Donnerstag, 28. März 2024

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"Der Druck ist gewaltig"

Die Arbeitslosenrate von über 40 Prozent, wachsende Armut und steigende Kriminalität, das ist die Realität mit der der African National Congress der ANC zu kämpfen hat. Die Einkommensunterschiede innerhalb Südafrikas sind enorm, allerdings sind sie inzwischen größer innerhalb der schwarzen Bevölkerungsgruppe als zwischen Schwarzen und Weißen, aber inzwischen hat sich eine kleine schwarze Elite herausgebildet. Ein Bericht von Corinna Arndt.

13.08.2005
    Alte Frauen drehen den Kopf. Kinder lassen ihr Spielzeug fallen, und für ein paar Minuten ist das Fußballspiel auf der staubigen Straße vergessen. Begehrliche Blicke heften sich auf den silbergrauen 5er BMW – und neugierige Augen auf den, der ihn fährt. Mbulelo Bikwani ist ein Held hier, er hat es geschafft. Gelassen steuert er seinen makellosen Luxuswagen durch das Labyrinth von Schlaglöchern, Wellblechhütten, toten Ampeln, Hunden und verbeulten Autos.

    "Das hier ist mein Zuhause, hier bin ich aufgewachsen, in der Hauptstraße von Gugulethu. Links stehen Wellblechhütten neben einem Mietshaus, rechts Steinhäuser. Hier haben wir als Kinder gespielt. Unser Traum war es, einen BMW zu fahren. Und bis heute habe ich ausschließlich BMWs und Sedans gehabt - und den Geländewagen, den meine Frau als Familienwagen fährt."

    Gugulethu, das Xhosa-Wort für "unser Stolz” ist eines der ältesten schwarzen Townships Südafrikas. Der Mann im schwarzen Designeranzug ist Geschäftsführer in einem weltweit tätigen Unternehmen und sitzt in mehr Aufsichtsräten als er aufzählen will. Vor ein paar Jahren ist er umgezogen: raus aus Gugulethu und rein in eine Luxusvilla mitten in einer ehemals weißen Wohngegend.

    "Wir haben schließlich dafür gekämpft, aus den Ghettos des Apartheid-Regimes herauszukommen! Noch bin ich nicht reich. Aber ich freue mich darauf, reich zu werden. Und ich gebe alles dafür, reich zu werden."

    Reichtum – das hieße für Bikwani, ohne nachzudenken 2500 Euro im sonntäglichen Gottesdienst zu spenden. Doch bereits jetzt gehört er schon zu Südafrikas neuer schwarzer Elite. Und die hat einen schlechten Ruf. Danach haben schwarzen Aufsteiger nur ihre eigene Karriere im Sinn und nützen ihre politischen Kontakte zum ANC schamlos aus, um sich Vorteile zu verschaffen. Von Bikwani, der fast täglich nach Gugulethu kommt und dort soziale Projekte organisiert kann man das nicht behaupten. In vielen Fällen treffe der Vorwurf aber zu, meint er.

    "Leider denken einige von uns, mein Gott, ich bin angekommen! Ich bin Geschäftsführer, fahre BMW, wohne in einer Nobelgegend und fliege Business Class, wow! Warum soll ich mich um die scheren, die nach mir kommen, wenn ich doch genau weiß, dass das zu Streit mit meinen weißen Kollegen führt? Das beste ist, halte den Mund und repräsentiere die Schwarzen so, dass eine wirkliche Transformation des Unternehmens nicht stattfindet."

    Bikwani selbst sieht sich als Aktivist gegen Rassismus in der Firma. Und dafür, dass mehr Schwarze eingestellt werden. Beliebt macht ihn das nicht, denn indirekt verdankt er seinen Job der ANC-Regierung. Die hat dafür gesorgt, dass Unternehmen ohne schwarze Beteiligung in Südafrika nicht mehr an öffentliche Aufträge kommen.

    Doch viele weiße Geschäftsleuten mögen den Gedanken nicht, sich selbst ein Kuckucksei in die Chefetage legen zu müssen. Und das lassen sie die aufstrebenden Neulinge spüren. - bestätigt Dickie Meter, schwarzer Geschäftsführer in einem großen Fischereiunternehmen.

    "Die Chefs hatten keine Wahl, und es fällt ihnen schwer, das Familiensilber zu teilen. Ständig stellen weiße Kollegen deine Kompetenz in Frage – mit dem Ziel, dich als inkompetent hinzustellen. Sie sehen Affirmative Action als unfairen Wettbewerb, fürchten um ihren eigenen Job und werden alles tun, um dich zum Scheitern zu bringen."

    Schwarze Top-Manager sind Einzelkämpfer. Und zu den beruflichen kommen häufig kulturelle Probleme: Viele der jungen Aufsteiger sind auf der ständigen Suche nach ihrer Identität, hin- und hergerissen zwischen afrikanischer Kultur und Tradition zu Hause und westlicher Unternehmenskultur im Job. Dort steht statt der Gruppe das Individuum im Vordergrund. Es wird anders kommuniziert, gelobt und gerügt, und beim Geschäftsessen gelten englische Tischsitten. Das ständige Navigieren zwischen den Kulturen hinterlässt Spuren – ebenso wie das Gefühl, sich im Job ständig beweisen zu müssen.

    Janne Dannerup ist Psychologin in Johannesburgs noblem Norden und spezialisiert auf die Probleme der neuen schwarzen Elite. Ihre Patienten klagen über Magengeschwüre, über Panik- und Angstattacken. Vielen fehle die gewohnte Unterstützung durch die Großfamilie. Und erfolgreiche Frauen hätten es doppelt schwer, sagt sie.

    "Oft ist der Ehemann eifersüchtig und wischt die Sorgen seiner Frau beiseite nach dem Motto: "Was beschwerst du dich, du hast doch einen tollen Job! Sieh mich an, ich bin arbeitslos oder verdiene halb so viel wie du!”. Das artet manchmal in regelrechte Sabotage aus, mit dem Ziel, die Frau zu verunsichert, weil sich der Mann aufgrund ihres beruflichen Erfolgs unterlegen fühlt."

    Ich sitze im Büro von Chris Nissen im elften Stock, in der Kapstädter Innenstadt. Seit zwanzig Minuten redet Nissen ununterbrochen von seiner Karriere in Politik und Wirtschaft. Er ist Medienprofi. Ein Partner, nach dem sich weiße Wirtschaftskapitäne die Finger lecken: Er ist politisch bestens vernetzt, sammelt lukrative Posten wie Briefmarken und erzählt beiläufig von seinen knapp 8000 Euro Monatsgehalt. Chris Nissen sonnt sich im Glanze seines Erfolgs. Fragt man ihn nach seiner Familie, verschwindet die überlegene Leichtigkeit für einen Augenblick aus seiner Stimme, und die Stirn legt sich in Falten.

    "Der Druck ist gewaltig. Die Cousins rufen an und die Schwester, und die Neffen, die Onkel und Tanten... Der eine will einen Kurs machen und die andere die Schulgebühren bezahlt haben, und jeder will irgendwas, aber du hast keine Zeit! Bis heute nehmen wir ständig Verwandte in unserem Haus auf, du lebst mit diesem Druck. Die Leute klopfen an unsere Tür, und ich sage, gut, kommt rein... Sie nennen mich 'mein Herr' oder 'Gelehrter'."

    Das zufriedene Lächeln ist wieder da. Reichtum bringt nicht nur Verantwortung, sondern auch Anerkennung. Wenn Mbulelo Bikwani am Sonntag im Gottesdienst in Gugulethu mit tiefem Bass in den Gesang einstimmt, bleibt er unbeweglich stehen, während alles um ihn herum sich im Rhythmus wiegt.

    "Früher konnten unsere Familien zu niemandem aufschauen. Jetzt, wo ich dieser leuchtende Stern bin, da ist doch ganz natürlich, dass mich alle als Familienoberhaupt betrachten, einfach weil ich mir bestimmte Sachen leisten kann und sie nicht. Da gibt es legitime Erwartungen, die wir akzeptieren müssen."

    Chris Nissen sieht das pragmatischer: Wer schnell aufsteigt, sagt er, kann tief fallen. Und die, denen er heute hilft, die fangen ihn morgen – hoffentlich – auf, sollte das Glück sich jemals gegen ihn wenden.