Rainer Berthold Schossig: Die Musik war in Deutschland nicht immer nur eine Himmelsmacht, auch deutsche Musiker hatten ihre Affären mit dem Nationalsozialismus. Da gab es den Komponisten Ernst Pepping, der schon in den 50ern als NS-Mitläufer geschnitten wurde, oder da war der Vater des "Internationalen Frühschoppens", Werner Höfer, der als junger Musikjournalist einem vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilten Pianisten harte Worte hinterher schrieb, weshalb sich der WDR von ihm trennte. Jetzt ein neuer Fall von NS-Täter-Enthüllung: der vor zehn Jahren verstorbene Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht. Er hat im Zweiten Weltkrieg als Mitglied einer Feldgendarmerieeinheit auf der Krim aktiv am Judenmord teilgenommen und danach alles ebenso fleißig verheimlicht. Dies wurde gestern durch einen Vorabdruck in der "Zeit" bekannt. Frage an den Frankfurter Musikwissenschaftler und Historiker Boris von Haken. Sein Buch "Holocaust und Musikwissenschaft" hat, aus dem dieser Vorabdruck ist, es erscheint im kommenden Jahr. Herr Haken, Sie lüften dort den Schleier, den Eggebrecht selbst über seine Verstrickungen im Völkermord gelegt hatte. Und nun weiß man ja inzwischen, dass unzählige Täter der NS-Zeit über ihre Schuld geschwiegen haben. Was macht den Fall Eggebrecht für Sie paradigmatisch?
Boris von Haken: Der Fall Eggebrecht ist etwas Besonderes und Ungewöhnliches. Das Erstaunliche ist, dass wir hier einen NS-Täter haben - so muss man das formulieren -, einen NS-Täter, der eine große akademische Karriere beginnen konnte. Er hat ja auch nicht nur ein Fachpublikum erreicht, sondern auch eine größere Öffentlichkeit.
Schossig: Sie haben gesagt, dass das Besondere am Fall Eggebrecht sei, dass er einen sehr namhaften Wissenschaftler betrifft. Nun denkt man ja gleich an den Fall Hans Schneider, der sich nach dem Krieg als Hans Schwerte als Germanist neu erfand und auch durchaus auf die andere Seite ging, also ganz und gar dann zum demokratischen Sachwalter wurde. Was ist das Besondere am Schweigen von Eggebrecht?
von Haken: Ja, also der Vergleich mit Schneider/Schwerte ist sicherlich richtig, weil wir hier auch das völlige Verleugnen einer Biografie vor uns haben, mit dem Unterschied, dass Eggebrecht eben seinen Namen behalten hat, aber seine eigene Vergangenheit vollständig eigentlich manipuliert hat, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die Mitglied war einer Einheit, die eben schwerste NS-Gewaltverbrechen begangen hat. Und das unterscheidet ihn natürlich ganz signifikant. Das Interessante ist, dass sich doch in diesen Einheiten in gewisser Weise eine junge Elite versammelt hat, das heißt, er war keineswegs der einzige Akademiker in dieser Einheit, auch andere haben da eine recht eindrucksvolle Karriere noch zustande gebracht. Ein Kamerad von Hans Heinrich Eggebrecht hatte Germanistik studiert, in Germanistik promoviert und war dann in den 60er-Jahren Direktor eines Goethe-Institutes.
Schossig: Das sind Schicksale, Herr von Haken, wo das Leben dieser jungen Soldaten im Zweiten Weltkrieg auch als massive Täter - ich will das jetzt gar nicht kleinreden - im krassen Verhältnis zu ihrer dann relativ demokratischen Karriere standen und stehen. Nun gibt es ja auch so Fälle wie die des Wolfgang Boetticher, der ja schon als junger Mann, als Musikwissenschaftler im Sonderstab Rosenberg tätig war, Musikinstrumente von deportierten Juden heim ins Reich transportierte - der Fall ist ja auch gut dokumentiert -, da fielen sozusagen NS-Verbrechen und Musikwissenschaft in eins. Das kann man ja von Eggebrecht nicht unmittelbar sagen.
von Haken: Es lässt sich einfach mit dem Blick auf die Biografie folgende Aussage machen: Er hat natürlich sein Studium begonnen als, er hatte also Musik studiert. Seine erste Publikation ist seine Dissertation aus Jena, das heißt, es ist eine reine Nachkriegskarriere. Diese Verschränkungen von Musikwissenschaft mit NS-Verbrechen, dafür steht der Fall Boetticher, diese Verschränkungen, die haben wir natürlich nicht.
Schossig: Wo liegt Ihrer Ansicht nach der Hase im Pfeffer, wo liegt der Hund begraben, dass in den 50ern nicht genau genug geforscht wurde, dass viel zu lange weggesehen wurde, dass wir erst heute, eigentlich viel zu spät, mit der Aufarbeitung solcher Fälle konfrontiert sind?
von Haken: Es gibt hier nicht den einen Punkt in der Geschichte oder in der Vergangenheit, der hier relevant ist, und es macht auch keinen Sinn, den Hauptschuldigen oder einen Hauptschuldigen in dieser versäumten Vergangenheitsbewältigung identifizieren zu wollen. Nein, da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Natürlich, er ist nach 1945 in seine Heimat, das war Thüringen, zurückgekehrt, und gerade in der sowjetisch besetzten Zone und dann in der neu gegründeten DDR ist die Entnazifizierung eben sehr frühzeitig beendet worden. Man muss sagen, gerade in der jungen DDR war man hier äußerst, ja, nachlässig um nicht zu sagen allzu großzügig. Dann spielt natürlich auch eine Rolle, dass er dann aus Ostdeutschland nach Westdeutschland gekommen ist. Das heißt, er hatte einen gewissen Flüchtlingsstatus in dem Moment und natürlich hat man dann die Frage nach der NS-Vergangenheit, der Vergangenheit, die davor liegt, einfach nicht mehr gestellt. Das sind einfach viele Stationen, ich möchte die gar nicht im Einzelnen bewerten. Ich kann das als Historiker nur zur Kenntnis nehmen, aber dann muss ich natürlich einen Neuansatz finden.
Schossig: Späte Klarheit über die Abgründe der Karriere des legendären Musikforschers Hans Heinrich Eggebrecht. Das war der Historiker Boris von Haken. Sein Buch "Holocaust und Musikwissenschaft" erscheint Anfang 2010.
Boris von Haken: Der Fall Eggebrecht ist etwas Besonderes und Ungewöhnliches. Das Erstaunliche ist, dass wir hier einen NS-Täter haben - so muss man das formulieren -, einen NS-Täter, der eine große akademische Karriere beginnen konnte. Er hat ja auch nicht nur ein Fachpublikum erreicht, sondern auch eine größere Öffentlichkeit.
Schossig: Sie haben gesagt, dass das Besondere am Fall Eggebrecht sei, dass er einen sehr namhaften Wissenschaftler betrifft. Nun denkt man ja gleich an den Fall Hans Schneider, der sich nach dem Krieg als Hans Schwerte als Germanist neu erfand und auch durchaus auf die andere Seite ging, also ganz und gar dann zum demokratischen Sachwalter wurde. Was ist das Besondere am Schweigen von Eggebrecht?
von Haken: Ja, also der Vergleich mit Schneider/Schwerte ist sicherlich richtig, weil wir hier auch das völlige Verleugnen einer Biografie vor uns haben, mit dem Unterschied, dass Eggebrecht eben seinen Namen behalten hat, aber seine eigene Vergangenheit vollständig eigentlich manipuliert hat, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die Mitglied war einer Einheit, die eben schwerste NS-Gewaltverbrechen begangen hat. Und das unterscheidet ihn natürlich ganz signifikant. Das Interessante ist, dass sich doch in diesen Einheiten in gewisser Weise eine junge Elite versammelt hat, das heißt, er war keineswegs der einzige Akademiker in dieser Einheit, auch andere haben da eine recht eindrucksvolle Karriere noch zustande gebracht. Ein Kamerad von Hans Heinrich Eggebrecht hatte Germanistik studiert, in Germanistik promoviert und war dann in den 60er-Jahren Direktor eines Goethe-Institutes.
Schossig: Das sind Schicksale, Herr von Haken, wo das Leben dieser jungen Soldaten im Zweiten Weltkrieg auch als massive Täter - ich will das jetzt gar nicht kleinreden - im krassen Verhältnis zu ihrer dann relativ demokratischen Karriere standen und stehen. Nun gibt es ja auch so Fälle wie die des Wolfgang Boetticher, der ja schon als junger Mann, als Musikwissenschaftler im Sonderstab Rosenberg tätig war, Musikinstrumente von deportierten Juden heim ins Reich transportierte - der Fall ist ja auch gut dokumentiert -, da fielen sozusagen NS-Verbrechen und Musikwissenschaft in eins. Das kann man ja von Eggebrecht nicht unmittelbar sagen.
von Haken: Es lässt sich einfach mit dem Blick auf die Biografie folgende Aussage machen: Er hat natürlich sein Studium begonnen als, er hatte also Musik studiert. Seine erste Publikation ist seine Dissertation aus Jena, das heißt, es ist eine reine Nachkriegskarriere. Diese Verschränkungen von Musikwissenschaft mit NS-Verbrechen, dafür steht der Fall Boetticher, diese Verschränkungen, die haben wir natürlich nicht.
Schossig: Wo liegt Ihrer Ansicht nach der Hase im Pfeffer, wo liegt der Hund begraben, dass in den 50ern nicht genau genug geforscht wurde, dass viel zu lange weggesehen wurde, dass wir erst heute, eigentlich viel zu spät, mit der Aufarbeitung solcher Fälle konfrontiert sind?
von Haken: Es gibt hier nicht den einen Punkt in der Geschichte oder in der Vergangenheit, der hier relevant ist, und es macht auch keinen Sinn, den Hauptschuldigen oder einen Hauptschuldigen in dieser versäumten Vergangenheitsbewältigung identifizieren zu wollen. Nein, da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Natürlich, er ist nach 1945 in seine Heimat, das war Thüringen, zurückgekehrt, und gerade in der sowjetisch besetzten Zone und dann in der neu gegründeten DDR ist die Entnazifizierung eben sehr frühzeitig beendet worden. Man muss sagen, gerade in der jungen DDR war man hier äußerst, ja, nachlässig um nicht zu sagen allzu großzügig. Dann spielt natürlich auch eine Rolle, dass er dann aus Ostdeutschland nach Westdeutschland gekommen ist. Das heißt, er hatte einen gewissen Flüchtlingsstatus in dem Moment und natürlich hat man dann die Frage nach der NS-Vergangenheit, der Vergangenheit, die davor liegt, einfach nicht mehr gestellt. Das sind einfach viele Stationen, ich möchte die gar nicht im Einzelnen bewerten. Ich kann das als Historiker nur zur Kenntnis nehmen, aber dann muss ich natürlich einen Neuansatz finden.
Schossig: Späte Klarheit über die Abgründe der Karriere des legendären Musikforschers Hans Heinrich Eggebrecht. Das war der Historiker Boris von Haken. Sein Buch "Holocaust und Musikwissenschaft" erscheint Anfang 2010.