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Der ewige Vergleich

Als Folge des schlechten Abschneidens bei internationalen Leistungsstudien, allen voran PISA, versucht man an deutschen Schulen durch sogenannte Vergleichsarbeiten das Niveau einer einzelnen Schule zu bestimmen. Dabei müssen die Schüler weitaus umfangreichere und anspruchsvollere Tests als im Schulalltag bestehen. Über die Lernbegabung eines einzelnen Schülers sagen diese Tests aber eher wenig aus.

Von Carolin Hoffrogge | 01.12.2007
    "Sie war vor allem anders. Das war so ein riesiger Papierbogen. Normalerweise hat man ein, zwei Blätter, wo eine bis zwei Aufgaben darauf stehen, jetzt waren es 30 Seiten gewesen, mit sehr vielen Multiple-Choice-Fragen, das war sehr viel und sehr zeitintensiv."

    Frederik Palmer besucht das Theodor-Heuss-Gymnasium in Göttingen. Genau wie seine Altersgenossen hat der 14jährige an einem Bildungstest teilgenommen, an der niedersächsischen Vergleichsarbeit in Mathematik in Klasse 8. Die hat Frederik zwar mit Bravour bestanden, aber so leicht war das gar nicht, erzählt seine Mitschülerin Sara Stahlke. Immerhin galt es 34 Aufgaben innerhalb von zwei Stunden zu lösen.

    "Es war blöd, weil in der Arbeit, wenn man einen kleinen Fehler hatte, dann hat man gar keine Punkte mehr bekommen. Wenn man sich nur bei einem Komma vertan hat, dann hat man 0 Punkte auf die Aufgabe bekommen."

    Viele Lehrer sind inzwischen der häufigen vergleichenden Tests überdrüssig. Saras und Frederiks Mathelehrer Helmut Rumpel hat sich dieser Arbeit allerdings gerne gestellt, nutzt er sie doch als Rückmeldung für seine Unterrichtsweise.

    "Ich fand schon sehr interessant, auch nachher die Auswertung, die ja sehr detailliert war, dass man sehen konnte, welche Aufgaben nun von welcher Klasse gut beantwortet worden war. Wenn man sich das genau ansieht, kann man schon Rückschlüsse ziehen, wo man noch etwas nacharbeiten sollte, auch im Bereich bestimmter Fähigkeiten und das konnte man im Vergleich der verschiedenen Klassen sehen, dass das sehr unterschiedlich war."

    Solche Tests sind auch für Schulleiterin Ulrike Koller wichtig, zeigen sie doch, wo ihre Schule im Landesvergleich steht.

    "Wir haben in Niedersachsen seit zwei Jahren das Zentralabitur und da ist es nur konsequent solche Vergleichsarbeiten einzuführen."

    Aber es sind ja nicht nur die Vergleichsarbeiten der Klasse 8. Schließlich wird in der Schule immer mehr getestet, verglichen und ausgewertet. Es gibt die PISA-Studie, die IGLU-Studie, die DESI-Studie und wie sie alle heißen. Da spürt Mathelehrer Helmut Rumpel einen gewissen Überdruss, insbesondere mit Blick auf die PISA-Studie.

    "PISA nervt langsam. Wir sollten mal hinterfragen, wer steht hinter PISA? Wer finanziert das Ganze? Was wird dort erwartet? Und ich denke, wenn wir auf dem Weg bleiben, dass es auch um eine breite Allgemeinbildung geht, dann sollten wir uns von den Testergebnissen bei PISA nicht immer irritieren lassen."

    Ebenso wenig will sich Schulleiterin Ulrike Koller von den diesjährigen PISA-Ergebnissen irritieren lassen.

    "Wenn wir davon ausgehen, dass wir hier an einem Gymnasium sind, dann können wir feststellen, dass sich die PISA-Ergebnisse immer auf Durchschnittswerte beziehen und die einzelnen Gymnasien ganz deutlich über allen Werten liegen, die wir etwa aus dem Vergleichsland Finnland bekommen. Das Gymnasium steht – zumindest hier in Göttingen – sehr gut da und produziert sehr, sehr gute Leistungen bei den Schülern. Trotzdem muss man die PISA-Ergebnisse ernst nehmen, weil wir ein Problem haben, wenn es um die bildungsfernen Schichten geht, da haben wir sehr deutlich den Spiegel vorgehalten bekommen, wo wir da etwas aufzuholen haben."

    Damit berührt Ulrike Koller den wunden Punkt. Denn auch die aktuelle IGLU-Studie zeigt, dass hierzulande Kinder aus ärmeren Familien wesentlich schlechtere Bildungschancen haben.
    An der Göttinger Albanischule hat man zwar nicht an der IGLU-Studie teilgenommen, aber die Viertklässler Helen, Anna und Nikolaus mussten die Aufgaben eines landesweiten Deutschtests lösen. Für die drei eine große Prüfung mit viel Herzklopfen.

    Helen: "Ich war aufgeregt, aber wenigstens hatte ich einen Glücksbringer da mit und am Ende war ich glücklich, dass ich es hinter mir hatte."

    Anna: "Also wir haben vorher schon ein bisschen geübt."

    Nikolaus: "Ich fand es ein bisschen aufregend, weil ich hatte ja noch nie so einen Test geschrieben, kam mir ganz neu vor."

    Der 9jährige Nikolaus hat zwar über den Aufgaben geschwitzt, aber er kann sich wohl denken, warum die Vergleichsarbeiten in der Schule so wichtig sind.

    "Ich glaube, damit man besser in Schwung kommt, damit man besser in der Schule ist."

    Das bestätigt auch Grundschullehrerin Frederike Schaub. Sie ist davon überzeugt, dass die Kinder von den Vergleichsarbeiten profitieren. Aber im Wesentlichen nutzt sie die Vergleichsarbeit für ihren Unterricht.

    "Ich fand es waren gute, wichtige Aufgabenformate, die in manchen Lehrwerken noch gar nicht integriert sind, zum Beispiel das sogenannte Strategielernen. Darum war die Vergleichsarbeit aktueller als die Schulbücher sind."

    Zumindest an den beiden Göttinger Schulen ist man prinzipiell für die Bildungsforschung offen. Sie ist ein wichtiges Hilfsmittel, um den Schulalltag zu verbessern, sagt die Schulleiterin der Göttinger Albanischule Heidrun von der Heide. Allerdings warnt Lehrerin von der Heide vor zuviel Euphorie, besonders im Hinblick auf die nächste PISA-Studie.

    "Was Vergleichsarbeiten aus meiner Sicht überhaupt nicht leisten können, ist eine präzise Rückmeldung über die Leistungsmöglichkeiten des einzelnen Kindes zu geben. Denn das was in diesen Vergleichsarbeiten abgetestet wird, das sind Lernergebnisse."

    Also nur eine Momentaufnahme, die nichts über die unterschiedliche Lernbegabung und das sehr individuelle Potenzial der Kinder aussagt. Und genau das soll laut Schulerlassen ja gefördert werden.