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Der Fall Angola

Anfang der 90er Jahre verabschiedete sich Angolas Regierungspartei MPLA von Sozialismus und Einparteienherrschaft und ließ qua neuer Verfassung Pluralismus und Meinungsvielfalt zu. Damals hofften viele Angolaner, daß damit auch der Konflikt zwischen MPLA und der Rebellentruppe UNITA unter ihrem Führer Jonas Savimbi endlich ein Ende finden würde. Aber zwei Friedensabkommen sind seither gescheitert. Trotz der zerstörten Infrastruktur versuchen eine Handvoll unabhängiger Wochenzeitungen und ein katholischer Radiosender Meinungsvielfalt in das durch MPLA und UNITA polarisierte Land zu bringen. Doch so wie Jonas Savimbi es mit dem Friedenswillen offenbar nicht allzuernst nimmt, schert sich Staatspräsident Eduardo dos Santos immer weniger um das in der Verfassung garantierte Grundrecht der Pressefreiheit. Als Konsequenz machen nicht nur absurd hohe Importkosten für Zeitungspapier Angolas unabhängigen Journalisten das Leben schwer, sondern auch ein wachsender Druck der Regierung.

Jule Reimer |
    Am 27. Oktober dieses Jahres bestätigte der Oberste Gerichtshof Angolas die Verurteilung des Journalisten Rafael Marques. Wegen Diffamierung des Staatspräsidenten muß er eine Geldbusse über rund 8000 Mark zahlen und sechs Monate ins Gefängnis. Die Haft ist fünf Jahre auf Bewährung ausgesetzt. In dieser Zeit darf sich Marques weder öffentlich äußern noch reisen.

    Auslöser für den Prozeß war ein Artikel in der unabhängigen Wochenzeitschrift "Agora". Darin machte der Journalist Angolas Staatspräsidenten Eduardo dos Santos verantwortlich für die wirtschaftliche und soziale Krise sowie für Korruption und Unterschlagung. Die Regierungspartei führe den Krieg gegen die Rebellenorganisation UNITA als Wurzel allen Übels an, aber tatsächlich lenke sie nur von der eigenen Mißwirtschaft ab. Rafael Marques im Juni 2000 im Deutschlandfunk:

    Rafael Marques: "Die Landminen sind doch nur eine Ausrede. Im Süden Angolas haben wir zum Beispiel sehr fruchtbares Land, wo keine Minen sind, und dort wird auch nichts angebaut. Die Regierung arbeitet nicht für die Menschen, sie haben ihre Einkünfte aus Ölgeschäften und glauben, sich nicht um die Ernährung der Menschen kümmern zu müssen. Unsere Regierungsmitglieder fliegen nach Paris, um Hochzeitskuchen zu kaufen. Sie kaufen Anzüge in Paris, sie haben nicht das Problem, dass Mais oder Korn angebaut werden muß. Sie haben besondere Karten, mit denen sie in den ELF-Geschäften einkaufen können, die der Ölkonzern hier für die Eliten mit Delikatessen füllt. Warum sollten sie dann noch Mais brauchen? Über 70 Prozent der angolanischen Kinder zwischen fünf und 16 Jahren gehen nicht in die Schule. Diese Regierung zerstört das Bildungssystem, ich befürchte, dass sie das ganz bewusst tut, damit die Menschen Analphabeten bleiben."

    Nach Angaben von Amnesty International entsprach der Prozeß gegen Marques weder internationalen noch angolanischen Standards eines fairen Verfahrens. Die Verfassung von 1991 garantiert den Angolanern Meinungs- und Pressefreiheit. Es gilt weder der Ausnahmezustand noch erließ die Regierung Gesetze, die eine Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit vorsehen. Dennoch benutzen Vertreter der Zentral- wie auch der Provinzregierungen den seit zwei Jahren wieder aufgeflammten Bürgerkrieg gegen die UNITA als Rechtfertigung für die Verfolgung kritischer Journalisten. Als sensibel gelten Berichte über Korruption, über Bürgerproteste, Menschenrechtsverletzungen, militärische Themen, aber auch Interviews mit Vertretern des unbewaffneten Arms der UNITA, die als gewählte Parlamentsabgeordnete in der Hauptstadt Luanda ihr Mandat ausüben. Pater Antonio Jaca, Direktor des einzigen Privatsenders "Radio Ecclesia", der von der katholischen Kirche betrieben wird:

    Padre Antonio Jaca: "Wenn wir tatsächlich von Menschenrechtsverletzungen erfahren und wenn diese Berichte überprüfbar sind, dann legen wir uns als Radio keine Beschränkung in der Berichterstattung auf. Manchmal rufen uns sogar Hörer hier aus Luanda an, die Opfer geworden sind oder als Zeugen eine solche Tat beobachtet haben, und die erzählen offen über den Fall. Wenn es sich jedoch um Menschenrechtsverletzungen handelt, die im Landesinnnern begangen wurden, ist die Lage komplizierter. In den Provinzen kann es durchaus vorkommen, daß unsere Korrespondenten (zögert) , sagen wir: "Vergeltung erfahren", daß ihnen das Leben schwer gemacht wird, wenn sie über solche Vorkommnisse berichten. Dann ist es für uns schwieriger als in hier in Luanda, die Informanten wie auch unsere Korrespondenten vor Übergriffen zu schützen."

    Deutlicher als der Pater äußert sich Josefa Lamberg, Korrespondentin des US-Senders Voice of America und gleichzeitig Vertreterin des MISA-Instituts in Angola, eine Art Medienselbsthilfeorganisation, die sich im südlichen Afrika für die Pressefreiheit einsetzt:

    Josefa Lamberg: "Es gibt viele Formen der Repression und sie variieren. Was tatsächlich passiert, das hängt davon ab, wen der Journalist kritisiert hat und wer die Repression in die Tat umsetzt. Die Journalisten werden zum Beispiel eingeschüchtert , es kann nachts anonyme Anrufe geben, ein andermal werden die Drohungen offen und direkt ausgesprochen, oder der Journalist wird Opfer von Angriffen und so kann es x verschieden Situationen geben."

    Seit 1995 wurden vier Journalisten unter ungeklärten Umständen ermordet. Mit einem neuen Pressegesetz will sich die angolanische Regierung in Zukunft offenbar gegen kritische Berichte schützen. Angolas unabhängige Journalisten sehen ihre gesamte Arbeit gefährdet, falls die Vorlage tatsächlich als Gesetz verabschiedet werden sollte. Pater Antonio Jaca:

    Padre Antonio Jaca: Der Journalist hat überhaupt nichts mehr, an das er sich halten kann. Praktisch kann alles als Verbrechen gegen die staatliche Sicherheit ausgelegt werden, jeder kritische Bericht kann als Diffamierung der Staatsgewalt, als Diffamierung von Hoheitsträgern interpretiert werden.

    Kirchenvertreter, Intellektuelle und Gewerkschafter fordern immer lauter eine Friedenslösung anstelle des Bürgerkrieges. Um den seit einem vierteljahrhundert währenden tödlichen Dualismus von MPLA und UNITA zu durchbrechen, bräuchte Angola nach Ansicht internationaler Beobachter mehr denn je unabhängige Medien. Auch Pater Antonio Jaca appelliert:

    Padre Antonio Jaca: "Ich bedanke mich, daß über die Situation der angolanischen Medien berichtet wird. Ich bin überzeugt, daß wir uns in Sachen Presse- und Informationsfreiheit in einem nicht mehr umkehrbaren Prozeß befinden und ich glaube nicht, daß sich stärkere Einschränkungen letztlich durchsetzen lassen werden. Ich meine aber auch, daß je größer der internationale Druck in diesem Sinne ist, es desto besser um die Demokratie und um die private, unabhängige Presse in Angola bestellt sein wird."