Archiv


Der EU-Beitritt der Türkei

    Gerner: Heute ist der Präsident der Türkei Ahmed Sezer zu Besuch in Berlin. Vermutlich wird er versuchen, einige der Fragezeichen aus dem Weg zu räumen, die in Europa entstanden sind nach dem Sieg der konservativen Partei der Gerechtigkeit von Parteiführer Erduan, dem in ersten Reaktionen ja immer wieder extreme muslimische Absichten unterstellt wurden. Präsident Sezer hat beim jüngsten NATO-Gipfel in Prag auch ein Ende der Ausgrenzung der Türkei gefordert und ein konkretes Datum für einen Beitritt zur EU angemahnt. Letzteres gilt in Deutschland vor allem bei Kirchen und Politikern der Union als absolut undenkbar. Vor diesem Hintergrund bin ich telefonisch verbunden mit Wulf Schönbohm, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara. Herr Schönbohm, Sie sind ja als Mann der Adenauer-Stiftung vermutlich jemand, der der CDU vergleichbar nahe steht, allein schon durch die Leitung der Stiftung in Ankara. Sie haben sich in Artikeln vehement für einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Können Sie Ihre Gründe dafür nennen?

    Schönbohm: Also ich sage eben, die Situation im Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union hat sich seit dem Beschluss der Europäischen Union von Helsinki Ende 1999, wo die Türkei den Kandidatenstatuts für die Mitgliedschaft bekommen hat, grundlegend geändert. In Helsinki ist von der Europäischen Union beschlossen worden, dass die Türkei Mitglied werden kann und werden wird, wenn sie die politischen und wirtschaftlichen Aufnahmebedingungen erfüllt wie alle anderen Kandidatenländer auch. Und nach diesem Beschluss, den man kritisieren kann oder auch nicht - das ist jetzt erst mal ziemlich egal - macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, noch über die Grundsatzfrage zu diskutieren, ob die Türkei in die EU kommen soll, kann, darf usw., weil eben die EU bereits beschlossen hat, jawohl, die Türkei kann Mitglied werden, wenn sie die Bedingungen erfüllt. Und das Überraschende, glaube ich, aus europäischer Sicht ist, dass die Türkei seit dem Helsinki-Beschluss ungeheuer viel und schnell Reformen gemacht hat, die ihr kaum jemand zugetraut hat, und jetzt die Europäische Union in der Situation ist, entscheiden zu müssen, wie sie sich gegenüber der Türkei verhält.

    Gerner: Sie gehen ja wesentlich weiter. Sie haben gesagt, der EU-Beitritt der Türkei wäre eine kulturelle Bereicherung für die EU. Warum sehen das Herr Stoiber und Frau Merkel nicht so?

    Schönbohm: Ich glaube in der Tat, dass es eine kulturelle Bereicherung ist. Ich halte überhaupt gar nichts von dem Argument zu sagen, in der Europäischen Union darf nur ein Land Mitglied werden, wo die Mehrzahl Christen sind. Das halte ich für eine völlig falsche Argumentation, denn die Europäische Union ist selbstverständlich eine Wertegemeinschaft, die auf bestimmten politischen Werten basiert, und ich wehre mich strikt gegen die Hypothese, die von manchen vertreten wird, ein muslimisches Land könne per se, von vorne herein mit diesen politischen Prinzipien nicht übereinstimmen.

    Gerner: Aber Historiker sagen, dass eine politische Union über Kulturgrenzen hinweg noch nie Bestand gehabt hat.

    Schönbohm: Wissen Sie, die Europäische Union ist etwas, was es vorher noch nie gegeben hat, und was heißt denn hier kulturelle Grenze? Was meinen Sie denn damit? Damit wird meistens die muslimische Religion gemeint.

    Gerner: Also Sie haben nicht die Sorge, dass man sich mit einem EU-Beitritt der Türkei einen Konflikt der Kulturen importieren würde?

    Schönbohm: Überhaupt nicht. Ich lebe jetzt seit sechs Jahren in der Türkei, und ich würde in keiner Weise irgendeine Gefahr für einen so genannten Kampf der Kulturen sehen, weil eben die Türkei seit über 75 Jahren, seitdem sie Republik ist, die wesentlichen politischen Prinzipien, die für uns im Westen gültig sind, auch praktiziert, noch nicht vollkommen, aber doch schon sehr weitgehend. Deswegen sehe ich keinen Konflikt.

    Gerner: Sie haben auch argumentiert, dass ein EU-Beitritt der Türkei strategische Optionen eröffnen würde. Das ist so ein bisschen die amerikanische Argumentation. Andersrum kann man ja auch fragen: Welches Interesse sollte die EU daran haben, mit einer möglichen Ausweitung sich Irak und Syrien als EU-Nachbarn zuzulegen?

    Schönbohm: Also dann darf ich mal zurückfragen: Welches Interesse hat die Europäische Union, die osteuropäischen Länder aufzunehmen? Was hat die Europäische Union davon, Rumänien, Bulgarien usw. aufzunehmen? Meine Antwort ist: Das kann die Europäische Union schwerer beantworten als die Frage, was die Europäische Union strategisch davon hat, wenn sie die Türkei aufnimmt, denn wenn Sie sich die Region angucken, ohne oder gegen die Türkei können Sie die Probleme in der Krisenregion Balkan, Naher Osten und dann, wenn Sie in den Norden schauen, Zentralasien nicht lösen. Die Türkei wird immer mehr ein Durchgangsland für neue Energieströme, auf die Europa angewiesen ist. Ich würde sagen, man kann sehr einfach und sehr gut begründen, warum die Türkei strategisch für Europa ungeheuer wichtig ist. Das sehen auch die Amerikaner. Sie sehen natürlich nicht - das ist auch klar - die Probleme, die möglicherweise eine türkische EU-Mitgliedschaft für die Europäische Union schaffen kann. Es ist ein großes Land. Ich bin mir auch sicher, dass es lange dauern wird, mindestens zehn Jahre, wenn nicht 15 Jahre, bis die Türkei EU-Mitglied wird, weil beide Seiten sehr viel ändern müssen, sich daran gewöhnen müssen, aber ich halte es für falsch, das prinzipiell auszuschließen.

    Gerner: Präsident Sezer heute bei Gerhard Schröder und Bundespräsident Rau. Rechnen Sie damit, dass diese Bundesregierung sich zum Anwalt eines schnellstmöglichen Beitrittes macht?

    Schönbohm: Das ist schwer zu sagen, ob auch schnellstmöglich. Zunächst mal geht es gar nicht um den Beitritt. Es geht um den Beginn der Beitrittsverhandlungen, und es hat ja Äußerungen gegeben von Schröder und von Fischer, die in diese Richtung zu deuten waren, dass auch die Bundesregierung der Auffassung ist, man solle bald ein Termin für den Beginn der Beitrittsverhandlungen setzen, und was ich so gelesen habe über die Rundreise von Tajib Erduan in den europäischen Hauptstädten, was dazu gesagt worden ist, scheint eher in diese Richtung zu gehen, dass zumindest in irgendeiner Weise der Türkei eine Perspektive für den Beginn der Beitrittsverhandlungen gegeben wird. Und wenn das gegeben ist, dauert es dann noch zehn bis fünfzehn Jahre. Insofern kann man von Beitritt noch lange nicht reden.

    Gerner: Als Mann der Adenauer-Stiftung haben Sie natürlich eine andere Position, wie ich eingangs sagte, als viele in der Union. Treffen Sie auf Kritik, und wie gehen Sie damit um?

    Schönbohm: Na ja, das ist manchmal nicht so einfach. Ich meine ein ziemlicher Parteikenner zu sein. Ich bin seit 25 Jahren oder länger CDU-Mitglied, fühle mich aber trotzdem verpflichtet, aufgrund meiner Kenntnisse und Erfahrungen meine Auffassung zu vertreten, die mit der Mehrheitsmeinung meiner Partei nicht übereinstimmt. Das führt manchmal zu Kritik aus den eigenen Reihen, aber viele sagen auch, das müssen wir ertragen, das gehört auch zu unserer Partei.

    Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio