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Der ewige Streit ums Schulsystem

Zur Diskussion steht das längere gemeinsame Lernen. Es soll - laut Befürworter - die Chancengleichheit verbessern. Kritiker einer Schulreform sehen dagegen im dreigleidrigen Schulsystem die Bildungschancen am besten realisiert.

Von Armin Himmelrath | 22.09.2010
    "Längeres gemeinsames Lernen macht unser Bildungssystem gerechter und leistungsstärker."

    Juli 2010. Der Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wird unterzeichnet. Als erster, wichtigster Punkt wird das Thema "Bildung" behandelt.

    "Längeres gemeinsames Lernen in Gemeinschaftsschulen wollen wir schulgesetzlich verankern. Eine Gemeinschaftsschule wird in der Regel dort gegründet, wo bestehende Schulen in ihr zusammengeführt werden. Alle Schulformen sind hierzu ausdrücklich eingeladen. Es ist unser Ziel, in den nächsten fünf Jahren mindestens 30 Prozent der allgemeinbildenden Schulen in der Sekundarstufe I zu Gemeinschaftsschulen umzuwandeln."

    "Wir von der CDU-Landtagsfraktion sind gegen die kooperative Schule, weil wir sie für pädagogisch unerprobt, weil wir sie ohne Konzept und für verfassungswidrig halten."

    "Der Schulträger ist derjenige, der zunächst einmal über die Errichtung einer kooperativen Schule entscheidet. Und diese Entscheidung muss dann einem Genehmigungsverfahren durch das Ministerium unterzogen werden."

    "Der Elternverein sagt eindeutig: Stopp dem drohenden Experiment kooperative Schule!"

    "Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt die Maßnahme, sie fordert jedoch eingehende Verbesserungen."

    Der nordrhein-westfälische Streit um ein neues Schulkonzept. Doch die Argumente, die da gerade ausgetauscht wurden, stammen nicht etwa aus dem Jahr 2010, sondern sind über 30 Jahre alt. Mitte der 70er-Jahre hatte es nämlich schon einmal den Versuch gegeben, eine Art Gemeinschaftsschule an Rhein und Ruhr einzuführen - die sogenannte Koop-Schule: Koop für kooperativ. Damals gab es einen Aufschrei bürgerlicher Kreise, und mit Hilfe eines Volksbegehrens wurde das ambitionierte sozialdemokratische Bildungsprojekt 1978 noch vor dem Start gestoppt. Gegen den Zorn der Eltern, vor allem der gut ausgebildeten Eltern, lässt sich nicht regieren, das weiß über 30 Jahre danach auch die neue NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann von den Grünen. Auf einer Bildungskonferenz will sie deshalb morgen in Düsseldorf versuchen, möglichst viele bildungspolitische Akteure von ihren Ideen zu überzeugen.

    "Die Vorgängerregierung hat künstlich kleine Hauptschulsysteme aufrecht erhalten, mit Einzügigkeiten, die trotzdem nicht mehr angenommen werden von den Eltern. Diesen Trend haben wir ja bundesweit - und da können wir mit einer Gemeinschaftsschule, die gut angelegt ist eben, die Mittel besser anwenden und können zusätzliche Förderung und Unterstützung bieten."

    Einzügigkeit, das meint: In dieser Gemeinschaftsschule sollen die Kinder nach der Grundschulzeit weiter gemeinsam lernen - mindestens bis zur sechsten, möglicherweise aber auch bis zur zehnten Klasse. Wie lange dieser gemeinsame Unterricht stattfindet, können die Gemeinden vor Ort entscheiden. Diese regionale Kompetenzverteilung ist, neben dem gemeinsamen Lernen, das zweite prägende Merkmal von Sylvia Löhrmanns Plänen. Den Vorwurf, damit zum Wildwuchs im Schulsystem beizutragen, weist die Ministerin zurück.

    "Also, ich finde, Vielfalt ist ein Wert an sich, weil wir es ja schaffen müssen, in unserem Schulsystem der Vielfalt der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Und selbst innerhalb eines Bundeslandes, zumal des größten - Nordrhein-Westfalens - gibt es ja große Unterschiede, wie die Rahmenbedingungen sind. Also, eine Schule in Ascheberg, sag ich jetzt mal, und die Kinder und Jugendlichen haben da andere Lebensumstände als etwa in Gelsenkirchen. Und deswegen muss die Schule auch unterschiedlich angelegt sein und muss auf unterschiedliche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen reagieren können. Aber gleichzeitig brauchen wir natürlich diese klaren Rahmensetzungen und diese klaren Standards, damit die Unsicherheit, damit wir der in irgendeiner Weise begegnen."

    Das klingt nach einer schmalen Gratwanderung zwischen kommunaler Entscheidungsfreiheit und zentralen Steuerungsvorgaben. Eine Gratwanderung, die nach Meinung von Peter Silbernagel so nicht gelingen kann. Silbernagel ist Vorsitzender des Philologenverbands in Nordrhein-Westfalen. Die Lobbyorganisation der Lehrer gehört zu den schärfsten Kritikern der neuen Schulministerin.

    "Die Kernkritik fokussiert sich darauf, dass wir nicht gerne jahrelang über Strukturen debattieren wollen, sondern dass wir einfach möchten, dass der Unterricht in den Schulen effektiver wird, dass Klassen kleiner werden, dass Lehrerversorgung vernünftiger sich ausgestaltet, dass mehr Unterstützungskräfte in den Schulen sind - das heißt, dass wir diese formalen Strukturdebatten, die letztlich nur zu Grabenkriegen führen, einstellen und uns wirklich den Schulproblemen, wie sie vorhanden sind, zuwenden."

    Und da hat Peter Silbernagel klare Vorstellungen: Mehr Lehrer für's Land, um kleinere Klassen zu ermöglichen. Und, zweite Forderung: Ein Ende der ständigen Reformen, denn die bringen nur Unruhe in den Schulalltag. Veränderungsbedarf? Diskussionen vor Ort? Lehrervertreter Peter Silbernagel nimmt das ganz anders wahr. Für ihn funktioniert das Schulsystem so gut, dass er keinen Reformbedarf sieht.

    "Wir sehen nun gar nicht den Bedarf dafür, wir haben in Nordrhein-Westfalen mit über 6000 einzelnen Schulen ein mehrgliedriges, vielfältiges, buntes Schulsystem. Wir brauchen nicht die Ansage, dass bisher gut funktionierende und stabil - auch von den Schülerzahlen - arbeitende Schulformen ersetzt werden. Das bringt nur Existenzängste, es bringt sehr fruchtlose Diskussionen in die Kommunen hinein, und es hindert uns, die Probleme anzugehen, die etwas mit Schulqualität und Standards und besseren Leistungsergebnissen zu tun haben."

    Doch die Schülerzahlen sind eben gerade nicht stabil: Immer mehr Eltern wenden sich von den Hauptschulen ab und schicken ihre Kinder lieber auf Realschulen und Gymnasien. Und immer mehr Kommunen stellen fest, dass sie wegen des Geburtenrückgangs keine drei Schulformen mehr nebeneinander aufrechterhalten können. Trotzdem, sagt Peter Silbernagel, ist die Abkehr von der Dreigliedrigkeit der falsche Weg.

    "Es wird im Pädagogischen zu einem Wildwuchs führen. Wir sehen das schon, wenn wir die erste Ankündigung hier genauer anschauen, da steckt im Einzelnen doch eine Vielfalt von Veränderungen drin: Da werden Fächer zusammengelegt, da werden Kräfte als Unterstützer in den Unterricht eingeplant, wo ich noch gar nicht sehe, wie sie finanziert werden. Da wird von einer zweijährigen Oberstufe als Anschluss-Oberstufe gesprochen, die es rein von den Vorgaben der Kultusministerkonferenz gar nicht geben kann. Also: sehr viele Fragwürdigkeiten im Pädagogischen. Und wenn jetzt alle möglichen Profile von Schulen vor Ort genehmigt werden, fürchten wir, dass diese Schulen nicht mehr vergleichbar sind."

    Ängste, wie sie auch bei vielen Eltern vorhanden sind. Die sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder - und lehnen Veränderungen des Schulsystems deshalb erst einmal ab. So wie Ende Juli in Hamburg.

    "In Hamburg haben die Gegner der von der schwarz-grünen Koalition geplanten sechsjährigen Primarschule das Referendum für sich entschieden. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis übertrafen die Reformgegner"

    "Die grün-alternative Schulsenatorin Götsch will ungeachtet des Volksentscheids nicht zurücktreten. Das klare Nein der Bürger zur Einführung sechsjähriger Primarschulen sei zwar schmerzlich, sie wolle jetzt aber den Willen der Hamburger umsetzen. Die Wähler hatten sich mit deutlicher Mehrheit."

    "Bundesbildungsministerin Schavan hat das Nein beim Referendum über die Schulreform in Hamburg als positives Signal bewertet. Dies sei eine gute Nachricht für das Gymnasium und für das Selbstbewusstsein der Bürger, sagte die CDU-Politikerin"

    "Das Bürgervotum gegen die sechsjährige Primarschule in Hamburg hat bei Politik und Verbänden ein unterschiedliches Echo ausgelöst. Bundesbildungsministerin Schavan mahnte, das Schulsystem dürfe nicht als Flickenteppich enden. Lehrer- und Philologenverbände appellierten an die Landesregierungen, keine, wie es heißt, unnützen Strukturreformen anzustreben."

    Unnütze Strukturreformen? Ganz im Gegenteil, sagt Elke Wild, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Bielefeld. Sie hält den Plan, durch Verlagerung von bildungspolitischen Entscheidungskompetenzen hin zu den Kommunen ein stärker ausdifferenziertes Schulsystem zu schaffen, für grundsätzlich richtig und sinnvoll.

    "Die Frage ist natürlich: Wie wird vor Ort entschieden? Wie kommt man beispielsweise zu einem Konsens? Also, im Eckpapier zur Gemeinschaftsschule steht ja beispielsweise auch, dass über das pädagogische Konzept vor Ort entschieden werden muss im größtmöglichen Konsens. Die Frage ist eben, wie wird der hergestellt? Wie gelingt es vor allen Dingen eben auch, zum Beispiel auf Elternseite sozial weniger privilegierte Eltern da mit ins Boot zu holen. Dass eben nicht nur wieder die Akademikereltern wieder nur ihre Interessen und Anliegen eben einbringen können."

    Genau das, sagt Elke Wild, sei nämlich in Hamburg passiert: Da hätten vor allem die Akademiker-Eltern auf Abgrenzung gegenüber sozial weniger privilegierten Kindern gesetzt und sich damit beim Referendum auch durchgesetzt. Und diese privilegierten Eltern setzen sich auch sonst sehr stark und fast schon egoistisch für ihre Kinder ein - manchmal sogar auf deren Kosten. Nämlich dann, wenn sie ihren Nachwuchs trotz anderslautender Empfehlung nach der Grundschule und trotz ungenügender Leistungen aufs Gymnasium schicken.

    "Und da kann man dann eben auch sehen, dass die Kinder, die schon in der Grundschule Schwierigkeiten hatten, die keine Gymnasialempfehlung bekommen hatten, dass die schon vor dem Übergang über vermehrte Bauchschmerzen klagen, über vermehrtes Stressempfinden und und und. Also, das heißt: Die Eltern tun eigentlich ihren Kindern nicht wirklich was Gutes. Aber immerhin, sie tun das halt, und diese Kinder gehen dann eben zum Gymnasium. Bei den sozial wenig privilegierten Eltern ist das nicht der Fall."

    Die gesellschaftliche Konsequenz: Schwache Schüler aus schwierigem Umfeld werden auf schlechte, weniger leistungsfähige Schulen abgeschoben, und die anderen, deren Eltern es sich leisten können, igeln sich auf dem Gymnasium ein - für Elke Wild ist dieses Szenario gar nicht so weit von der Realität entfernt. Wenn die NRW-Gemeinschaftsschule ein Erfolg werden soll, sagt die Professorin, müsse die Schulpolitik dafür sorgen, dass diese Stigmatisierung durch eine eng begrenzte Schülerklientel gar nicht erst entstehe. Doch die Schulministerin steht noch vor einem zweiten Problem, sagt Elke Wild: Als verantwortliche Ressortchefin muss sie entscheiden, wie viel Freiwilligkeit sie den Schulen und Eltern gestattet und wie viel Zwang sie ihnen zumutet. Ein wichtiges Argument: Je nach sozialer Herkunft bewerten die Eltern die Bildungserfolge ihrer Kinder als unterschiedlich wichtig. Bias nennen Wissenschaftler einen solchen Verzerrungs-Effekt.

    "Wenn man ganz schnell und ganz kurzfristig möglichst Bildungsungleichheiten verhindern will, dann sollte man nicht auf allzu viel Freiwilligkeit setzen. Also beispielsweise Übertrittsempfehlung: Da ist relativ klar, dass Eltern ihre Übertrittsentscheidung, dass die stärker eben sozialem Bias unterliegt als die Übertrittsempfehlung der Lehrkräfte. Das heißt, es ist zu vermuten, dass wenn die Eltern da jetzt wieder mehr Mitspracherecht haben, dass dann sogar die Bildungsungleichheiten kurzfristig erstmal wieder weiter auseinander gehen könnten."

    Ein bisschen mehr Druck könnte also aus Sicht der Bildungswissenschaftlerin nicht schaden. Und: Mehr Aufklärung und damit auch mehr politische Beteiligung der Eltern, die eben nicht eine ausgeprägte Bildungsorientierung mitbringen. Elke Wild:

    "Das Beispiel Hamburg zeigt im Grunde genommen, wie wichtig das ist, auch sozial Schwächere zu mobilisieren, zu wählen. Das war im Grunde genommen das Hauptproblem, dass gerade eben auch Akademikereltern da zur Wahl gegangen sind und die eben eher konservative Vorstellungen haben - also die sehen sozusagen die Bildungschancen ihrer Kinder am besten am Gymnasium realisiert und wollen sozusagen nicht, dass jetzt in die Klassen ihrer Kinder dann eben weniger leistungsstarke Kinder reinkommen."

    Eine Analyse, die sich auch auf das Saarland übertragen lässt. Dort hat die schwarz-gelb-grüne Landesregierung ebenfalls einen Umbau des Schulsystems verabredet. Im Koalitionsvertrag heißt es:

    Neben der Verankerung des gemeinsamen Lernens bereits im vorschulischen Bereich wird das gemeinsame Lernen aller Kinder eines Jahrgangs über die bisherige Grundschulzeit hinaus um ein weiteres Jahr verlängert. Die Klassenstufen 4 und 5 werden als pädagogische Einheit gesehen. Der Klassenverband bleibt beim Übergang von der 4. in die 5. Klasse erhalten.

    Doch ob diese Reform realisiert wird, ist - zumal nach dem Hamburger Referendum - fraglich geworden. Der saarländische Bildungsminister Klaus Kessler von den Grünen hält das Projekt nach wie vor für einen Meilenstein einer neuen Bildungspolitik und beruft sich auf den Koalitionsvertrag. Er hätte sich auch sechs gemeinsame Grundschuljahre vorstellen können - jetzt muss er den Kompromiss verteidigen.

    "Der enge Zusammenhalt zwischen sozialer Herkunft und dem Übergang wird gemildert. Zweitens wird die Prognosesicherheit am Ende des 5. Schuljahres beim Übergang auf weiterführende Schulen erhöht. Drittens bleibt der Klassenverband erhalten, aber im 5. Schuljahr kommen bereits Gymnasiallehrer zum Einsatz. Und viertens: Die Klassen sind deutlich kleiner in einem 5. Grundschuljahr als in einem 5. Jahr der weiterführenden Schulen."

    Kessler sieht die Ausweitung der Grundschulzeit nur als Einstieg in ein noch längeres gemeinsames Lernen - und damit zumindest langfristig in den Ausstieg aus dem dreigliedrigen Schulsystem. Doch beim Koalitionspartner FDP gibt es bereits deutliche Absetzbewegungen von der gemeinsamen Vereinbarung. Von "Nachjustierung" des Vertrags ist im Saarland schon die Rede, und so macht FDP-Landesvorsitzender Christoph Hartmann klar, wie unbeliebt die vereinbarte Schulreform in seiner Partei eigentlich ist.

    "Es ist nicht Parteiprogramm der FDP, ein 5. oder ein 6. Grundschuljahr zu machen. Und insofern: Koalition bedeutet Kompromiss. Wir sind bereit, diesen einzugehen - aber wir sind garantiert nicht bereit, auch nur einen Millimeter weiter zu gehen."

    Doch Bildungsminister Klaus Kessler kämpft. Er spürt, dass die politischen Handlungsoptionen nach dem Hamburger Elternvotum schmaler geworden sind. Mit verstärkter Überzeugungsarbeit will er sich die nötige Unterstützung für ein fünftes Grundschuljahr sichern.

    "Dies sind Vorteile, die kennen die Eltern zum Teil noch gar nicht. Die Eltern argumentieren aus ihrer berechtigten subjektiven Sichtweise heraus mit Vorbehalten und Ängsten, die ich verstehe - aber ich setze hier auf Aufklärung."

    Beim genauen Blick auf das Saarland wird allerdings klar: Es sind nicht alleine die eher konservativen und damit erwartbaren Kritiker, die dem grünen Bildungsminister das Leben schwer machen. Auch diejenigen, die er eigentlich als natürliche Verbündete betrachtet hatte, stehen nicht mehr hinter seinen Plänen - etwa die linke Bildungsgewerkschaft GEW. Klaus Kessler war immerhin mal deren Landesvorsitzender. Sein Nachfolger Peter Balnis bemängelt jetzt, dass das fünfte Grundschuljahr nur ein untauglicher Koalitionskompromiss sei.

    "Das ist kein erster Schritt in den Einstieg eines längeren Lernens, sondern der erste Schritt in den Ausstieg. Weil, die Regierungskoalition hat ja auch vereinbart, dass es auch beim fünften Grundschuljahr bleibt und kein Schritt darüber hinaus gegangen wird."

    Für die NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann sind diese Entwicklungen eindeutige Warnsignale. Dass die Schulreform scheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat, will sie in ihrem Bundesland auf jeden Fall verhindern. Bei der morgigen Bildungskonferenz soll deshalb in großer Runde mit allen Beteiligten - Lehrerorganisationen, Elternverbänden und Schulpolitikern aller Parteien - der Versuch unternommen werden, sich auf gemeinsame Grundlinien für die nordrhein-westfälische Schulpolitik zu verständigen.

    "Die Krux ist, dass wir zum Teil ein System von Unverantwortlichkeit haben - und nicht: klaren Zuständigkeiten. Und das müssten wir noch mal neu angehen, ob wir das hinkriegen. Auf welchem Weg auch immer."

    Ein ambitioniertes Unterfangen der grünen Schulministerin. Denn die Gegner jeglicher Reformen sehen sich seit dem Hamburger Referendum im Aufwind, Kompromissbereitschaft ist kaum zu erkennen. Peter Silbernagel vom Philologenverband:

    "Wir fürchten, dass insgesamt in Nordrhein-Westfalen im Schulstrukturellen ein Chaos geplant ist und am Ende durchblickt keiner mehr, was überhaupt alles angeboten wird. Es gibt ja nicht nur Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Förderschulen und Gesamtschulen, es kommen Verbundschulen hinzu, es kommen Kompetenzzentren hinzu, es kommen Profilschulen hinzu, es kommen Gemeinschaftsschulen hinzu - das ist ein exzessiver Weg in Richtung Bildungsföderalismus, der von Eltern, Schülern und Lehrkräften nicht gewollt ist."

    Und so klingt, am Vorabend der Düsseldorfer Bildungskonferenz, eben doch wieder alles ein wenig so wie vor drei Jahrzehnten, als es schon einmal einen Schulkampf an Rhein und Ruhr gab. Damals war Hans Schwier von der SPD stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion und Experten für Schulfragen. Einen Tag vor dem Volksentscheid erklärte er im Februar 1978 im Deutschlandfunk:

    "Die Kooperative Schule ist keine neue Schulform mit neuen Bildungsinhalten oder gar neuen Abschlüssen, sondern sie ist eine zusätzliche Möglichkeit, die herkömmlichen Schulen in der so genannten Sekundarstufe I - also Hauptschule, Realschule und Gymnasium bis Klasse 10 - anders zu organisieren."

    Und Burkhardt Sprenger, vor 32 Jahren Vorsitzender des Philologenverbands NRW, hielt dagegen.

    "Unsere Bedenken gehen nicht gegen die sicher unter Umständen oder vielleicht jetzt schon notwendige Notmaßnahme im Hinblick auf die zurückgehenden Schülerzahlen. Es würde sich niemand gegen ein solches Gesetz wehren, wenn da drin stünde, dass das nur dort greifen kann, und dann allerdings auch greifen muss, wo nicht mehr genug Schüler da sind, um in erreichbarer Entfernung die Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien selbständig weiter bestehen zu lassen."

    Das klingt fast so, als gehe der nordrhein-westfälische Schulkampf morgen in eine neue Runde - nach über 30-jähriger Pause.