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Der Einstein der Religionsgeschichte

Mircea Eliade gehört zu den bedeutendsten Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Der Mehrfachbegabte schrieb ebenso eine Anzahl von Romanen und Erzählungen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Doch wie fast jede leuchtende Oberfläche, hatte auch er eine Kehrseite: In den 30er Jahren war Eliade Sympathisant der Eisernen Garde, einer rumänischen faschistischen Bewegung.

Von Renate Hellwig-Unruh | 09.03.2007
    Er war ein äußerst produktiver Schriftsteller, Publizist und Wissenschaftler. Allein seine fünfbändige "Geschichte der religiösen Idee", die zu einem Standartwerk avancierte, machte Mircea Eliade zu einem der bedeutendsten Religionshistorikern des 20. Jahrhunderts. Der rumänische Philosoph Constantin Noica stellte einmal fest:

    In einer Zeit unerbittlicher Spezialisierung hat Eliade den Mut und die erstaunliche Kompetenz, über alle großen Religionen der Geschichte zu schreiben. Ja es scheint, als bedaure er, dass es nicht noch andere große Religionen gibt, wie der Don Juan Molières, der sich noch einen Globus mit anderen schönen Frauen wünscht, um auch diese zu erobern.

    Der Wissenschaftler Eliade suchte nach Sinnkonstruktionen, in der Religion, im Mythos, in der Magie - immer mit der nötigen Skepsis und Rationalität des historisch bewussten Menschen. Er machte beispielsweise deutlich, dass Initiationsriten auch in unserer Zeit noch ihre Gültigkeit besitzen.

    "Einweihungen, Initiationsriten sind meist nur noch im Unterbewusstsein der modernen Welt lebendig geblieben. Das beweisen die Erstaufführungen und Premieren vieler Kunstwerke, Romane, Bilder, Skulpturen, Filme und ihr Anklang, den sie beim Publikum finden. Diese spontane Zustimmung zeigt offensichtlich, dass der moderne Mensch in der Tiefe seines Wesens noch immer auf solche Einweihungsriten anspricht."

    Den Literaten Eliade beschäftigten ähnliche Themen wie den Wissenschaftler: Die versteckte Existenz von Riten und Mythen im Alltäglichen, das Heilige im Profanen, das Phantastische im Realen. In der Erzählung Der besessene Bibliothekar erlebt der Protagonist Cesare seinen Eintritt in das Reich des Übernatürlichen, in dem sich mystische Elemente und Träume mit okkulten Handlungen verbinden.

    Die wissenschaftlichen Werke schrieb Eliade überwiegend in Französisch, später auch in Englisch, sein belletristisches Qeuvre verfasste er ausschließlich in seiner Muttersprache Rumänisch.

    Geboren am 9. März 1907 in Bukarest, setzte sich Eliades Mehrfachbegabung früh durch. Mit 14 hatte er bereits seinen ersten Roman geschrieben, mit zwanzig konnte er auf eine umfangreiche publizistische Tätigkeit zurückblicken. Und er kam schon früh zu der Erkenntnis, dass der Mensch Gott - oder ein "gottähnliches" Geschöpf braucht, um der eigenen Existenz einen Sinn abzugewinnen. Eliade:

    "Auch wenn es merkwürdig klingt, aber ich hatte bereits 1927 Furcht vor einer Katastrophe, einer plötzlichen Zerstörung der Erde. Ich schrieb damals in der Zeitung "Cuvintul" / "Das Wort", einen pathetischen Beitrag: Anno domini."

    Nach dem Philosophiestudium in Bukarest und einem dreijährigen Studienaufenthalt in Indien, promovierte Mircea Eliade 1933 über Techniken des Yoga. In Indien hatte er den Roman Maitreyi geschrieben, eine Liebesgeschichte, die auf Selbsterlebtem fußt, und seinen Autor innerhalb kurzer Zeit international bekannt machte.

    Von 1945 an lebte und lehrte Mircea Eliade in Paris, ab 1956 in Chicago, wo er den Lehrstuhl für Religionsgeschichte etablierte und dem Fach zu großer Popularität verhalf. In der USA galt er als "Einstein der Religionsgeschichte"; nicht weniger als 12 Mal hatte er die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen. Doch sein Thron begann in den 70er Jahren heftig zu wanken, denn immer neue Enthüllungen über seine politische Vergangenheit wurden bekannt: Eliade hatte in den 30er Jahren in Bukarest der faschistischen Bewegung Eiserne Garde nahe gestanden. Wie nahe, darüber entbrannten nun heftige Diskussionen. Als dann bekannt wurde, dass er auch Beiträge publiziert hatte, die das Gedankengut dieser totalitären und antisemitischen Vereinigung transportiert hatten, geriet Eliade auch posthum, nach seinem Tod am 22. April 1986, immer häufiger in die Schusslinie. Es gibt heute sogar Stimmen, die den Lehrstuhl für Religionswissenschaften in Chicago, der seinen Namen trägt, wieder umbenennen möchten.