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Der Fall Hohmann

Die Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann hat zum wiederholten Mal eine heftige Diskussion über Antisemitismus ausgelöst. Wenige Stichworte in Deutschland rufen so starke Auseinandersetzungen hervor wie der "Antisemitismus". Schnell wird hierzulande - oft zu recht, manchmal auch voreilig - der Vorwurf erhoben, jemand sei Antisemit oder äußere sich zumindest antisemitisch. Der im Frühsommer verstorbene FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der US-amerikanische Philosoph Ted Honderich, der Schriftsteller Martin Walser und - der jüngste Fall - der CDU-Parlamentarier Martin Hohmann.

Sibylle Hoffmann |
    Sie alle werden des Antisemitismus bezichtigt. Sie machen Schlagzeilen und entfalten öffentliche Wirkung. Aber nicht nur auf den Titelseiten, auch in kleineren Meldungen wird der Vorwurf immer wieder erhoben, dieser oder jener, dies oder das sei antisemitisch.

    Mit Antisemitismus bezeichnet man die feindselige bis hasserfüllte Einstellung und Verhaltensweisen gegenüber Juden, nicht aber gegenüber anderen semitischen Völkern wie den Arabern.
    heißt es in dem von Hanno Drechsel und anderen herausgegebenen "Lexikon der Politik". Und weiter:

    Insgesamt lassen sich drei Phasen der Judenfeindlichkeit und Judenverfolgung unterscheiden; 1. der vorwiegend religiös begründete Antijudaismus, der bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht; 2. der sozial und ökonomisch, aber auch schon rassisch argumentierende, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommt; 3. der rassisch begründete, der im Holocaust, dem Judenmord im dritten Reich gipfelte.

    Letzteres liegt nun sechzig Jahre zurück. Auch wenn die Ideologie, die zum Holocaust führte, in den letzten Jahrzehnten auf immer größere Ablehnung stieß, hält sich der Antisemitismus dennoch hartnäckig - als Gefühl, als oft schwammiges Gedankengut und in antijüdischen, rassistischen Aus- und Überfällen.

    Daniel Haw, der heute 45jährige Leiter des jüdischen Theaters in Hamburg erzählt, dass er mit 20 Jahren das erste Mal als "Judenbengel" beschimpft worden sei.

    Dasselbe ist mir vor einem Jahr passiert. Ging ich auf der Straße und trug die Kippa - also unsere religiöse Kopfbedeckung, mir schrie ein Jugendlicher aus einer Gruppe nach - ich weiß nicht was das für eine Gruppe war - Judensau. Ich sehe, dass es ne Gruppe war. Ich wusste, dass es gefährlich war, ich bin trotzdem losgelaufen, weil ich hätte nicht damit leben können. Wir müssen uns wehren. Das haben wir gelernt aus der Shoa. Also bin ich da rein gerannt. Damit haben sie nicht gerechnet, sind weg. Und dann war auf Seiten der Jugendlichen Panik. Es löste sich so auf, aber ich bin allzeit bereit. Also das weiß man schon, dass man bereit sein muss.

    Antisemitische Übergriffe nehmen zu und nicht ab. Im Frühjahr wurden orthodoxe jüdische US-Amerikaner auf dem Kurfürstendamm geprügelt. Ein Israel-Deli, ein koscheres Lebensmittelgeschäft in Berlin-Reinickendorf, musste schließen, nachdem dessen Besitzer beleidigt, schikaniert und bedroht wurde und dem nach und nach auch die deutsche Stammkundschaft wegblieb.

    Immer wieder gibt es Berichte von einem regelrechten Nazi-Nostalgietourismus. Grund dafür ist oft nicht das historische Interesse an den Orten, sondern inhaltliche Nähe zu den Ereignissen, die die Orte historisch werden ließ. Einer der Orte ist Peenemünde. Dort wurde die einstige Heeresversuchsanstalt nach der Wiedervereinigung 1990 in sehr kurzer Zeit zu einem Wallfahrtsort - ähnlich dem einstigen "Führersperrgebiet" am Obersalzberg oder dem Grab des Führerstellvertreters Rudolf Hess.

    Im September wurde ein Anschlag auf die neue Münchner Synagoge gerade noch rechtzeitig verhindert.

    Es gibt einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland, nach dem Antisemitismus als eine Form des Rassismus geächtet sein muss. Dies wird dadurch unterstrichen, dass das Tragen von Nazi-Emblemen, das Hinschmieren von Nazi-Graffiti und gewalttätige Übergriffe auf jüdische Gedenkstätten und Friedhöfe Straftaten sind. Gegen die unverhohlenen, aggressiven und handgreiflichen Judenfeinde, gegen oft junge und verblendete Neonazis, wird etwas getan, wo nötig mit den Mitteln der Polizei und der Justiz, wo möglich mit Information und politischer Weiterbildung.

    Aber wird auch genug getan? Und ist das, was getan wird, auch wirksam genug? Je geringer der Erfolg im Kampf gegen den realen, aggressiven oder auch nur rüpelhaften Antisemitismus in Deutschland ist, desto heftiger und unerbittlicher wird der Kampf gegen Antisemitismus unter deutschen Intellektuellen ausgetragen. Wird eine Geisteshaltung, eine politische Meinung für antisemitisch gehalten, wird sie entlarvt und gegeißelt. Der Protagonist muss in der Regel abtreten.

    Gelegentlich fällt das Urteil so schnell, dass nur wenige die Argumentationslinien genau verfolgen. Ein Beispiel dafür ist der Fall des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann. Er hatte in seiner Feiertagsrede zum 3. Oktober "auch beim jüdischen Volk" eine "dunkle Seite" ausgemacht - nämlich die, so Hohmann, dass Juden in der russischen Oktoberrevolution eine zentrale Rolle gespielt hätten. Und weiter:

    Auch bei der revolutionären sowjetischen Geheimpolizei, der Tscheka, waren die jüdischen Anteile außergewöhnlich hoch.


    Zar Nikolai II. sei von einem Juden ermordet worden. Das "jüdische Volk" habe im Namen von Bolschewismus und Revolution gegen das Zarenregime gekämpft und Tausende Menschen ermordet. Hohmann:

    Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als Tätervolk bezeichnen.

    Für diese Aussage wurde der 55jährige Hohmann öffentlich und innerparteilich des Antisemitismus bezichtigt - mit der Konsequenz, dass er nun, da er die Forderung nach inhaltlicher Distanzierung abgelehnt hat, aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der hessischen CDU ausgeschlossen werden soll.

    Die Bemerkungen des ehemaligen Kriminaloberkommissars Hohmann bergen noch viel gefährlichere Haken als seine im Konjunktiv formulierte Unterstellung und seine lückenhafte Aufrechnung von Mordtaten - denn dass das Zarenregime genauso wie der Bolschewismus mörderisch war, sagte der Bundestagsabgeordnete nicht. Schuldig an Mord und Holocaust waren Hohmanns Meinung nach nämlich jene, die gar nicht wirklich an Gott glaubten, also jüdische Bolschewisten und unchristliche Nationalsozialisten.

    Daher sind weder "die Deutschen" noch "die Juden" ein Tätervolk.

    Dieser Gedanke führte Hohmann am Ende seiner Rede zu dem Schluss,

    dass der Vorwurf an die Deutschen schlechthin, Tätervolk zu sein, an der Sache vorbeigeht und unberechtigt ist.

    Das suggeriert, die Deutschen müssten sich mit ihrer Schuld am Holocaust gar nicht auseinandersetzen. Hohmann leugnet zwar nicht den Völkermord, wohl aber die Verantwortung der Deutschen dafür, und darin ähnelt er den Neonazis. Die Position des CDU-Mannes geht über einen reinen Antisemitismus weit hinaus. Er wendet sich in seiner Rede nicht nur gegen Juden, sondern gegen alle Nicht-Deutschen.

    Die Frage stellt sich immer wieder, ob der Vorhalt des Antisemitismus den Kern der angegriffenen Position trifft. Manchmal ist er zu eng, manchmal aber auch deplaziert. Die Unterscheidung ist oft schwierig, die Grenzen auch fließend.

    Beispiel Hamburg: Am 6. April 2002 hatte der Hamburger Professor Willis Edmondson in der britischen Zeitung "The Guardian" einen Aufruf unterzeichnet, der die Europäische Union aufforderte, israelische Kultur- und Forschungseinrichtungen so lange nicht mehr zu fördern, bis Israel den Forderungen der UN-Resolutionen nachkommt und ernsthafte Friedensgespräche mit den Palästinensern aufnimmt. Mehr als ein Jahr später, im Sommer 2003, fielen einige junge Leute, die sich "bad weather" - also "schlechtes Wetter" - nannten, in seine Vorlesung ein und beschimpften ihn deswegen als Antisemiten.

    Ich hab es zuerst nicht glauben wollen, und ich war natürlich betroffen, vielleicht war ich ein bisschen verunsichert. Was mir eingefallen ist, ist, dass wenn ich ein Dreißigjähriger gewesen wäre, der gerade seine erste Professur sucht, dann wäre diese kleine Aktion vielleicht nicht ohne Konsequenzen gewesen für meine Karriere.

    Ist dies Antisemitismus? Oder ist es eine in der politischen Diskussion zulässige Forderung, die das Ziel hat, einen Beitrag zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts dadurch zu leisten, dass man dem internationalen Recht zum Durchbruch verhilft?

    Beispiel Hannover: Dort erhält eine Antifaschistische Arbeitsgruppe an der Universität keine Unterstützung mehr von der Studentenvertretung, dem Allgemeinen Studentenausschuss AStA. Der Gruppe wird vorgeworfen, "strukturellen Antisemitismus" zu befördern, weil sie sich mit dem palästinensischen Widerstand solidarisiert.
    Bei den Globalisierungsgegnern, bei Attac, brach ein Streit aus, weil eine Gruppe Waffenlieferungen von Deutschland nach Israel unterbinden möchte. Der Gruppe wird Antisemitismus vorgeworfen.

    Der Berliner Historiker und Politikwissenschaftler Rafael Seligmann, selbst aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin, kommentiert derartige Debatten so:

    Der Holocaust war kein jüdisches Problem. Er war das Problem des Abendlandes. Die Juden waren die Opfer, das stimmt. Aber wie können Menschen sich so weit von ihren moralischen, von ihren ethischen, von ihren zivilisatorischen Standards entfernen? Das sollte man sich fragen! Und nicht ständig mit Antisemitismus. Der Antisemitismus ist ja zur Waffe verkommen. Das ist ja auch, was Walser gemeint hat, und in dem Punkt hat er recht: Dass man immer bei der kleinsten Anmerkung dem Gegner Antisemitismus vorwirft.

    Martin Walser sagte 1998, als er bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels seine Dankesrede hielt, er zittere vor Kühnheit, wenn er sage:

    Auschwitz eignet sich nicht, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebildes...(Applaus)

    Hier applaudierte das Publikum lebhaft, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, allerdings nicht.

    Inzwischen geht die Suche nach Erklärungen für das Entstehen des Holocaust weiter. Anlässlich der immer noch tourenden Wehrmachtsausstellung und der Beachtung, die neuerdings auch der Geschichte der deutschsprachigen Vertriebenen geschenkt wird, schrieb die Bielefelder Geschichtsprofessorin Ute Frevert vor wenigen Wochen in der Neuen Zürcher Zeitung :

    Den Aufstieg und die Erfolgsbedingungen des Nationalsozialismus aus der Zeit heraus zu erklären, ihn dabei mit anderen Regimen zu vergleichen, um seine Spezifik genauer ermessen zu können - all das ist keine Verharmlosung, Entschuldigung oder Relativierung....Genau genommen läuft gerade die moralisierende Ausgrenzung darauf hinaus, die Gegenwart zu entlasten und in der vorgeblichen Sicherheit des Korrekten, Guten und Richtigen einzulullen.

    Das heißt: Der Vorwurf des Antisemitismus lenkt ab vom Thema und mündet rasch in einem Denkverbot.

    Stichwort Zionismus: Wer den israelischen Ministerpräsidenten Scharon kritisiert, sich gegen dessen Politik wendet, der wird nicht selten als Antisemit abgestempelt. Wer die Palästinenser argumentativ unterstützt, gilt erst recht als Antisemit.

    Nicht nur in Deutschland, noch stärker in Israel: Als dieser Tage eine EU-Umfrage zum Thema "Irak und der Weltfriede" bekannt wurde, in der 59 Prozent der befragten Europäer Israel als die größte Gefahr für den Weltfrieden bezeichneten, da gab es einen Aufschrei in der israelischen Öffentlichkeit. Die Erklärung war für die Medien in Jerusalem und Tel Aviv ganz einfach: der europäische Antisemitismus. Noch einmal Willis Edmondson:

    Die Gefahr besteht, dass irgendwelche berechtigte Kritik an Israel wird sofort kategorisiert, und weil wir Deutsche sind: Das war's. Dieser Begriff in sich ist ein Argument. Und das ist, finde ich, absolut schrecklich. Okay, wir haben in unserer Geschichte ganz schreckliche Sachen gemacht, vor allem gegen Juden. Aber was in Israel abläuft, darf nicht unter dem Teppich liegen, darf nicht vergessen werden. Und wir müssen vorsichtig sein, dass wir auch als Deutsche instrumentalisiert werden zur Berechtigung dieser unmenschlichen Handlungen, die in den besetzten Gebieten fortgesetzt werden.

    Der Politologe Seligmann stellt dazu noch eine Grundsatzfrage:

    Warum nimmt Deutschland so starken Anteil am arabisch- israelischen oder israelisch-palästinensischen Konflikt? Weil es teilweise entlastet - psychologisch verständlich - wenn man sagen kann: Schaut! Auch die Opfer begehen Untaten. Natürlich begehen auch die Opfer Untaten, die Juden nicht weniger als alle anderen.

    Der FDP-Politiker Jürgen Möllemann versuchte, sich als Nahostexperte politisch zu profilieren. Mit seiner palästinenserfreundlichen Position zog er sich den Vorwurf zu, Antisemit zu sein. Er griff Michel Friedman, damals neben seinem Ehrenamt im Zentralrat der Juden noch Talkmaster im Fernsehen, sehr persönlich an: Friedman sei so unsympathisch und vertrete seine Position so, dass er damit de facto einen Beitrag zum Antisemitismus leiste. Möllemann wollte, so vermuteten damals viele Kommentatoren, Stimmen aus dem rechten Lager gewinnen.

    Vor dem historischen Hintergrund muss in Deutschland eine besondere Sensibilität bei der Kritik an Juden wie auch bei der Auseinandersetzung mit der Politik des Staates Israel walten. Die Trennung der beiden Sachverhalte - Kritik an Juden und Kritik an Israel - ist in der öffentlichen Debatte oft schwer. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, betont gelegentlich, er sei nicht Botschafter des Staates Israel. Aber er fühlt sich dennoch oft in der Rolle, Kritik auch an Israel zurückweisen zu müssen, wenn diese Sensibilität nicht beachtet wird. Manchmal aber wirkt diese Sensibilität auch übereifrig. Manchmal trübt sie den Blick.

    Michel Friedman hat sein Amt im Zentralrat der Juden in Deutschland und auch seine Tätigkeit als Fernseh-Talkmaster einstellen müssen, weil er wegen Drogenbesitzes verurteilt wurde und Verbindungen zu Prostituierten bekannt wurden. Die Heftigkeit der Diskussion über den Fall Friedman zeigt, wie die Gemüter aufgewühlt waren, auch bei professionellen Kommentatoren, nicht nur an den Stammtischen. Spielte Friedman als Talkmaster die Rolle des scharfen Moralisten, so erwartete man von ihm - gerade von ihm - dass er sich persönlich anständig verhalte - Oder erwartete man das gerade vom Juden Friedman? Bettina Gauss, Kommentatorin in der Tageszeitung, schrieb:

    Die einen mögen Friedmans aggressive Überheblichkeit nicht, andere lehnen seine konservative Grundhaltung ab, und ganz viele können ihn nicht leiden, weil er Jude ist und trotzdem nicht demütig. Er hätte wissen sollen, dass gerade er sich nicht angreifbar machen durfte.

    Durfte Friedman sich nicht angreifbar machen, weil er Jude ist und demütig sein sollte? Wie demütig muss man sein, um sich nicht angreifbar zu machen? Ist der Angreifer deshalb im Recht, weil sein Gegenüber nicht demütig ist?

    Die Presseorgane haben sich gegenseitig Schulter klopfend bescheinigt, dass sie sehr sorgfältig und vorurteilsfrei im Fall Friedmann geurteilt hätten. Bettina Gauss aber berichtet nicht vom bewussten, aggressiven Antisemitismus, sondern von den unterschwelligen Erwartungen. Auch die Unachtsamkeiten des Unbewussten, die dort verklemmt liegenden Vorurteile, verwirren.

    So verarbeitet die deutsche Gesellschaft immer weiter ihre Geschichte. Am Thema Judentum lernt sie erst langsam, zwischen wirklichem oder vermeintlichem, ideologischem oder manifestem Antisemitismus zu unterscheiden. Wem wird wo Antisemitismus zu Recht und wo zu Unrecht vorgeworfen? Und warum? Noch ein Mal der Politologe und Historiker Rafael Seligmann:

    Der Völkermord war so furchtbar, dass er unser Vorstellungsvermögen bis heute überschreitet. Das ist gut so, weil kein Mensch sollte sich so was vorstellen können. Die Ursache des Völkermordes war der Nazismus. Und wenn man jemanden diskriminieren will, dann nennt man ihn Nazi. Und dann nennt man ihn Antisemit. Und je mehr der Völkermord mit zeitlichem Abstand ein bisschen seinen Schrecken verliert, desto mehr wächst die Lust, den Gegner, ob links oder rechts, zu diskriminieren, indem man ihn in die Nähe der Mörder stellt. Und daher nimmt die Inflation der gegenseitigen Antisemitismus-Beschuldigungen zu.

    Noch ein Stichwort: Ted Honderich. Der US-amerikanische Philosoph ist Autor des Buches "Nach dem Terror". Micha Brumlik, der Leiter des Fritz Baur Instituts für die Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust, kritisierte es heftig. Honderichs Buch war zwar bereits in Universitätsverlagen in Edinburgh und New York lektoriert worden, aber Brumlik machte darin sachliche Fehler und vor allem Antisemitismus aus. Brumlik las darin einen Aufruf zu Selbstmordattentaten. Die Folge: Der Suhrkamp Verlag nahm die deutsche Übersetzung vom Markt. Die New York Times dagegen hatte Honderichs Zugang zu diesen heiklen Fragen gelobt:

    Wie können wir Grausamkeiten gegen andere bewerten? Gibt es eine Maßeinheit dafür? Gibt es überhaupt noch einen Unterschied zwischen Krieg und Frieden? Um ins Zentrum dieser Fragen zu gelangen, kann man nichts Besseres machen, als "Nach dem Terror" von Ted Honderich zu lesen.

    Das Wallstreet Journal wiederum fand, Honderich sei ein Fossil aus der Lehnstuhl-Linken.

    In den USA also schieden sich an Honderichs Buch die Geister. Sie taten es mit Verve und Wortgewalt. In Deutschland fehlt gerade diese Diskussion, wie der Völkerrechtler Norman Paech bedauert. In Honderichs Buch gehe es überhaupt nicht um Juden, Israelis oder Palästinenser, findet er, sondern allein um Terrorismus in allen seinen Varianten, die allesamt, so Paech weiter, "völkerrechtlich inakzeptabel, aber vielleicht politisch verständlich" seien. Indem das Buch nun wegen Antisemitismus vom Markt genommen ist, sei die Diskussion blockiert, beklagt der Völkerrechtler. Eine Diskussion, die angesichts des weltweiten Ausgreifens des Terrorismus kontrovers und deshalb ohne Tabus geführt werden müsse.

    Ob Hohmann oder Honderich: Die Stigmatisierung als Antisemit dient der Aufklärung nicht. Hinter diesem Stigma eröffnen sich Denkwelten und Ansichten, die zu betrachten und zu bewerten es sich durchaus lohnt - vor allem, um noch viel präzisere Urteile über sie zu fällen.