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Der Ehemann Hitchcock sucht Spannung

Sascha Gervasis zeichnet in "Hitchcock" ein wohlwollendes Porträt des legendären Filmemachers. Gespielt von Anthony Hopkins ist Alfred Hitchcock ein Genie, das seine verbliebene Zeit nutzen will. Abgründe wie seine tyrannische Art werden beschönigt oder ausgeblendet.

Von Rüdiger Suchsland | 15.03.2013
    "Hinter dem Fenster dort im ersten Stock, da über dem Eingang hat man die Frau zum ersten Mal gesehen. Gehen wir hinein!"
    So kannten ihn die deutschen Zuschauer seit den späten 50-er Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms: In den Trailern, die seinen jeweils neuen Film bewarben, trat Alfred Hitchcock auch in deutschen Kinos höchstpersönlich auf. In seiner unverwechselbaren Mischung aus Eitelkeit und Selbstironie lockte er das Publikum mit starkem britischem Akzent ins Kino. Hitchcock war einer der ersten Regisseure der Welt, der sich selbst zur Marke machte und als Person noch bekannter wurde, als seine Filme, die er mit diesem Bild seiner Person vermarktete. Nicht nur ein Kinogenie, sondern auch eines des Marketing.

    Aber was für ein Mensch, welcher Charakter stand tatsächlich hinter dem Bild des Dicken mit dem schwarzen Humor, des skurrilen Briten, der diese ganz besonderen, schrecklich faszinierenden und atemberaubend furchtbaren Thriller machte?

    Diese Frage versucht jetzt Sacha Gervasis Film "Hitchcock" zu beantworten. Es ist ein eher wohlwollendes Portrait, das einige von Hitchcocks bekannten Abgründen ausblendet: Um unerfüllte sexuelle Obsession geht es kaum, ebenso wird seine tyrannische Art beschönigt: Ein Egoman war er schon, aber nur zum Wohle der Kunst.

    Dafür sehen wir ein sehr sympathisches Bild seiner Beziehung zu seiner Frau Alma. Helen Mirren spielt in einem wunderbaren Auftritt diese "Frau an seiner Seite", die von zuhause aus ein matriarchales Regiment führt, klug aus dem Hintergrund dirigiert, und doch auch weiß, was sie am Gatten hat. Der wird von einem Anthony Hopkins verkörpert, den man kaum erkennt unter zentimeterdicker Maske.

    Die Interpretation allerdings ist hochinteressant: Hopkins' Hitchcock ist ein Genie, das sein Altern spürt, das begreift, dass er noch zwei, drei gute Filme machen kann, bevor der Verfall einsetzt, und der diese verbleibende Zeit nutzen will. Und ein Regisseur, der weiß, dass er sich dazu neu erfinden muss, der instinktiv erkennt, dass auch sein Stil bereits einem vergangenen Zeitalter angehört, denn im Jahr 1959, in dem der Film spielt, beginnt gerade eine neue Zeit: Die des Autorenkinos. Die Filme werden zugleich expliziter und härter wie intellektueller. Hitchcock nimmt diese Herausforderung mit viel Sinn für die Zukunft an.

    "Ich brauche etwas Frisches. Etwas anderes."

    Im Jahrzehnt davor hatte Hitchcock einen Kassenschlager nach dem anderen geliefert, balancierte souverän zwischen Unterhaltung auf höchstem Niveau und psychoanalytischem Tiefsinn hin und her. Nun wollte er etwas irgendwie anderes machen, suchte neue Herausforderungen und dafür eine zündende Idee. Er fand sie eines Abends auf der Bettkante, als ihm seine Frau aus dem Roman vorliest, den sie gerade verschlingt:

    "Es war dieses Messer, das nur einen Moment später ihren Schrei abschnitt - und ihren Kopf'. Charmant! Doris Day sollte daraus ein neues Musical machen."

    "Psycho" von Robert Bloch - die blutige Geschichte um einen Serienmörder. Der Film erzählt die spannende, anekdotenreiche Story dieses berühmten Films. "Psycho" war dem Hollywood-Studio zu drastisch, also bot Hitchcock an, den Films selbst zu finanzieren - für 60 Prozent der Einnahmen. Hitchcock verpfändete dafür sein Haus. Der Deal kam zustande, und nie hatte Hitchcock mehr künstlerische Freiheit. Er nutzte sie, "Psycho" wurde sein größter Kassenerfolg. Auch deshalb, weil es gelang, mit Janet Leigh einen Star zu verpflichten, sie wird hier von Scarlett Johannsson gespielt:

    Janet Leigh: "Ich bin neugierig, zu erfahren, ähem..., wie Sie genau vorhaben, diese Duschszene zu drehen"

    Hitchcock: "Erlauben Sie mir, sie beruhigen... Ich werde verschiedene Einstellungen aus verschiedenen Winkeln drehen. Geschnitten deutet die Montage die Nacktheit allenfalls an. Ebenso die Gewalt. Nichts wird tatsächlich gezeigt. Aber natürlich: Dadurch, dass Sie in der Dusche sind, wird es gleich besonders ... nun ja: reizvoll."


    Dass die Hauptdarstellerin nach einer guten halben Stunde einfach starb, war ein Schock für das Publikum, und die Duschszene wurde eine der berühmtesten Momente der Filmgeschichte.

    Insgesamt ragt "Hitchcock" über die inzwischen üblich gewordenen Anekdotenspiele der "Film-im-Film"-Verfilmungen weit hinaus. Er zeigt einen komplexen Charakter, und stellt sich auf dessen Seite im Kampf um eine künstlerische Vision und gegen das Kompromisslertum der Betriebswirtschaft-Krämer, die zu keinem Risiko bereit sind.

    Was dem Film auch gelingt: Er macht dem heutigen Publikum, 34 Jahre nach Hitchcocks Tod, Lust, einmal all dessen Filme wiederzusehen. Sie sind mit den Jahren nicht uninteressanter geworden, sind nicht gealtert, sondern ungebrochen aktuell, und wirken erstaunlich zeitgenössisch. Wie wenige andere hat er unser Bild des Kinos geformt, gelang es ihm, über seine großartige und unverwechselbare persönliche Handschrift hinaus auch universal Gültiges zu schaffen.
    Der britische Regisseur Sacha Gervasi
    "Hitchcock"-Regisseur Sacha Gervasi (picture alliance / dpa / epa/Facundo Arrizabalaga)