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Der doppelte Fassbinder

Im Theaterstück, "Katzelmacher" aus dem Jahr 1968 thematisiert Rainer Werner Fassbinder die Ankunft der ersten Gastarbeiter in Deutschland. Gut zehn Jahre später entstand der Film "Die Dritte Generation", in dem es um eine Chaos-Truppe linker Terroristen geht. Nun wurden beide Werke erneut auf die Bühne gebracht - in Leipzig und Berlin.

Von Hartmut Krug | 28.11.2011
    Den Koffer in der Hand, eine Möhre kauend und ein selbstbewusst ironisches Grinsen im Gesicht, so kommt er im schicken Sakko auf die offene Bühne und fixiert das Publikum: Jorgos, der fremde Grieche, keine Figur, sondern eine pure Behauptung. Wie die anderen jungen Schauspielstudenten, die nacheinander auf die Bühne marschieren, als seien sie auf einem Catwalk unterwegs. Dann stehen und posieren sie, schön verteilt zwischen aufgebocktem VW und einer Liegestatt unterm Muskelmänner-Plakat, markieren sexuelle Handlungen und deuten emotionale Haltungen an. Was sie verlautbaren, sind wie Merkspruchklischees klingende Sinnsprüche, als sollte Fassbinders Vorbild Marie Luise Fleißer karikiert werden.

    Fassbinders Theaterstück "Katzelmacher" aus dem Jahr 1968 beginnt in der Schaubühne mit einer dreiviertelstündigen Installation, die sich an seiner Verfilmung von 1969 orientiert. Dabei werden die Paare mit ihren Beziehungen und Konflikten vor- und ausgestellt. So hält sich Regisseur Ivan Panteleev mit viel Kunstgeschick das heute bei der Lektüre exotisch wirkende Stück und den leblos modellhaft erscheinenden Film mit allerlei theatralen Garnierungen und eleganten Verpackungen vom Leib. Realismus gibt es nicht, auch keine Aktualisierung, - nur Spiel, Form, Pose, Brechung und Bedeutung. Der VW wird im anschließenden Theaterstück-Nachspiel zum Wirtshaus, und die vom Griechen nachgesprochenen Gespräche im Fahrzeug werden mit Kitschmusikbegleitung auf eine Leinwand projiziert .

    Außerdem werden Zeitbilder wie die Mondlandung und zeitgenössische Musik eingespielt. Die sich diszipliniert in ihre Rollen werfenden jungen Darsteller beherrschen sowohl die minimalistische Anspielung wie die allzu große, mimisch-gestische Aufladung. So wirkt die Darstellung einer orientierungslos gelangweilten Dorfgemeinschaft, deren Aggressionen sich in einer Gewalttat gegen den Griechen entladen, in dieser Inszenierung nur als ein gutgemachtes Kunststück. Und der Grieche Jorgos geht am Schluss nicht wie bei Fassbinder weg, weil er seine eigenen Vorurteile gegen einen als zweiter Gastarbeiter avisierten Türken hat, sondern er bleibt.

    Wenn man über Rainer Werner Fassbinders frühe Stücke und Filme recherchiert, dann schwirren einem vor allem Begriffe wie sozialpolitische Aufklärung und alternatives Theater um die Ohren. Mit all dem aber hat die Schaubühnenaufführung nichts zu tun, sie scheint vor allem an Fassbinders sprachlicher Verdichtung und seinen sparsamen Figurenerklärungen interessiert, - also an Darstellungsformen statt an dem Dargestellten.

    In Leipzig stehen die Darsteller zunächst vor dem Publikum und vor der Bühne, während durch den milchigen Vorhang Fernsehbilder von Ulrike Meinhof flimmern, die über ihre politischen Probleme als Frau und Mutter redet. Dann geht es los mit einer Bühnenversion von Fassbinders Film "Die Dritte Generation", gedreht 1978/79 nach "Deutschland im Herbst". Fassbinder bezeichnete ihn als "eine Komödie in sechs Teilen um Gesellschaftsspiele voll Spannung, Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn, ähnlich den Märchen, die man Kindern erzählt." Und was wir auf der Bühne sehen, ist auch eher ein Kinder-Suchspiel, allerdings mit grausamem Ausgang. Die Menschen, die als dritte Generation nach den 68ern und der Baader-Meinhof-Gruppe hier eine terroristische Zelle aufzubauen suchen, sind eher orientierungslos als politisch zielgerichtet. Die Großbürgerkinder haben sich als Codewort das Schopenhauer-Zitat "Die Welt als Wille und Vorstellung" gewählt und langweilen sich in ihrem ordentlichen Leben:

    In einer Szene amüsieren sich die Gruppenmitglieder über eine Neue und deren zahlreiche politisch-theoretische Bücher, und wenn einer ein Baader-Plakat vor sich stellt, dann nicht aus politischen Gründen, sondern, weil er diesen mit Macho-Gehabe zu kopieren oder gar zu übertrumpfen sucht. Auf der Bühne hängen Großbilder der Baader-Meinhof-Gruppenmitglieder hinter einem unwirtlichen Zimmer, das mit seinen vielen Türen und einem drehbaren Raum in der Mitte wechselnde Spielorte zeigt. Hier versuchen sich die Neuterroristen zusammen zu finden, ohne recht miteinander auszukommen, geschweige denn miteinander zu harmonisieren. Eine Fixerin wird zum Störenfried und muss, als sie stirbt, "entsorgt" werden, ein alter Nazi-Opa im Rollstuhl macht auch Probleme, die Anschläge scheitern und viele der Gruppe werden getötet. Denn es gibt einen korrupten Polizisten, einen Spitzel und einen Vertreter einer Computerfirma, der den Terrorismus braucht, um seine Überwachungssoftware verkaufen zu können. Der Staat produziert seine Terroristen aus eigenem Interesse, das ist eine Botschaft. Und die andere: es fehlen die Ziele. Der Film ist Kriminalkomödie und Melodram, und seine Hauptfiguren plappern allerlei Klischees. Das wiederholt Sascha Hawemanns Inszenierung, um eben diese Ziellosigkeit in der Suche nach Inhalten, nach Formen von Militanz, nach einer Ideologie oder Haltung fragend auszustellen:

    "Wir sind schon die sechste.Generation. Bei uns gerinnt es zu einer Satire, zu einer schwarzen Komödie. Also: Stück als Modell, Figuren als Modell, als mögliche Entwürfe, die auch woanders hin strahlen. Aber letztendlich haben wir nicht wirklich Antworten. Ich glaube, wir stellen viel mehr Fragen."

    Grell und laut ist die Komik von Sascha Hawemanns Inszenierung. Die Schauspieler toben durch ihre Rollen und wechselnde Machtkonstellation in der Gruppe, und wie Fassbinders Film ist auch die Inszenierung erfüllt von Lärm, von Geschrei im Spiel und von Fernsehtönen, und eingehüllt ist das wild-groteske Spiel von Pop und Rock von damals bis fast heute. Es ist eine, auch schauspielerisch ansehnliche Inszenierung, aber genaue Fragen an politische Widerstands- oder Protestformen vermittelt sie dann doch nicht.