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Der diskrete Charme eines angespannten Lauerns

Die Welt der Träume war, wie Graham Greene spät im Leben bekannte, sein eigentliches Gebiet. Und was immer über das Leben oder Doppelleben des Schriftstellers bekannt ist, findet sich in seinen Werken. Der weit gereiste, welterfahrene Autor verstarb am 03. April 1991.

Von Cornelie Ueding | 03.04.2011
    "Man weiß nie, wann das Schicksal zum Streich ausholen wird",

    heißt es gleich zu Beginn von Graham Greenes vielleicht bekanntestem Werk "Der dritte Mann". 1949 ging der Film, zu dem er das Drehbuch geschrieben hatte, um die Welt. Der Roman erschien ein Jahr später. Es ist, als ob in diesem Satz das Geheimnis der Arbeit des am 3. April 1991 in Vevey am Genfer See verstorbenen Autors zusammengefasst wäre. Ein literarisch versponnener Schreibtischtäter war dieser geniale Spurenleger und -verwischer, Held und Hauptdarsteller selbstkreierter Legenden ohnehin nie. Sein Ziel war es nicht, "schön", sondern "wahr" zu schreiben:

    "Mit dem Ausdruck 'die Wahrheit sagen' meine ich gar nichts Großartiges. Ich meine auch keine Enthüllungen. Unter Wahrheit verstehe ich hier einfach Genauigkeit, was vor allem eine Stilfrage ist. Denn hier geht es nicht nur um das künstlerische, sondern auch um das soziale Gewissen. Wir sehen bereits den Einfluss des Durchschnittsromans auf das Durchschnittsdenken."

    Und ein in diesem Sinne durchschnittliches Leben führte der am 2. Oktober 1904 in Berkhamsted geborene Graham Greene in der Tat nicht. Der britische Romancier, der mit Büchern wie "Die Kraft und die Herrlichkeit", "Das Ende einer Affaire", "Der stille Amerikaner" Welterfolge erzielte, durchquerte halb Afrika, quartierte sich im Kongo in einer Leprakolonie ein, bereiste Vietnam, Mexiko, Haiti. Länder, die häufig auch zu Schauplätzen seiner Romane wurden. Seine unverwechselbare Signatur: jene unnachahmliche Mischung aus staubtrockenen Zufällen und einer Art modernem Schicksal ganz ohne Mysterium. Kaum ein Roman kommt ohne diesen diskreten Charme eines angespannten Lauerns nach dem "point of no return" aus, an dem etwas unkontrollierbar in Bewegung gerät. Denn, schreibt er in der "Stunde der Komödianten":

    "Im Leben der meisten Menschen gibt es einen Augenblick, in dem man nicht mehr zurück kann."

    Und in den Sog von Geschichten gerät, die man nicht gesucht hat. Wie jener Mr. Wormhold in "Unser Mann in Havanna", der einfach sensationellen Berichten auf der Spur ist und nichts weniger will, als sich in politische Abenteuer stürzen. Und dann wird er doch zum Spielball des britischen Geheimdienstes und in alle Arten von methodischem Wahnsinn verstrickt:

    "Das Labor hat anderthalb Stunden damit zugebracht, jede Briefmarke ins Wasser zu legen, um deinen Punkt zu finden. Er war, glaube ich, auf der 481. Marke, und als sie versuchten, ihn zu vergrößern, war überhaupt nichts drauf."

    Konspirationen als Taschenspielereien, Verschwörung als Trickbetrug – der Autor dieser Szenarien weiß, wovon er spricht – als Ex-Agent aus lauter "Langeweile", Abenteurer und Glücksritter aus intellektueller Neugier, Konvertit ohne Glauben. Politik als Komödie, Religion als Ränkespiel, Literatur als fatales Netzwerk – das sind für Graham Greene keine Widersprüche. Wohl aber für manche seiner Kritiker. So war er zwar einer der bekanntesten und meistgelesenen Autoren und immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch, aber bekommen hat er ihn nie. Denn dieser Mann ohne festen Wohnsitz und ohne festlegbare Identität ließ sich nicht einordnen.

    Man warf ihm sogar vor, er schreibe an der Grenze zur Unterhaltungsliteratur. Dabei sind alle seine Texte Dokumente belebter und gelebter Literatur, Dichtung und Wahrheit – und derart artifiziell und gekonnt miteinander verschränkt, dass er sie selbst nicht immer voneinander trennen konnte. Heute, im Zeitalter der Postmoderne, wo Wirklichkeit und Fiktion fast programmatisch ineinander gleiten, lesen wir ihn als hoch reflektierten, leidenschaftlich coolen Wirklichkeits-Junkie und strategischen Melancholiker:

    "Zum Selbstmord fehlte mir der Mut. Aber ich machte es mir zur Gewohnheit, in Krisengebiete zu reisen, nicht um Stoff für Bücher zu sammeln, sondern um das Gefühl der Ungewissheit wiederzufinden, das ich während der drei Luftangriffe auf London so wohltuend empfand."

    Der Schock als eine Art wohldosierter Droge und die Therapie des Schreibens als forcierter Widerstand gegen das sonst allenthalben übermächtige Chaos und den Stachel der Langeweile.

    "Ich glaube, das hielt sich die Waage. Es ist eine Art Flucht. Flucht, das wäre das Motiv der Verzweiflung. Der Fluchtweg ist dann, Ordnung in das Chaos bringen. Flucht aus der Langeweile ist eines. Ein anderes, sich durchs Leben schlagen. Dazu braucht man bestimmte Drogen. Der Alkohol ist so eine Droge. Eine sehr angenehme. Eine andere das Schreiben."