Freitag, 29. März 2024

Archiv


Der einzige Minister, der Adenauer widersprach

In den Nachkriegsjahren war Gustav Heinemann CDU-Mitglied und Innenminister der ersten Bundesregierung. Am 9. Oktober 1950 trat er unter Protest zurück. Grund war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik vorbereitete und den Westalliierten bereits Truppen zugesagt hatte - ohne sein Kabinett darüber zu informieren.

Von Andreas Baum | 09.10.2005
    Am 9. Oktober 1950 wandte sich Gustav Heinemann, für die CDU Innenminister im Kabinett Konrad Adenauers, in einer Rundfunkansprache an die Deutschen.

    "Wer im politischen Amt steht, soll nach seiner gewissenhaften Überzeugung handeln, und nicht an einem Posten kleben."

    Heinemann verließ die Bundesregierung an jenem Tag im Streit. Er wollte nicht hinnehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine eigene Armee aufstellte. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte den Westalliierten im Sommer 1950 angeboten, eine Freiwilligentruppe von 150.000 Mann zu bilden, die im Kriegsfall gegen die Sowjetunion ziehen sollte.

    Dazu hatte er dem US-amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy ein Sicherheitsmemorandum überreicht, in dem die Möglichkeiten erörtert wurden, Deutsche so schnell wie möglich unter Waffen zu stellen - ohne freilich sein Kabinett davon zu unterrichten. Am 31. August stimmten seine Minister nachträglich der Wiederbewaffnung Deutschlands zu - bis auf einen: Gustav Heinemann.

    "Den Anstoß zu meinem Rücktritt gab die Tatsache, dass das so genannte Sicherheitsmemorandum der Bundesregierung vom 29. August zur Konferenz der Außenminister vom Bundeskanzler ohne Beschlussfassung im Kabinett abgesandt wurde. Dieses Memorandum behandelt allerwichtigste Fragen. Fragen von geradezu schicksalhafter Bedeutung für uns alle. Es geht nicht an, dass solche Dinge ohne ausreichende Behandlung und Beschlussfassung im Kabinett herausgehen."

    Im Sommer 1950 war der junge Frieden in Europa in Gefahr. Im Juni hatte das von China und der Sowjetunion unterstützte Nordkorea den Süden des geteilten Landes angegriffen. Ein Dritter Weltkrieg, eine nukleare Auseinandersetzung zwischen den Großmächten schien zum Greifen nah. In seinen Memoiren verteidigt Konrad Adenauer später sein Vorgehen. Die Bundesrepublik wäre bei einem drohenden Krieg von den Westalliierten verteidigt worden.

    "Man konnte von den Müttern und Vätern in den Vereinigten Staaten nicht erwarten, dass sie bereit waren, ihre Söhne zu opfern ohne dass auch wir einen Beitrag zu Verteidigung leisteten."

    Gustav Heinemann, der gleichzeitig Präses der Synode der Evangelischen Kirchen Deutschlands war, sah durch diesen Schritt die angestrebte Wiedervereinigung Deutschlands in Gefahr. Er stammte aus einer liberalen protestantischen Familie, während des Dritten Reichs war er in der Bekennenden Kirche engagiert. Deshalb fand er auch religiöse Argumente für seine Ansicht, dass die Deutschen sich in der Weltpolitik friedlich und gewaltfrei zu verhalten hätten. In seinen Memoiren hatte Adenauer dafür nur Spott übrig.

    "Heinemann vertrat den Standpunkt, dass man, nachdem Gott den Deutschen zweimal die Waffen aus der Hand geschlagen habe, sie nicht zum dritten Mal ergreifen dürfe. Ich möchte hier über Gottvertrauen an sich und über Frömmigkeit im Allgemeinen nichts sagen, aber ich hatte Herrn Heinemann, als er mich beschwor, in der Sache der Verteidigung der Bundesrepublik nichts zu tun, erwidert, dass nach meiner Auffassung Gott uns den Kopf zum Denken gegeben habe und Arme und Hände, um damit zu handeln."

    Adenauer verschwieg, dass der Grund für Heinemanns Rücktritt, den er in spontaner Erregung angeboten hatte, vor allem in dem undemokratischen Verfahren des Kanzlers zu suchen war.

    "Dem Bundeskanzler steht nach der Verfassung die Bestimmung der politischen Richtlinien zu. Ich bin der Meinung, dass diese politischen Richtlinien aufgrund einer Beratung in der Regierung zu fixieren sind, und nicht allein vom Kanzler, so dass die übrigen Kabinettsmitglieder einfach folgen müssen."

    Für Heinemann bedeutete die Demokratie weit mehr als nur das Recht, alle vier Jahre zu wählen. Er wünschte sich den mündigen Bürger, der sich Gehör verschafft und sich in das politische Leben einmischt.

    "Es liegt mir daran, dass die Männer und Frauen in unserem Volke selber darüber nachdenken, sich eine eigene Meinung bilden und diese Meinung zum Ausdruck bringen. Wir reden davon, dass wir eine Demokratie verteidigen wollen. Dann müssen wir zunächst einmal Demokratie sein und Demokratie riskieren."

    Heinemann war der einzige Minister, der es wagte, Adenauer zu widersprechen. 1952 verließ er auch die CDU und gründete eine eigene Partei, die Gesamtdeutsche Volkspartei, die aber nie nennenswert Wählerstimmen gewinnen konnte. 1957 löste sie sich auf, die meisten ihrer Mitglieder traten der SPD bei - Heinemann wurde nun als Sozialdemokrat zunächst Bundesjustizminister. Seine Karriere gipfelte 1969: in der Wahl zum Bundespräsidenten.