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Der Fall Jimmy Savile

Über Jahrzehnte hat der im vorigen Jahr verstorbene BBC-Starmoderator Jimmy Savile Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Der Fall hat seinen langjährigen Arbeitgeber in eine beispiellose Glaubwürdigkeitskrise gestürzt und zum Rücktritt des Generaldirektors George Entwistle geführt.

Von Jochen Spengler | 22.12.2012
    Warum hat die BBC vor einem Jahr einen kritischen Film des Enthüllungsprogramms Newsnight über Jimmy Savile aus dem Programm gekippt? Und später dann darüber die Öffentlichkeit falsch informiert?

    Gut zwei Millionen Pfund hat die BBC ausgegeben, um diese Fragen von einem unabhängigen Prüfer klären zu lassen. Nun legte Nick Pollard, früher Chef der BBC-Konkurrenz Sky News, einen 185-Seiten-Bericht vor. Erste Erkenntnis:

    "Die Story der Newsnight-Reporter war richtig. Sie haben klare und zwingende Beweise gefunden, dass Jimmy Savile ein Kinderschänder war."

    Die Zeugenaussagen missbrauchter Frauen seien so eindeutig gewesen, dass sie von der BBC an die Polizei hätten weitergeleitet werden müssen. Das aber unterblieb. Stattdessen wurde der Film, der die die dunkle Seite Jimmy Saviles enthüllt hätte, vom Newsnight-Redaktionsleiter Peter Rippon abgesetzt:

    "Die Entscheidung des verantwortlichen Redakteurs, die Story nicht zu bringen, war ein eindeutig falsch. Aber ich glaube, dass sie in gutem Glauben geschehen ist. Ich habe keinerlei Beweis dafür gefunden, dass es unzulässigen Druck auf Peter Rippon gab, eine solche Entscheidung zu treffen."

    Zuvor war spekuliert worden, dass der Newsnight-Chef von Vorgesetzten genötigt worden sei, den Film zu canceln, weil die BBC plante, mit unkritischen Jubelsendungen während der Weihnachtstage, den verstorbenen Savile noch einmal zu würdigen. So aber war es nach Nick Pollards Ansicht nicht: keine Zensur also, sondern bloß eine Fehlentscheidung Peter Rippons, der die Beweise gegen Savile einfach nicht für stichhaltig genug hielt. Allerdings:

    "Mein Bericht hat auch ergeben, dass die Fernsehdirektion, die die Tribut-Sendungen über Savile plante, etliche Hinweise in E-Mails darauf hatte, was als die dunkle Seite von Jimmy Savile bezeichnet wurde, zur selben Zeit als sie die Sendungen in Auftrag gab."

    Zuständig war damals der BBC-Fernsehchef George Entwistle. Doch der spätere Generaldirektor ignorierte die Hinweise einfach. Anschließend hätten BBC-Verantwortliche versucht, alle Savile-Stories unter den Tisch zu kehren und das Thema auch von der Liste der potentiell riskanten Stories genommen:

    "Als Anfang Oktober die Affäre dann in vollem Ausmaß ausbrach, zeigte sich das Managementsystem der BBC völlig unfähig, damit umzugehen. Das Ausmaß des Chaos und der Verwirrung war sogar noch größer, als es schon damals den Anschein hatte. Viele Personen und Abteilungen bemühten sich wirklich darum, die Wahrheit hinter der Savile-Geschichte herauszufinden, aber dazu es hat anscheinend an Führung und Organisation gemangelt."

    Für seinen Bericht hat Nick Pollard 10.000 E-Mails und Dokumente ausgewertet, 40 persönliche Stellungnahmen eingeholt und 19 Personen interviewt. Sein Urteil fällt vernichtend aus - er attestiert der BBC bürokratische Prozeduren, Bunkermentalität, das Eigenleben ganzer Abteilungen, eine Kultur des Misstrauens und der persönlichen Animositäten.

    Die Antwort der BBC auf den Bericht: Drei Redaktionsleiter werden versetzt, ein Manager geht nächstes Jahr vorzeitig in den Ruhestand. Niemand aber wird entlassen, was in Politik und Medien ebenso kritisiert wird wie der liederliche Umgang mit dem Geld der Gebührenzahler. Mit Abfindungen von mehreren Hunderttausend Pfund seien BBC-Manager in den letzten Jahren verabschiedet worden, sagt Margaret Hodge, die Vorsitzende des Parlamentarischen Haushalts-Kontrollausschusses. Die Labour-Politikerin ärgert sich vor allem über die 560.000 Euro, die der überforderte Generaldirektor George Entwistle erhielt:

    "Der Mann war für gerade 54 Tage im Amt, geht mit nahezu einer halben Million Pfund nach Hause und einem Paket von Zusatzleistungen, das uns einfach verblüfft, zum Beispiel zwölf Monate private Krankenversicherung, was einfach unangemessen ist oder Geld für seine eigene PR-Maschine gegen den Rest der Medien, der sich dafür interessiert, was er geleistet hat."

    Doch Lord Chris Patten, der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums BBC-Trust, verteidigt die Abfindung. Sie habe zu einer raschen Lösung geführt und sei unter dem Strich am billigsten. Forderungen nach seinem eigenen Rücktritt weist er zurück, gibt aber zu, dass die Ernennung Entwistles zum Generaldirektor ein Fehler gewesen sei:

    "Im Nachhinein betrachtet haben wir den falschen Mann ausgewählt. Aber ich bin völlig überzeugt davon, dass es meine Aufgabe ist, auch weiterhin auf den Wandel im Management und auf Reformen in der BBC zu dringen und mit Tony Hall zusammenzuarbeiten, um die Veränderungen vorzunehmen."

    Lord Tony Hall soll es ab März richten. Als neuer BBC-Generaldirektor wird er versuchen müssen, die gesamten Management-Strukturen des Unternehmens mit seinen weit über 20.000 Mitarbeitern neu zu ordnen. Das scheint nach den Erkenntnissen dieser Woche - eine Herkulesaufgabe.