Doch das sind Petitessen gegen den tieferen Nutzen der Lektüre. John Keegan, selbst Zivilist wider Willen, ist ein Bewunderer des militärischen Denkens. Wie ein Pathologe oder Anatom seziert er Schlacht- und Aufmarschpläne, beschreibt Fähigkeiten und Versagen der Generalstäbe, diagnostiziert die politische und militärische Überforderung an der Front, die den Beteiligten Handlungsweisen aufzwang, die sie nie zuvor geübt hatten. Die Pläne des auf allen Seiten überalterten Generalstabs stammten aus dem 19. Jahrhundert, die Waffen aus dem zwanzigsten - das konnte nicht gutgehen. Es ging nicht gut, und hier setzt der aktuelle Bezug ein. Denn militärisches Denken ist ein Abfolge-Denken, viel weniger flexibel, als es der Laie ahnt, und prozessual extrem träge. Ein einmal in Betrieb genommenes militärisches Räderwerk läßt sich nicht mehr stoppen - am allerwenigsten von der Politik, die sich selbst entmündigt, sobald sie den Generälen freie Hand gibt. Der Erste Weltkrieg liefert das Paradebeispiel dafür: Statt in den Wochen nach dem Sarajewo-Attentat aufs Primat der Diplomatie zu setzen, verstrickte man sich in die Sachzwänge eines unausgegorenen theoretischen Konzepts, das als "Schlieffenplan" in die Geschichte einging. Dessen Logik war simpel und mörderisch: Wer frühzeitig die Mobilmachung erklärte, erhielt einen zeitlichen Vorsprung - und genau den glaubte Deutschland für einen Blitzsieg in Frankreich zu benötigen. Das Kaiserreich mußte immer schneller als die anderen sein und die Eskalationsschwelle für den eigenen Kriegseintritt niedrig legen. Der Rest ist bekannt, der Schlieffenplan schlug fehl - obwohl der zeitliche Ablauf eingehalten wurde -, weil die Grundannahmen nicht stimmten. Ein schneller Vormarsch bedeutete, schneller vom eigenen Nachschub abgeschnitten zu sein, und das brachte die deutschen Truppen 80 Kilometer vor Paris zum Stehen. Realität paßt eben doch nicht ganz in die Sandkästen der Militärakademien.
Daß irgendwo in den Schubladen der westlichen Welt vor dem 11. September ein Handlungs-Szenario für effektive Terrorismusbekämpfung gelegen hätte, ist ziemlich unwahrscheinlich - aber Schlieffenpläne gab es mit Sicherheit. Das ist die Achillesferse. Keegan predigt es unentwegt: Militärs sind konservativ. Sie neigen dazu, Situationen ihre Strategien überzustülpen, statt ihre Strategien den Situationen anzupassen. Wenn jemand nicht nach ihren Regeln spielt, hat er fast schon gewonnen. Denn Krieg - Krieg ist Kultur. Vom kalten Hauch des Todes durchweht, aber immer noch auf Regeln gebaut, deren letale Logik Grenzen kennt: Es muß Überlebende geben, die den Sieg zu feiern vermögen. Genau daran ist letztlich der Ermüdungskrieg von 1914 zerbrochen - zu spät und ohne Sieger. Wer mit Zivilflugzeugen in Wohnhäuser fliegt, kann nicht besiegt werden. Er widersetzt sich den Mindestvereinbarungen kriegerischer Auseinandersetzungen.