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Der Duft ist nicht alles

Nicht nur Biologen, auch Informatiker interessieren sich für die Regeln, nach denen Ameisen das Leben im Riesenstaat effektiv und ohne Zentralregierung organisieren. Dabei spielen Duftstoffe eine wichtige Rolle, aber nicht alleine: Auch das individuelle Gedächtnis der Tiere hilft bei der Futtersuche.

Von Frank Grotelüschen |
    "Es gibt Ameisenstaaten mit mehreren zehn Millionen Tieren. Sie haben keinen Boss, keinerlei Art von Zentralregierung, keine Hierarchien. Und dennoch funktionieren ziemlich effizient."

    Je größer der Ameisenhaufen, um so interessanter. Das ist die Devise von Melanie Moses, Biologin an der Universität von New Mexiko in den USA. Um herauszufinden, warum ein Ameisenstaat selbst dann noch funktioniert, wenn er aus Abermillionen Tieren besteht, ließ sich ihr Team ein raffiniertes Feldexperiment einfallen. Die Forscher legten Futter in der Umgebung von Ameisenhaufen aus und beobachteten, wie die Insekten bei der Futtersuche vorgehen. Besonders wichtig: Inwieweit nutzen sie Pheromone, also Duftlockstoffe, um ihre Artgenossen über eine neue Nahrungsquelle zu informieren?

    "Wir hatten erwartet, dass in großen Ameisenstaaten sehr viel mit Pheromonen kommuniziert wird. Beobachtet aber haben wir etwas anderes: Die Ameisen setzten nur selten Pheromone ein, um anderen Tieren mitzuteilen, wo sie Futter gefunden hatten. Wesentlich öfter liefen einzelne Ameisen immer wieder hin und her, um ganz alleine eine Futterquelle auszubeuten. Sie haben also gar keine Pheromone abgegeben, haben also nicht mit ihren Artgenossen kommuniziert."

    Daraus schließt Melanie Moses: Pheromone sind für die Futtersuche der Ameisen doch nicht so wichtig wie angenommen. Etwas anderes scheint viel relevanter zu sein: das Gedächtnis der einzelne Ameise, das es ihr ermöglicht, sich den Weg zu einer Futterquelle zu merken. Um ihren Verdacht zu überprüfen, hat Moses, die nicht nur Biologin ist, sondern auch Computerexpertin, ein Rechnerprogramm geschrieben:

    "Wir haben Simulationen mit digitalen Ameisen gemacht. In einigen Szenarien stützten sie sich ausschließlich auf ihr Gedächtnis, ohne zu kommunizieren. In anderen Fällen haben sie ausschließlich kommuniziert, ohne ein eigenes Gedächtnis zu besitzen. Am besten hat's geklappt, wenn beides vorhanden war: ein individuelles Gedächtnis, unterstützt durch gelegentliche Kommunikation."

    Eine interessante Erkenntnis für Ameisenforscher, aber vielleicht auch für Programmierer, die an einer neuen Art von Software tüfteln.

    "Es geht um eine neue Klasse von Programmen, die sogenannten Ameisenalgorithmen. Sie imitieren quasi die Pheromonkommunikation der Insekten. Und ähnlich, wie Ameisen mit Hilfe von Pheromonen den kürzesten Weg zu einer Futterquelle finden, lassen sich mit Ameisenalgorithmen schwierige Such- und Optimierungsprobleme lösen. Man kann zum Beispiel die kürzesten Fahrtrouten für eine Spedition ermitteln. Und unsere Ergebnisse legen nahe, dass das noch effektiver gehen könnte, würde man die digitalen Ameisen in diesen Programmen mit einer Art Gedächtnis ausstatten."

    Getestet hat Moses ihr neues Konzept mit einem Schwarm aus sechs kleinen Robotern, programmiert nach Art der Ameise. Von einer Art Nest in der Labormitte schwärmen sie aus und rollen im Zickzack hin und her - wie ihre biologischen Vorbilder immer auf der Suche nach etwas Brauchbarem.

    "Im Moment sollen die Roboter Pokerchips suchen. Diese Chips sind mit kleinen Barcodes bedruckt. Findet ein Roboter ein Häuflein mit einigen wenigen Chips, merkt er sich den Fundort und sammelt die Chips selber ein, ohne den anderen Bescheid zu geben. Findet er dagegen einen größeren Haufen, informiert er seine Kollegen über ein Funksignal. Und die können dann beim Aufsammeln helfen."

    Derzeit sucht Melanie Moses noch nach der besten Balance zwischen Autonomie und Kommunikation. Doch wenn die Software erst mal ausgereift ist, könnte sie eines Tages Schwärme von Rettungsrobotern steuern oder auch von Maschinchen, die im Team ferne Planeten und Monde erkunden.