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Der euromediterrane Traum

Das Flüchtlingsdrama um die spanischen Exklaven in Marrokko hat klar gemacht, dass die EU stärker mit Marokko und den anderen Mittelmeerstaaten zusammen arbeiten muss. Einen Rahmen dafür gibt es bereits. Das so genannte Barcelona-Abkommen von 1995. Eine Konferenz, die im Moment in Madrid stattfindet, soll nun die Kooperation in der Migrationspolitik verbessern. Von Hans-Günter Kellner.

    In Marokko warten immer noch afrikanische Flüchtlinge darauf, dass sie von der Regierung in Rabat in ihre Heimat zurück transportiert werden. Und die Kritik von Menschenrechtsorganisationen an den Behörden wird immer lauter. Ihr Vorwurf: Flüchtlinge würden in der Wüste ausgesetzt ohne genügend Wasser und Nahrung. Die marokkanische Regierung kontert: Sie fühlt sich im Stich gelassen von Europa. Es scheint klar: Die EU muss handeln, sie muss stärker mit Marokko und den anderen Mittelmeerstaaten zusammen arbeiten. Einen Rahmen dafür gibt es bereits. Das so genannte Barcelona-Abkommen. Vor zehn Jahren wurde es geschlossen, das Ziel: Entwicklungszusammenarbeit und gemeinsame Strategien in der Migrationspolitik. Das Barcelona-Abkommen geriet in den vergangenen Jahren etwas in Vergessenheit. Nun soll die Zusammenarbeit wieder aufgenommen werden. Eine Konferenz, die im Moment in Madrid stattfindet, ist ein erster Schritt.

    Schon lange blickten die Spanier nicht mehr so intensiv auf die andere Seite der Meerenge von Gibraltar. Fast täglich berichteten Fernsehen und Radio in den letzten Wochen über die Vorgänge um die schwarzafrikanischen Einwanderer in Ceuta und Melilla, und über die Irrfahrten von weit mehr als 1.000 in Handschellen aneinandergeketteten Flüchtlingen quer durch Marokko bis in die Sahara. Spanien hat die Abschiebung von Schwarzafrikanern nach Marokko vorerst gestoppt. Doch schon jetzt klagt der Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR in Madrid, Carlos Boggio:

    " Unter 73 zuletzt abgeschobenen Afrikanern waren vier Personen von der Elfenbeinküste, die einen Asylantrag stellen wollten. Diese Menschen hätten nicht abgeschoben werden dürfen. Zwei weitere hatten sogar schon einen Ausweis unserer Organisation, der ihren Status als Asylbewerber bestätigt. Ich glaube nicht, dass die spanische Regierung absichtlich gegen die Flüchtlingskonvention verstoßen hat. Aber bei dieser eiligen Abschiebung sind eine ganze Menge von Regeln verletzt worden. "

    Die UNHCR kritisiert zudem die ganz alltägliche spanische Abschiebepraxis in Ceuta und Melilla. Wer den ersten von zwei Grenzzäunen überwunden hat, wird sofort wieder den marokkanischen Behörden übergeben - ohne Rücksicht auf politisch Verfolgte. Der UNHCR-Sprecher schätzt, dass rund 15 Prozent aller Schwarzafrikaner, die nach Spanien kommen, in ihrer Heimat verfolgt werden. Wie ein dunkler Schatten liegen diese Vorgänge über dem derzeitigen internationalen Kolloquium in Madrid zum zehnjährigen Jubiläum der ersten euromediterranen Konferenz von Barcelona. Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos erklärte:

    " Das einzige was uns interessiert scheint zu sein: "Schützt uns, sie dürfen nicht rein!" Aber wo sollen sie denn hin? Sollen sie etwa in Marokko bleiben? Oder in ihren Heimatländern? Im 21. Jahrhundert müssen demokratische und Länder wie Spanien mehr Solidarität und Verständnis für die Herkunfts- aber auch die Transitländer zeigen. Man kann nicht sagen, "lasst sie nicht rein!", und gleichzeitig Marokko nicht helfen, diese Krise zu bewältigen und die Menschenrechte zu garantieren. "

    Selbst die marokkanischen Regierungsvertreter baten um Unterstützung ihrer Demokratien - und gaben damit indirekt auch zu, mit welch großen Widerständen sie in ihrer Heimat immer noch zu kämpfen haben. Zur Situation in Marokko sagte Fouad Amdelmoumni, Sprecher der marokkanischen Menschenrechtsorganisation AMDH:

    " Glaubhaften Nichtregierungsorganisationen zufolge hat Marokko zwischen 1989 bis 1994 wichtige Fortschritte in Menschenrechtsfragen gemacht. Die Rechtslage hat sich verbessert, die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden entschädigt. Aber seit 1994 hat sich die Arbeitsweise der marokkanischen Sicherheitskräfte wieder verschärft. Ja, es gab eine gewisse Entwicklung, aber man muss sie weiter kritisch beobachten. "

    Deutlicher wurde selbst der Menschenrechtler nicht. Kein Wort zu den in den letzten Jahren geschlossenen Zeitungen, und auch zum jüngsten Flüchtlingsdrama wollte sich niemand so richtig äußern. Nur im Nebensatz sprach eine marokkanische Professorin von einem Schaden für das Ansehen Marokkos, und machte dafür die europäischen Medien verantwortlich. Die Spanier wollten ihrerseits ihre Gäste nicht verärgern. Auch beim zweiten Tag dieses Kolloquiums mit Wirtschaftsvertretern sind wohl keine deutlicheren Worte zu erwarten. Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos wollte vor allem eins: Nach vorne schauen:

    " Die Welt kann sich ändern, wenn wir es wollen. Dieses Jahrhundert ist das Jahrhundert der Identitäten. Ich fühle mich zutiefst als Spanier und Madrilene. Aber ich bin auch ein überzeugter Europäer, und ein Mensch des Mittelmeers. Das schließt sich nicht gegenseitig aus. Integrieren, nicht ausschließen, das sollte unsere Haltung sein. Und das ist auch unsere Politik mit Marokko, das beabsichtigt die Europäische Union mit Marokko, und das ist der Traum vom Prozess von Barcelona. "