Archiv


Der Fall Englaro

Gestern Abend noch wollte Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Sterbehilfe für die Komapatientin per Notverordnung untersagen. Doch dann starb Eluana Englaro. Was bleibt, ist eine Staatskrise. Denn im Streit um die passive Sterbehilfe hat Berlusconi die Verfassung missachtet. Doch kaum jemand in Italien glaubt, dass es Berluconi tatsächlich um die lebenserhaltenden Maßnahmen der Komapatientin ging.

Von Karl Hoffmann |
    Selten hat man in Italien derart leidenschaftlich diskutiert wie über den Fall von Eluana Englaro. Die Frage, ob die Einstellung der künstlichen Ernährung einer seit 17 Jahren im Koma liegenden jungen Frau rechtens ist oder nicht, führte zu immer heftigeren Auseinandersetzungen.

    Diskussionen im Fernsehen enden in beinahe tätlichen Auseinandersetzungen. Militante Katholiken protestierten lautstark vor der Klinik, in der Eluana seit fast zwei Jahrzehnten künstlich ernährt wurde.

    "Eluana, wach' auf! Sie wollen dich umbringen!"

    Doch es gibt immer mehr Bürger, denen die endlosen Auseinandersetzungen und die skandalträchtige Berichterstattung über die gestern Abend verstorbene Frau ein Dorn im Auge ist:

    "Von diesem Fall wird viel zu viel geredet. Und dann diese ständige Einmischung der Kirche bei allen sozialen und politischen Angelegenheiten. Sie hat dazu geführt, dass alle nur noch streiten. Jeder benützt diesen Fall, um sein eigenes Süppchen zu kochen","

    meint Francesca Rizzo, die Leiterein einer Gesamtschule in Palermo. Die Diskussion um den Fall Eluana war ein Ablenkungsmanöver, glaubt sie, mit dem die wahren Probleme Italiens in den Hintergrund gedrängt werden sollen.

    ""Heute morgen habe ich zufällig im Radio von anstehenden Massenentlassungen gehört. Was hat das für Folgen? Dafür scheint sich niemand zu interessieren."

    Hunderttausende von Arbeitern sind in den letzten Wochen bereits entlassen worden, leisten Kurzarbeit oder haben unbezahlten Urlaub nehmen müssen.

    "Die Situation ist schwierig. Es gibt keine Aufträge mehr, meine Kollegen sint alle in den Ferien."

    "Hier sind inzwischen praktisch alle im Urlaub. Keiner geht mehr zur Arbeit. Der hat Ferien, der da auch, hier auf dem Zettel haben wir wochenweise die Schichten eingetragen. Nur noch zwei arbeiten im Turnus, weil es keine Aufträge mehr gibt."

    Die italienische Regierung tut sich schwer, Lösungen für die Wirtschaftkrise zu finden. Ein gewaltiger Schuldenberg lastet auf dem Staatshaushalt, und deshalb gibt es keinerlei finanziellen Spielraum, um die schwerwiegenden Folgen auf dem Arbeitsmarkt zu dämpfen.

    Mit dem Einbruch der Exporte haben sich Silvio Berlusconis Wahlversprechen von vor einem Jahr in Luft aufgelöst. Statt mehr Wohlstand für alle wird Italien mindestens bis 2010 eine schlimme Rezession erleben.

    Statt Auswege aus der Krise zu suchen, befasste sich das Parlament mit einem Gesetz, das jede Art von passiver Sterbehilfe verbieten und Eluana Englaro im letzten Augenblick noch retten sollte. Vom Vatikan hatte Berlusconi dafür bereits Beifall bekommen. Und seine politischen Gegner, die die politische Instrumentalisierung des Falles Eluana kritisierten, stempelte er als potentielle Mörder ab. Damit hofft Berlusconi, bei den anstehenden Regional- und Europawahlen einige Stimmen gutmachen zu können.

    Die Schulleiterin Rizzo, die massive Personalkürzungen hinnehmen muss und nicht mal Geld hat, um kaputte Fensterscheiben in ihrer Schule zu ersetzen, ist empört über ihre Parlamentarier:

    "Im Parlament sitzen Leute, die können nicht mal richtiges Italienisch. Ich als einfacher Bürger muss sie auch noch teuer bezahlen. Und was tun sie dafür? Sie beschließen Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin und die darüber hinaus auch noch völlig abwegig sind."

    Wie realitätsfern die öffentliche Diskussion inzwischen geworden ist, beweist der verzweifelte Appell von Beppino Englaro, der Vater von Eluana, das Leiden seiner Familie nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu zerren. Er verhallte ungehört:

    "Wenn jemand wissen will, was die Hölle auf Erden ist, braucht er sich nur in meine Lage zu versetzen."