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Der erotische Reiz der Bücher

Heribert Tenschert gilt als der weltweit führende Antiquar in einer ebenso exklusiven wie verschwiegenen Branche. Über das Internet bestellen seine Kunden natürlich nicht: Sie kommen persönlich zu ihm in die Bibermühle am Rhein - darunter sein Freund Martin Walser. Sie wollen schließlich selbst in den Händen halten, was sie später erwerben - am besten bei einem erlesenen Tropfen Wein.

Von Knut Cordsen |
    "Ich habe das große Glück, dass ich Bibliomane sein darf, ohne den Händler in mir verleugnen zu müssen. Und ich bin stolz darauf."

    Stolz auf seinen Bestand von rund 160.000 wertvollen Schriften, aus der Zeit vom 11. bis zum 20. Jahrhundert, steht Heribert Tenschert in seiner Bibermühle in Ramsen am Rhein. Wie Tenschert nun blättert in kostbaren Inkunabeln und mittelalterlichen Handschriften, wie er einem luxuriös ausgestattete, millionenteure Bibeldrucke unbefangen hinhält - kommt einem die erste Erzählung von Gustave Flaubert in den Sinn: "Bibliomanie".

    Sie handelt von einem, der "all sein Geld, all sein Gut, all seine Gefühle für seine Bücher bewahrt". Den es elektrisiert, mit der Hand über altes Kalbspergament, den Falz und Goldschnitt zu streichen. Für den Bücher einen haptischen, optischen, nahezu erotischen Reiz haben. Tenschert:

    "Lassen Sie das 'nahezu’ weg. Das ist ein erotischer Reiz."

    Dass aus Heribert Tenschert der weltweit beachtete Bannerträger der Antiquariatsbranche werden sollte, war vor 30 Jahren alles andere als klar, als er Ende 1977 seinen Gewerbeschein erhielt. Seinen Jugendtraum, Schriftsteller zu werden, hatte er da schon längst verworfen - und all die Gedichte, die er bis dahin geschrieben hatte, schlichtweg verbrannt.

    "Ich bin allerdings der Meinung, dass ich auf eine andere Weise doch durchaus geistig hervorbringend bin, wie Jean Paul sagt. Und dass das Antiquariat, wie ich es vertrete, das ist, was Jean-Paul eben die Gipfelkette nennt."

    Der Jahresumsatz auf dieser Gipfelkette liegt im zweistelligen Millionen-Bereich. Die Buchkunstwerke, mit denen Tenschert handelt: Sie kosten. Und sie haben weder etwas mit dem Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher zu tun noch mit der Seite des mittleren antiquarischen Buchmarkts, die noch Gewinnspannen von bis zu tausend Prozent kennt.

    "Da gibt es keinerlei riesige Schwankungen. Während das, was früher im Antiquariat noch bread and butter war, das unterliegt heute Schwankungen, teilweise auch Baissen im Wert, die man sich nicht vorstellen kann. Und daran ist zum großen Teil das Internet schuld."

    Übers Internet bestellen Tenscherts Kunden natürlich nicht. Sie reisen an, und wollen selbst in Händen halten, was sie später erwerben. Dazu wird dann gern etwas getrunken, und nur vom besten Tropfen.
    "Die besten Weine, die es gibt - also diese wunderbaren Burgunder, LaTache von Romanée-Conti, Richebourg, die großen weißen Burgunder von Coche-Dury - die trinken wir dann. Und wir denken uns nicht bei jedem Schluck: Oh, schon wieder 600 Euro weg. Das nicht."

    Sicherlich kein Zufall, dass Heribert Tenschert ein Liebhaber erlesener Weine ist. Ist er doch auch in bibliophiler Hinsicht ein Genießer.

    "Sie können auch Ihren LaTache oder Coche-Dury aus irgendeinem Wasserglas trinken, und haben dann eben nur einen Bruchteil des Genusses. Genauso ist es mit großer Literatur: Wenn die aus einem wirklich wunderbar gestalteten Buch - wovon es heute ja kaum mehr welche gibt – kommt. Wenn Sie also Goethe - meinetwegen den Urfaust - aus dem Druck der Bremer Presse aufnehmen, zu sich nehmen, dann ist das ein anderes Gefühl. Das hat übrigens Martin Walser im Umgang mit mir auch gelernt - und sogar anerkannt - und für sich selber als Reaktion auf das Lesen übernommen."

    Mit dem in der weiteren Nachbarschaft lebenden Schriftsteller Martin Walser verbindet Tenschert eine über zehnjährige Freundschaft. Und auf den renommierten 80-jährigen Romancier wirkt die Begeisterungsgabe des 60-jährigen Freundes nachgerade ansteckend:

    "Heribert Tenschert kommt zur Tür herein, zieht ein Büchlein heraus - nein: er zückt ein Büchlein - hält es mit der Linken so in der Höhe, dass er mit der Rechten darin blättern kann. Die Farben leuchten, die Figuren sorgen für Stimmung, die fabelhaften Verzierungen lassen uns wissen, dass die Schöpfung bei weitem nicht fertig war, als Gott sie für fertig hielt.

    Was auf den Rändern der Seiten dieses Büchleins so elegant wie innig wuchert, das ist eine Flora und eine Tierwelt. Die ist nicht Gott eingefallen, sondern dem Menschen - allerdings zum höheren Ruhm dieses Gottes. Heribert Tenschert singt also am Beispiel dieses Büchleins das Hohelied der Schönheit, und wir erfahren durch ihn, was wir sehen."

    Neben Martin Walser erfahren das die wenigen vermögenden Käufer, die zu Tenscherts festem Kundenstamm zählen. Sie suchen regelmäßig die gegen Einbrecher gut abgesicherte Bibermühle auf, den Sitz des Büchernarren Tenschert, der sich selbst einen "Spieler" nennt.

    "Es macht natürlich auch Spaß: Dinge, die man teilweise mit dem Herzblut, oder dem Herzblut seiner Bank, erworben hat - wenn man das gewürdigt sieht dadurch, dass andere dafür dann noch mehr ausgeben mögen, als man selber dafür in der letzten Überwindung gezahlt hat."