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Der Fahrer denkt, das Auto lenkt

Verkehr. - Die Europäische Kommission fordert bis 2010 eine Halbierung der Verkehrs-Opferzahlen. Praktisch umsetzen lässt sich das nur durch den verstärkten Einsatz von Computertechnik, wie sie etwa das Forschungsprogramm "Aktiv" entwickelt. Aktiv steht für "adaptive und kooperative Technologien für den intelligenten Verkehr" und ist ein Zusammenschluss von 29 Unternehmen und Forschungsinstituten aus der Automobilindustrie, der Telekommunikation und Softwarefirmen.

Von Mirko Smiljanic | 25.06.2008
    Was für ein Wagenpark: Schwarz und schwer stehen Daimler und BMW der Oberklasse auf dem Testgelände der BAST, der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch Gladbach. Sie warten auf ein Zeichen, um zu zeigen, was sie können, wenn der Fahrer versagt.

    Testfahrt mit Eberhard Hipp, dem Programmkoordinator von Aktiv und Leiter der Technischen Vorentwicklung der MAN Nutzfahrzeuge AG.

    "Wir haben in dieses Fahrzeug eine Sensorik eingebaut, die durch die Frontscheibe in Stereo das Umfeld des Fahrzeuges beobachtet, regelrecht erkennen kann, um welche Objekte es sich handelt, zum Beispiel Fahrrad, zum Beispiel Mensch, daraufhin den Fahrer warnt, und wenn der Fahrer nicht reagiert, selbstständig zu einer Bremsung kommt."

    Eine 3-D-Kamera ist dafür nötig, ein Computer und natürlich eine Software, die über eine Musterkennung Hindernisse wahrnimmt. Darin gespeichert sind unter anderem eine Million Beispiele von Fußgängern: Alte und junge, kleine und große, stehend, liegend, spielend, jede nur denkbare Situation haben die Aktiv-Forscher erfasst.

    "Wir fahren jetzt an, der Wagen hat eine hohe Beschleunigung, und ein verdeckter Fußgänger nähert sich jetzt dem Fahrzeug...und gerade rechtzeitig kommen wir zum Stillstand, einen Meter vor dem Fußgänger, Sie müssen sich vorstellen, wenn der Fahrer gerade abgelenkt ist, weil man am Radio dreht oder die Kids auf der Rückbank sich streiten, das System passt aber immer auf und kann den Wagen abbremsen rechtzeitig,"

    sagt Professor Dariu Gavrila, Informatiker bei der Daimler AG in Ulm. Das Forschungsprojekt Aktiv hat drei Teilbereiche. Beim "Verkehrsmanagement" geht es unter anderem um intelligente Ampeln, virtuelle Verkehrsbeeinflussungsanlagen und adaptive Navigationssysteme. Bei der "aktiven Sicherheit" stehen die Gefahrenbremsung sowie die Fahrsicherheit und Aufmerksamkeit im Mittelpunkt. Und der dritte Teilbereich von Aktiv schließlich beschäftigt sich mit cooperative cars, also dem Austausch von Daten zwischen verschiedenen Autos, die dann selbstständig Auswege aus kritischen Verkehrssituationen suchen.

    Die zweite Testfahrt auf dem BAST-Gelände in Bergisch Gladbach. Im Mittelpunkt steht der Kreuzungsassistent, ein System, das Kontakt zu anderen Autos aufnehmen kann – vorausgesetzt natürlich alle PKW verfügen über den Assistenten.

    "Wir sitzen jetzt hier in einem Auto, das von dem Vorderfahrzeug praktisch schon empfängt, wenn im Vorderfahrzeug eine Warnung entsteht, das wird übermittelt, hier dem Fahrer mitgeteilt, wenn der Fahrer nicht reagiert, ist es so, dass wir mit Radar und Kamera den Wagen schon detektiert haben und dann im Notfall auch autonom eingreifen,"

    erläutert Matthias Strauss, Projektingenieur bei der Continental AG. Drei Wagen setzen sich in Bewegung und nähern sich mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit einer angedeuteten Kreuzung.

    "Wir haben zwar jetzt hier einen aufmerksamen Fahrer, aber er wird uns jetzt einen unaufmerksamen Fahrer simulieren, der die Situation nicht im Griff hat, weil er vielleicht mit dem Radio beschäftigt ist oder etwas anderes macht, und das Auto wird ihn, wenn es jetzt gefährlich wird, warnen, der Vordermann bremst, wenn er nicht reagiert, wird es automatisch eingreifen."

    Der Clou bei diesem System ist die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation, ein Verfahren, das die Luftfahrt bei Kollisionsvermeidungs-Systemen heute schon einsetzt. 60 Millionen Euro verteilt auf vier Jahre, soviel Geld geben die Aktiv-Forscher noch bis August 2010 aus. Bis die Produkte serienreif sind, dauert es nach einmal ein paar Jahre. Denn eines, sagt Eberhard Hipp, darf es beim alltäglichen Einsatz auf gar keine Fall geben: Fehlalarme und Pannen.

    "Also, die Empfindlichkeit der Fahrer, auch der professionellen Fahrer, wie im Nutzfahrzeugbereich, ist sehr hoch an dieser Stelle. Eine Fehlinterpretation würde der Fahrer nicht so ohne weiters vergessen."