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Der Fähren-Festmacher

An der kleinen Mole von Portovesme am südwestlichen Zipfel der Insel Sardinien herrscht im Sommer besonders reger Betrieb. Unablässig pendeln die kleinen Fähren zur Insel San Pietro, wo vor allem die Bewohner der Hauptstadt Cagliari ihre Ferienhäuser haben. Gian Carlo Melloni hat alle Hände voll zu tun. Seit über 25 Jahren arbeitet er hier als Ormeggiatore, als Festmacher, der den Lotsen hilft, die Schiffe sicher in den Hafen zu bringen.

Von Karl Hoffmann | 08.10.2005
    An der kleinen Mole von Portovesme am südwestlichen Zipfel der Insel Sardinien herrscht im Sommer besonders reger Betrieb. Unablässig pendeln die kleinen Fähren zur Insel San Pietro, wo vor allem die Bewohner der Hauptstadt Cagliari ihre Ferienhäuser haben. Kaum legt eine ab, kommt schon die nächste an und deshalb hat Gian Carlo Melloni alle Hände voll zu tun. Gian Carlo ist ein Meister der Zahlen, nicht ganz aus freien Stücken. Das Schicksal hat seinem Gedächtnis immer nachgeholfen und auch die Not lehrte ihn den Umgang mit Zahlen. Die Zeit schuf schließlich jene Zahlen, die Meilensteine für Gian Carlo Melloni geworden sind.

    "Ich bin hier seit dem 1. Mai 1980. Seit über 25 Jahren bin ich Ormeggiatore, ein Festmacher . Der Ormeggiatore hilft dem Lotsen die Schiffe sicher in den Hafen zu bringen. Der Lotse gibt die Befehle und je nach Anweisung nimmt der Festmacher dann die Vorleine oder die Achterleine und macht sie fest. Darin besteht meine Arbeit. Wir arbeiten im Team, jeder auf seinem Posten. Über den Daumen gepeilt kommen hier 60, 70 Schiffe im Monat an. Wir sind insgesamt 8 Festmacher: Wir arbeiten im Schichtdienst, jeder hat seine feste Schicht und das geht so Tag für Tag."

    Gian Carlo Melloni ist ein kleiner älterer Mann mit sonnengebräuntem Gesicht und noch dichtem, aber graumelierten Haar. In seiner dunkelblauen Montur über einem sauberen, hellblauen, kurzärmeligen Hemd eilt er an der Pier entlang, um die armdicken Leinen entgegen zu nehmen, die von Bord herabgelassen werden. Die Festmacherleinen der Autofähren sind leicht, Giancarlo nimmt sie ohne große Mühe, sobald sie in Griffweite über ihm schweben und zieht ihr Auge über den Poller. Bei den größeren Pötten geht das Festmachen nur mit der Wurfleine. Er muss aufpassen, dass er vom knotenförmigen Ende, die man Affenfaust nennt, nicht getroffen wird und dass die Wurfleine nicht zurück ins Wasser gleitet. Hat er sie erst mal fest in der Hand, dann zieht er mit aller Kraft auch die schwersten Trossen an Land.

    "Wir machen alle Schiffe hier fest, kleine und große. Öltanker und Kohlenschiffe, Frachter mit Bauxit aus Australien, aus dem machen sie hier Aluminium, dann wird hier auch Blei und Zink verarbeitet. Und schließlich wird das ganz wieder in alle Welt exportiert."

    Giancarlo Melloni ist in der von Mussolini aus dem Boden gestampften Stadt Carbonia geboren, er wurde kein Minenarbeiter, weil die Minen grade zumachten, als er ein Junge war. Aber er wollte auf keinen Fall als Gastarbeiter ins Ausland. Da kam ihm der Bau des Elektrizitätswerks in Portovesme gerade recht - nur 15 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt: nahe einem alten Fischerdorf, auf einem bis dahin unberührten Strand an einer der schönsten Küstenlandschaften Sardiniens verdiente er sich fortan sein tägliches Brot.

    "In dem Großkraftwerk habe ich ab Mitte 1967 gearbeitet, ich habe beim Einbau der Turbinen und bei den Kühlwasseranlagen mitgemacht. Dort drüben, sehen Sie dort wo der riesige Kamin steht. Ich war von Anfang mit dabei, mit zwölf Jahren habe ich als Mauergehilfe angefangen, mit 18 musste ich dann zum Militär. Damals waren wir grade mal zweitausend Einwohner im Örtchen, heute leben hier 6000 Menschen. Dort im Industriegebiet arbeiten viele von ihnen, im Aluwerk alleine an die zweitausend Leute."

    Der zahlengewandte Signor Gian Carlo berichtet, dass das E-Werk zur Zeit erweitert wird. Es erhält eine gewaltige Turbine, die jährlich 1, 5 Tonnen Kohle verschlingen soll, deren Abgase dann aus dem 250 Meter hohen Schornstein geblasen werden. Umweltschützer schlagen Alarm: in Portovesme wird Filterstaub aus Stahlwerken in ganz Europa wieder aufbereitet, dabei können hochgiftige Substanzen freiwerden. Signor Gian Carlo kann die Aufregung nicht teilen.

    "Ab und zu wird solcher Filterstaub antransportiert, aber nur in kleinen Mengen, mit kleinen Schiffen. Das meiste, was hier verarbeitet wird, ist gutes Zeug. Vor ein paar Tagen kam ein Schiff mit einem guten Produkt, das davor hatte ebenfalls eine unschädliche Ladung, zwischendrin werden sie schon auch mal kleine Mengen von diesem anderen Zeug bringen, aber nur wenig und nicht dauernd. Dafür haben die Leute hier auch einen Dauerarbeitsplatz, bringen jeden Monat ihren Lohn nach Hause und leben recht anständig."

    Signor Gian Carlo hat zwei Kinder. Seine Tochter hat Chemie studiert und wird es im Industriebetrieb gegenüber mal zu was bringen, da ist er sicher. Und sein Sohn wird demnächst den Job des Vaters übernehmen, denn Gian Carlo hat mit den Zahlen jongliert und beschlossen, dass er in Rente geht:

    "Ich bin jetzt 57, davon habe 41 Jahre gearbeitet, drei Jahre mit den Mauern wurden mir nicht angerechnet, also bleiben mir 38 Jahre und drei Monate Anwartzeit, das reicht mir für meine Rente."

    Guian Carlo Melloni hat noch eine zweite Rechnung aufgestellt, mit dem Resultat, dass er in seiner Jugend einen großen Fehler gemacht hat.

    "Ich hätte als Junge zur Schule gehen sollen. Heute geht’s mir zwar nicht schlecht, aber wenn ich studiert hätte, dann hätte ich vielleicht das Doppelte oder gar das Dreifache verdient. Wer weiß...."

    Spricht's und macht die Leinen los.