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Der Erfinder des E-Books

Mit der Eingabe der "Bill of Rights" fing alles an. Man kann den US-amerikanischen Hochschullehrer Michael S. Hart durchaus als Erfinder des E-Books bezeichnen. Seine Mission: Kostenloses Wissen für alle.

Holger Ehling im Gespräch mit Beatrix Novy | 08.09.2011
    Beatrix Novy: Heute kam die Nachricht vom Tod des amerikanischen Hochschullehrers Michael Stern Hart. Er starb 64-jährig in Illinois, USA. Er war der Erfinder des Project Gutenberg, das bisher 36000 Ausgaben digitalisierter Literaturwerke, deren Urheberrechte abgelaufen sind, im Internet versammelt. Und auch, wenn große Ideen bekanntlich immer irgendwie in der Luft liegen: Das ist die Leistung, bestimmt nicht die einzige, des Michael Hart, der es nie zur Bekanntheit der Steve Jobs oder Bill Gates brachte. Dazu war er sicher auch zu nett. - Holger Ehling, wie war das denn eigentlich damals mit Michael Hart? Wie kam es zum Gutenberg-Projekt?

    Holger Ehling: Es kamen verschiedene Sachen zusammen. Rückblende in die späten 60er-, Anfang der 70er-Jahre. Damals gab es keine Personal Computer, damals war Rechenzeit an Universitäten ein unglaublich teures und sehr, sehr rares Gut. Und Michael Hart hatte tatsächlich Rechnerzeit an seiner Universität ergattert, und er nutzte die nicht, um irgendwelche mathematischen Experimente zu machen, sondern er tippte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ab und verschickte sie an Kollegen an der Universität und an anderen Universitäten, die an die Frühform von E-Mail angebunden waren, und damit war das erste E-Book geboren.

    Novy: War das ein Spaß, oder hatte er schon etwas im Hinterkopf?

    Ehling: Es war sicherlich erst mal ein Spaß. Es war aber dann sehr schnell für ihn ein Anliegen. Tatsächlich erkannte er, dass man in dieser elektronischen Verbreitungsart von einer ganz, ganz wesentlichen Sache befreit ist, nämlich der Last der physischen Distribution von Büchern, dass man Papier von A nach B transportieren muss. Das geht elektrisch sehr viel leichter und sehr viel besser und sehr viel billiger. Und daraus stammt dann auch die Idee zu diesem "Project Gutenberg" in den USA, das bis heute eigentlich das größte Projekt ist, um Bücher zu digitalisieren und kostenlos zur Verfügung zu stellen. Diese kostenlose zur Verfügung Stellung von Wissen, das war ihm ganz besonders wichtig.

    Novy: Sie haben ja damit die Frage schon beantwortet, ob es sich hier um eine Bildungsoffensive, oder um ein Geschäft handelt. Bei ihm war es offensichtlich die Bildungsoffensive, die im Vordergrund stand. Wann kann man denn sagen, in der Geschichte von Michael Hart und den anderen, den ganz großen erfolgreichen, deren Namen wir immer kennen, wann hat sich diese Schere geteilt, die einen und die anderen?

    Ehling: Die Schere hat sich eigentlich in dem Moment geteilt, als Bill Gates und seine Spießgesellen von Microsoft bei IBM Carte blanche für das Operationssystem für Personal Computer bekommen haben. Da ging es wirklich los mit der sehr starken kommerziellen Ausnutzung dessen, was wir heute als Computer kennen. Und im Gefolge die Apples und so weiter der Welt haben sich letztlich auf dieses Modell draufgesetzt und sind damit sehr, sehr erfolgreich geworden und haben aus sich heraus natürlich auch für die Gesellschaft große Werte geschaffen, denn tatsächlich ist es ja so, dass eigentlich nur sehr wenige unter uns heute noch ohne Computer in der einen oder anderen Form auskommen, sei es der PC auf dem Tisch, der Laptop oder das Mobiltelefon, das ja auch eigentlich nur ein Computer ist.

    Novy: Diese ökonomische Revolution hat stattgefunden. Aber Michael Hart hat in ihr ja offensichtlich nicht mehr mitgemacht. Wie ist denn sein weiteres Leben verlaufen?

    Ehling: Er ist brav an der Universität geblieben. Er hat sich vor allen Dingen um Bildungsprojekte gekümmert. Er ist bei seinen Eltern wohnen geblieben. Es wird gesagt, dass er immer äußerst bescheiden aufgetreten ist und dass er das Geld, das er als Angestellter der Universität verdient hat, im Wesentlichen in solche Projekte wie dieses Project Gutenberg gesteckt hat, oder vor allen Dingen in Alphabetisierungsprojekte in den USA, denn er hat natürlich auch erkannt, dass das Bildungssystem letztlich verantwortlich dafür ist, wie Gesellschaft sich entwickelt und wie sie sich entfaltet. Wenn Menschen keinen Zugang zur Bildung haben, dann ist mit ihnen auch irgendwann kein Staat mehr zu machen.

    Novy: Glauben Sie, dass er das Gefühl mitnehmen konnte, etwas wirklich Wichtiges geleistet zu haben?

    Ehling: Ich denke, ja. Michael Hart hat sehr deutlich erkannt, dass mit der Schöpfung des E-Books, mit dieser Idee zum E-Book tatsächlich etwas geschaffen werden kann, das auf Dauer möglicherweise weltweit von Bedeutung sein kann und weltweit hilfreich sein kann, dann nämlich, wenn wir uns darauf besinnen, gerade wenn es um das Thema Bildung geht, wegzugehen vom Kommerzdenken, sondern zu überlegen, wie wir damit das gemeinsame Gute, the common good, befördern können. Sein Werk ist einfach eines, das bleiben wird, und ich denke auch, dass ein guter Teil dessen, was wir in Zukunft zur Volksbildung brauchen, sowohl in Deutschland wie in den USA als auch vor allen Dingen in den Ländern der Dritten Welt, in elektronischer Weise vermittelt werden wird und damit kostengünstiger, billiger und möglicherweise auch viel mehr Menschen erreichen kann.

    Novy: Holger Ehling war das zum Tod von Michael Stern Hart, der nur 64 Jahre alt wurde.