Archiv


Der Einfluss der Architektur auf die Stadtgestaltung

Die ideale Stadt müsste ein aktivierendes Verhältnis zwischen Kunst, Architektur und Gesellschaft etablieren wollen. Betrachtet man heute viele Innnenstädte, so scheint das Konzept gescheitert, zu oft sind qualitätsvolle Innenstädte nur ein Traum. Eine Ausstellung der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst versucht sich dem Problem moderner Innenstädte zu nähern.

Von Carsten Probst |
    "Ein Stadtzentrum, zugänglich für alle Schichten seiner Bürger. Ein Theater, ein Konzertsaal, Bibliotheken für Kinder, für Musikliebhaber... Ausstellungsflächen und Kontaktzonen, ein Lesecafé, ein Theatercafé, Clubräume für künstlerische Freizeitinteressen..." – Wie in dieser Vision einer Architektin stellt man sich eigentlich ein Stadtzentrum vor, ein Ort für die Bürger, die nicht nur in die Stadtmitte fahren, um auf Shopping- oder Sightseeingtour zu gehen, sondern die ein bewohnbares Zentrum wollen, Stadtmitte im wörtlichen Sinn. Fast könnte dieses Bild fast als Manifest über der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig schweben, die sich ab September ausführlich mit der aufgepeppten, weltweiten Trostlosigkeit der Innenstädte befassen wird.

    Das Architektenzitat stammt aber nicht von einem Biennalen-Architekten, sondern von Iris Dullin-Grund. Von 1961 bis zur Wende war sie im VEB Hochbauprojektierung Neubrandenburg tätig und schließlich dort auch als hauptamtliche Stadtarchitektin. Von Iris Dullin-Grund steht heute unter anderem noch das Kulturhaus der Stadt, ein stelenartiges Hochhaus mitten im Zentrum Neubrandenburgs, mit dem sie in den siebziger Jahren für Aufsehen sorgte, weil sie der sowjetischen Kulturhaustradition aus dem 19. Jahrhundert abschwor und stattdessen auf Inspiration durch das Bauhaus setzte.

    Doch damit keine Mißverständnisse entstehen: Den Ausstellungsmacherinnen der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst liegt keineswegs daran, sozialistische Stadtplanung als Rezept für globalisierte Megastädte zu empfehlen. Auch zu DDR-Zeiten gab es schon das Problem, dass Innenstädte vorwiegend abstrakten Interessen geopfert wurden, als repräsentative Fläche, Aufmarschgelände für Maifeiern und Symbole für den sozialistischen Fortschritt. Allerdings wurde damals zumindest noch in den Innenstädten gewohnt – fast eine Utopie aus heutiger Sicht.

    Die Architektur, das hat soeben Meinhard von Gerkan, der Schöpfer des neuen Berliner Hauptbahnhofs erfahren, hat kaum noch Einfluß auf die Stadtgestaltung. Von der eleganten Bahnhofshalle wurde bekanntlich durch biedere Bahn-Ingenieure kurzerhand rund ein Viertel abgetrennt, was die Erscheinung des Bahnhofs insgesamt schmerzhaft beeinträchtigt; der Innenraum durch billigste Baumarktdecken verfinstert, als wäre Architektur eigentlich eine Last, ein überflüssiges Ärgernis. Richard Burdett, der Chefkurator der Architekturbiennale, berichtet von einem Gespräch mit dem Bürgermeister von Shanghai, der darin ohne Skrupel bekannt haben soll: "Wir wissen selbst, dass wir die Stadt zerstören und dass keines unserer Hochhäuser länger als zwanzig Jahre stehen wird." Niemand fragt mehr nach der sozialen Kompetenz von Stadtarchitektur. Architekten gelten als teure Phantasten, die man sich nur noch leistet, um anzugeben – nicht um eigentlich das Selbstverständlichste, eine qualitätvolle Stadt für alle zu schaffen.

    In Leipzig hat man damit begonnen, Ideen zu sammeln, die bislang auch schon umgesetzt wurden, wie zum Beweis, dass es sie trotzdem gibt, die gebaute Vision der Bürgerstadt. Die Rede ist hier in der Tat nicht von Idealstadtgebilden, sondern von der Praxis der bestehenden Möglichkeiten. Man muss dazu offenbar bis in die siebziger Jahre zurückgehen.

    Iris Dullin-Grund ist in dieser Ausstellung vertreten, weil sie damals in Neubrandenburg ein Zeichen gegen herrschende Bauideologie gesetzt hat und - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - bürgerfreundlich planen wollte. Eine berühmte Kollegin von ihr ist Lina Bo-Bardi, die gebürtige Römerin, die es geschafft hat, im Hochhausmoloch von Sao Paulo architektonische Zeichen zu setzen und tatsächlich so etwas wie öffentlichen Raum zu schaffen. Sie war beteiligt am Neubau des Museo d’Arte Moderna und an der Schöpfung des Kulturzentrums SESC Pompeia in einem alten Paulistaner Fabrikviertel.

    Auch der Pariser Husarenstreich von Renzo Piano und Richard Rogers mit dem Centre Pompidou von 1977 ist ein berühmtes Beispiel für die aktive Veränderung eines Stadtviertels durch Architektur. Archit-Action eben. Wer erinnert sich noch an die tumultösen Auseinandersetzungen von Traditionalisten, die Piano und Rogers aus der Stadt jagen wollten. Das exakte Gegenteil ist nur einige hundert Meter weiter zu besichtigen, die neuen Markthallen, von der Stadt damals groß gefördert, die tiefgaragenähnlichen Betonzisternen aus der selben Zeit, die nie von der Bevölkerung angenommen wurden und daher nach dreißig Jahren wieder abgerissen werden.

    Unwillkürlich fragt man sagt: Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wie konnte Stadtpolitik eigentlich derart verarmen, dass nicht einmal mehr über die Trostlosigkeit der Städte und über Architektur diskutiert wird? Das kann nicht die Schuld der Architekten sein.