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Der erste Schnee

Am 25. Januar 1924 wurden im französischen Chamonix die ersten Olympischen Winterspiele eröffnet. Das, was sich damals in Chamonix abspielte, hieß allerdings zunächst "Internationale Wintersportwoche". Erst zwei Jahre später hat das IOC die Wintersportwoche offiziell zu den ersten Olympischen Winterspielen erklärt.

Von Ulli Schäfer |
    Zwischen den ersten Winterspielen in Chamonix und den 21. Winterspielen in Vancouver liegen olympische Welten! Schon bei den letzten Winterspielen 2006 in Turin verfolgten drei Milliarden Menschen die Spiele im Fernsehen, 1924 gab es noch nicht mal Rundfunkübertragungen. Heute sind die Olympischen Winterspiele ein weltweites Mega-Event, die Premiere vor 86 Jahren war dagegen ein Dorfsportfest.

    Chamonix - ein Dorf in den französischen Alpen. Im Januar 1924 marschieren rund 260 Sportler aus 16 Ländern durch den kleinen Ort am Fuß des Mont Blanc! Auf ihren Schultern liegen lange Skier und um den Hals baumeln Schlittschuhe. Einige Herren tragen schicke Tweed-Jacken und Schirmmütze. Sporthistoriker Karl Lennartz:

    "Die Wintersportler hatten natürlich nicht diese Kleidung, die wir heute haben, sondern die hatten einen Pullover und ihre Skier, die aus Holz waren."

    Denn damals kannte man noch keine Hightech-Sportgeräte aus dem Forschungslabor oder hautenge, aerodynamische Rennanzüge, so der Sporthistoriker Karl Lennartz:

    "Das war relativ einfach, aber wer weiß, wie man über uns sich wundert, wenn in 100 Jahren Wintersport getrieben wird."

    Stadionsprecherin von Turin 2006: "Ladies and Gentleman, please welcome the athletes of the 20th Olympic Wintergames."

    Die Eröffnungsfeier in Turin 2006 verfolgten allein im Olympia-Stadion 35.000 Zuschauer. Zur Eröffnung in Chamonix kamen nicht mal 300. Karl Lennartz:

    "Im Grunde waren die Spiele in Chamonix eigentlich Hotelspiele. Es waren also ein paar Sportler da, es waren Zuschauer da, die dort entweder Wintersport betrieben oder sich erholten, also in Kur waren, und die guckten diese Spiele."

    Und besonders beliebt war damals bei den Zuschauern das Bobfahren. Die schwergewichtigen Fahrer hatten noch keine Helme, sondern Pudelmützen auf und die Natureisbahn von Chamonix war gefährlich. Deshalb gab es viele Stürze, erklärt Olympiaexperte Norbert Müller von der Uni Mainz:

    "Zum einen sind sie sicher dilettantisch gefahren, zum anderen waren die Kurven damals nicht ausgebaut. Die Bobs waren ja auch im Vergleich zu den heutigen Lachnummern."

    Der Schweizer Edouard Scherrer hatte einen Bob aus Holz bei einer Tombola gewonnen und auf einer Bobbahn war er noch nie zuvor gefahren. In Chamonix war Scherrer trotzdem der Schnellste.

    1924 in Chamonix war das Bobfahren eine reine Männersache, genau wie Ski Nordisch, Eishockey und Eisschnelllauf. Nur beim Eiskunstlaufen durften auch einige Frauen mitmachen - darunter Sonja Henie aus Norwegen, erzählt Karl Lennartz:

    "Die dann 1928, 1932 und 1936 Olympiasieger im Eiskunstlaufen wurde und war quasi der erste große Star des Eiskunstlaufs und hat mit Eiskunstlaufen dann später in der Revue Millionen verdient. Also Stars und Sternchen gab es damals auch schon."

    Sonja Henie war damals bei ihrer Kür gerade mal elf Jahre alt.

    "Weil sie eben so jung war, durfte sie einen kurzen Rock tragen. Die anderen Frauen hatten Röcke bis an die Waden. Es wurde auch kaum gesprungen. Die Sprünge sind damals entstanden, die man heute noch kennt. Rittberger, Salchow und so weiter, aber die wurden einfach gesprungen, nicht dreifach."

    Und auch beim Skispringen ging es damals längst nicht so weit wie heute auf den großen Schanzen im V-Stil.

    Der Sieger von Chamonix - der Norweger Thams - kam mit nach vorn gestreckten Armen und in Schlabberhose auf 49 Meter. Kein Vergleich zu den Sportlern heute. Die springen bei Olympia 130 Meter oder mehr,

    Reportage von Olympia 2002: "Martin im Anlauf. Mach es gut Junge. Flieg weit hinunter! Schönes V und jetzt zieht er ihn und zieht ihn und zieht ihn und Gold und Gold für Deutschland."

    In Chamonix war Deutschland als Folge des Ersten Weltkriegs vom IOC noch ausgeschlossen worden.
    Die erfolgreichste Nation war 1924 Norwegen und der erfolgreichste Sportler der Finne Thunberg, der dreimal im Eisschnelllauf siegte.
    Olympiasieger durfte er sich aber erst 2 Jahre später nennen, als das IOC die Wintersportwoche nach langen Diskussionen offiziell zu den 1. Olympischen Winterspielen erklärte. Sporthistoriker Karl Lennartz:

    "Die Schweden vor allem die skandinavischen Länder waren gegen Winterspiele, weil sie seit 1901 Nordische Spiele hatten und sie hatten Angst um den Fortbestand der Nordischen Spiele. Mit Recht, denn danach hatten die keine Bedeutung mehr."

    Die Wintersportwoche in Chamonix überzeugte auch die Skeptiker im IOC - allen voran den Präsidenten Baron Pierre de Coubertin. In seinen "Olympischen Erinnerungen" schrieb er später:

    "Dieses schneeumrahmte Vorspiel war in jeder Hinsicht gelungen. Es gab schöne Schauspiele. Kurz, diese erste Woche ließ sich für die Winterspiele gut an."

    1925 beschloss das IOC zukünftig alle vier Jahre auf Eis und Schnee um Medaillen zu kämpfen.