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Der Dreck der anderen

Australische Umweltaktivisten kritisieren, dass die Regierung in Canberra vor lauter Sorge über den Klimawandel der Zukunft die drängenden Umweltprobleme der Gegenwart ignoriert. Zum Beispiel die Entsorgung mehrerer tausend Tonnen Giftmüll, die im Hafen von Sydney lagern. Statt in moderne und sichere Verbrennungs-Anlagen zu investieren, verschifft Australien die hoch belasteten Abfälle in Richtung Deutschland, zum Beispiel nach Brunsbüttel oder Herten - wo einige der weltweit modernsten Entsorgungs-Anlagen stehen. Die fortschrittliche Technik hat nun absurde Auswirkungen. Andreas Stummer beschreibt sie am Beispiel des globalen Abfall-Tourismus, aus Australien.

    Die Botany Bay im Süden von Sydney: An einem unscheinbaren, halbmond-förmigen Strand zeigt Touristenführerin Georgina Eldershaw einer Reisegruppe die Geburtsstätte des modernen Australiens. Ein schlichtes Sandstein-Denkmal erinnert an den britischen Seefahrer James Cook. Er war im Jahr 1770 der erste Europäer, der die unberührte australische Ostküste betrat. Doch die Spuren der Pionierzeit werden in Botany Bay längst von den Symbolen für Fortschritt und Wohlstand überragt: Von Fabrikschloten, den Silos einer Öl-Raffinerie und den Frachtkränen, die am Hafen gewaltige Containerschiffe entladen.

    Der "Botany Industrie-Park" ist ein mit Maschen- und Stacheldraht umzäuntes Fabrikgelände: Der Firmensitz des Chemie-Konzerns "Orica". Die grau-gestrichenen Lagerhallen hinter dem Werksbereich und die bauchigen Edelstahl-Containern sehen von außen harmlos aus. Doch sie verbergen eine gefährliche Ladung: 60.000 Fässer gefüllt mit hochgiftigem Hexachlor-Benzol, kurz HCB, einem krebserregenden Abfallprodukt der Lösemittel-Produktion. Dazu kontaminierter Schlamm: Zusammen 22.000 Tonnen. Die größte Menge dieses toxischen Sondermülls auf der Welt. Gelagert in Wellblech-Schuppen. Nur zwölf Kilometer vom Zentrum der Vier-Millionen-Stadt Sydney entfernt.

    "Wir reden von einer extrem giftigen Substanz. Weltweit sind jeden Tag 80.000 Chemikalien im Einsatz und HCB gehört zu den zwölf gefährlichsten. Die Frage ist: Warum wurde bis heute nichts unternommen? Die Anwohner von Botany versuchen darauf seit 20 Jahren eine Antwort zu bekommen."

    Die Anwältin Dr. Mariann Lloyd-Smith arbeitet für das australische Giftstoff-Netzwerk, eine unabhängige Organisation, die sich für das ökologisch verträgliche Entsorgen toxischer Industrie-Abfälle einsetzt. Vor allem auf dem "Orica"-Gelände in Botany Bay.

    Seit den 40iger Jahren wurden in Botany Chemikalien aller Art hergestellt. Chlor für Swimming Pools, Pestizide, Farben, Plastik und Lösungsmittel. Erst vom britischen Chemie-Multi ICI, seit 1998 von der australischen Firma "Orica". Anderer Name, gleiches Management. Und: Derselbe Giftmüll. Im gleichen Jahr gelingt es Mariann Lloyd-Smith, die damalige Labour-Bundesregierung und die Konzernleitung an einen Tisch zu bringen. Mit dem Ergebnis: "Orica" soll den Giftmüll umgehend und auf eigene Kosten beseitigen. Doch dann kommt es zu einem Regierungswechsel in Canberra.

    Lloyd-Smith: "Die Konservativen wollten von dieser Vereinbarung nichts wissen und ließen uns einfach im Stich. Ihr Argument war: Die Beseitigung von hochgiftigem Sondermüll sei nicht Sache der Bundesregierung, das müsse die Industrie unter sich ausmachen. Und deshalb sitzen wir heute immer noch auf dem gleichen Giftmüllberg wie schon vor 20 Jahren."

    Die 60.000 Fässer gefüllt mit krebserregendem Hexachlor-Benzol sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Denn jahrzehntelang sind Giftstoffe auf dem "Orica"-Gelände - unsichtbar und unkontrolliert - im Boden und bis ins Grundwasser versickert. Aus den Augen, aus dem Sinn. Außer für die Anwohner von Botany.

    Derek Pittmann und Tom Carpenter sind gute Nachbarn. Ende der 90iger ließen sie zwischen ihren Gärten eine kleine Grundwasserpumpe installieren. Sie teilten sich die 1100 Euro Kosten und das Wasser für die Gemüsebeete und den Swimming Pool. Bis sie einen Anruf von "Orica" bekamen. Ein Firmensprecher warnte sie davor ihren Brunnen weiter zu benutzen. Das Grundwasser sei mit hochgiftigen Chemikalien vergiftet.

    "Für mich war das ein Schock. Ich musste an den Film "Erin Brockovich"
    denken, den ich vor Jahren gesehen hatte. Der Ort, in dem das Wasser vergiftet war, - das hätte auch Botany sein können.

    Seit wir wieder anderes Wasser benutzen schmeckt auch mein Gemüse wieder. Die Chemikalien hatten den Geschmack völlig verändert."

    Ron Honig ist seit 25 Jahren der Bürgermeister von Botany. Genauso lange kämpft er bereits gegen die Giftmüll-Zeitbombe in seinem Stadtteil. Doch nachdem aus dem jahrelang geplanten Bau einer speziellen Sondermüll-Verbrennungsanlage auf dem "Orica"-Gelände nichts geworden ist, hat er das Vertrauen in eine politische Lösung verloren.

    "Die Behörden geben nur vor etwas gegen Umweltverschmutzer zu unternehmen. Aber im Grunde werden nur kleinere Vergehen verfolgt, die nicht ohne allzu viel Aufwand bearbeitet werden können. Gegen Umweltsünden in großem Stil vorzugehen, das ist den Beamten zu beschwerlich."
    Unter dem Druck von Bürgergruppen und Umweltaktivisten hat sich "Orica" jetzt - widerstrebend - zum Handeln entschlossen. Der Giftmüll soll weg aus Australien und im Ausland unschädlich gemacht werden. In Deutschland, dem Mekka moderner Giftmüll-Beseitigung. Die Anwältin und Umwelt-Aktivistin Mariann Lloyd-Smith ist empört. Australien sei schließlich eines der ersten Länder gewesen, das die "Baseler Konvention" unterschrieben hätte. Ein Dokument, in dem sich 170 Staaten dazu verpflichteten ihren Giftmüll möglichst in ihrem eigenen Land zu entsorgen. Vor allem wegen der hohen Risiken beim Transport über Weltmeere, Eisenbahnverbindungen und durch dicht besiedelte Stadtgebiete .

    "Australien hat die gesetzliche und moralische Pflicht diesen Sonderabfall selbst zu beseitigen. Der Gedanke, dass dieser Giftmüll über deutsche Autobahnen transportiert wird, erschreckt mich zu Tode. Für "Orica" ist es am billigsten und die Firma kann ihre Probleme einfach exportieren. Dabei gibt es zwei einheimische Verbrennungsanlagen, deren Betreiber versichern: "Wir können diesen Giftmüll in Australien entsorgen". Deshalb sehe ich keinen Grund diese gefährliche Ladung auf die andere Seite der Erde zu bringen."

    Ende des Jahres wird gewählt in Australien. Bislang spielen traditionelle Themen wie Steuersenkungen, nationale Sicherheit oder Einwanderung aber nur eine Nebenrolle. Diesmal will jede Partei grüner sein als die Grünen. Doch Steve Campbell von Greenpeace befürchtet, dass der Giftmüll-Berg in Sydneys Botany Bay bei der Diskussion um das Für und Wider von Schadstoffgrenzen oder eine Kohlesteuer in Vergessenheit gerät.

    "Im australischen Wahlkampf dreht sich derzeit alles um die Umwelt. Aber es wird nur über Klimawandel und Energieverbrauch gesprochen. Diesen hochgiftigen Sondermüll nach 30 Jahren endlich bei uns sicher und umweltverträglich zu entsorgen scheint niemanden zu interessieren. Die Medien und die Parteien konzentrieren sich ausschließlich auf die Folgen der Klimaveränderung."

    Der australische Umweltminister muss erst noch genehmigen ob "Orica" die 22.000 Tonnen hochgiftigen Industrie-Sondermülls nach Deutschland ausführen darf. Nachdem aber selbst die Opposition einen Export befürwortet ist die Entscheidung wohl nur noch Formsache. Die international modernsten Sondermüll-Verbrennungsanlagen werden dann dafür sorgen, dass Deutschland den Dreck der Australier wegräumt. Auch wenn er vom anderen Ende der Welt kommt.