Hofmalers Tischbein gesammelt hatten. Bekannt ist auch, dass die Dresdener Brücke-Künstler Schmidt-Rottluff, Heckel und Pechstein früh ihre Sommerurlaube malend und zeichnend am Jadebusen in Dangast verbrachten.

    All dies ist in den vergangenen Jahren ausgestellt worden, doch die Ausstellung "Zweiter Aufbruch in die Moderne" zeigt, dass Künstler wie Max Beckmann, Christian Rohlfs, Ernst Ludwig Kirchner oder Emil Nolde erst im privaten Gepäck Müller-Wulckows in den Nordwesten kamen:

    "Er hatte schon in Frankfurt eine der ersten Max-Beckmann-Ausstellungen gemacht. Und er kommt dann nach Oldenburg und entdeckt eine Landschaft von Beckmann, die auf Wangerooge, also im Großherzogtum Oldenburg entstanden ist."

    Zum ersten Mal kann man jetzt einen Blick in den Bilderkosmos des Gründungsdirektors werfen. Man erkennt, welchen ästhetischer Sprengstoff Müller-Wulckow den Oldenburger Bildungsbürgern im alten Schloss servierte: Nicht nur grellfarbige Expressionisten, Exotisches von Bernhard Hoetger und Otto Mueller, Regionales von Franz Radziwill oder Paula Modersohn-Becker.

    Eine erstaunlich agile "Vereinigung für junge Kunst" unterstützte die avantgardistische Ankaufspolitik des Direktors. Doch der war auch bekennender Anhänger der Neuen Sachlichkeit und strammer Bauhaus-Sammler. So kamen Breuers Stahlrohrmöbel, Wagenfeld-Design, Bauhaus-Grafik und -Keramik, in die Sammlung, auch seltene Fotografien von Aenne Biermann oder Albert Renger-Patzsch. Was da in den Oldenburger Magazinen schlummerte und nun erstmals zutage gefördert wurde, sind Glanzpunkte der Ausstellung:

    "Es hat uns alle erstaunt: Das macht das Landesmuseum zu einer wichtigen Bauhaussammlungen in Norddeutschland, und das war nicht bekannt! Müller-Wulckow hatte schon seit 1919 mit Gropius korrespondiert, die Gründung des Bauhauses mit großem Interesse verfolgt. Und er hat in Oldenburg exemplarische Stücke gekauft, hat ins Foyer des Schlosses Stahlrohrmöbel gestellt."

    Nebenbei konnte bei den Archiv-Recherchen auch eine bisher nicht schlüssig beantwortete Frage erörtert werden: Obwohl ein bekannter Kunsthistoriker der Moderne, residierte Walter Müller-Wulckow in der NS-Zeit scheinbar unangefochten weiter im Oldenburger Schloss. War er also ein opportunistischer Wendehals und Mitläufer der Nazis, oder hat er bewusst Schlimmeres verhütet?

    "Ich glaube er war beides; er war natürlich auch angepasst, sonst hätte er 1933 nicht im Amt überstehen können, auch nicht 1937. Man kann sagen, er war Mitläufer, hat aber nicht seine künstlerischen Überzeugungen verraten. Er konnte nicht mehr Moderne kaufen, hat aber, als die Beschlagnahmekommission 1937 hierher kam, versucht, die Beschlagnahmungen so gering wie möglich zu halten."

    Das Ende der Ausstellung ist düster. In der letzten Vitrine - neben einem erschreckenden Schaubild aller Verluste - liegt das Notizbuch des Direktors. Dort notierte er am 22. August 1937: "8.30 Uhr - Eintreffen der Beschlagnahme-Kommission." Nur ein Bruchteil der 103 verlorenen Werke sind ans Landesmuseum zurückgekehrt, und dennoch ist das jetzt rekonstruierte Sammlungsprofil in seiner Qualität und Vielfalt, in seiner Anschaulichkeit und Differenziertheit erstaunlich: Nicht nur Nolde war damals nach Oldenburg gekommen, sondern ein gutes Stück Moderne.