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Der Fall Kolze

14 Jahre lang hat der Lokaljournalist Detlef Kolze für das Anzeigenblatt Sonntagsjournal geschrieben. Jetzt wurde der 61jährige freie Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen rausgeworfen.

von Christina Selzer | 19.07.2008
    "Es ist ein Schreiben gekommen, das ist auch das einzige, das schriftlich gekommen ist, in dem drinsteht, dass zum Ende Juli die Zusammenarbeit gekündigt, und dass mir für die berufliche Zukunft alles Gute gewünscht wird."

    Seine Chancen auf dem Markt in Bremerhaven werden sich in Grenzen halten. Das Sonntagsjournal gehört ebenso wie die Nordseezeitung zur Ditzen-Verlagsgruppe, diese beiden Blätter haben das Monopol in der Seestadt. Bis heute hat die Verlegerin, Roswitha Ditzen-Blanke ihrem Mitarbeiter nicht gesagt, was sie an seiner Arbeit auszusetzen hat. Angeblich war es sein schlechtes Benehmen. Das jedenfalls sagte sie dem Journalisten Eckhard Stengel, der für die Frankfurter Rundschau schreibt, in einem Interview:

    "Dabei hat sie mir gesagt: Ja wir haben die Qualität der Berichterstattung von Herrn Kolze für gut befunden und wenig daran auszusetzen gehabt. Aber als Repräsentant unseres Verlages hat er sich über Jahre hinweg in der Öffentlichkeit nicht so präsentiert, wie das zu erwarten sei."

    Eckhard Stengel vermutet, dass das ein Vorwand ist. Denn Detlef Kolze habe stets kritische Artikel über die Politik und Wirtschaft seiner Stadt geschrieben, bei Pressekonferenzen manchmal unbequeme Fragen gestellt - was seiner Chefin offenbar nicht gefiel. Das Problem ist nämlich: Die Verlegerin Roswitha Ditzen-Blanke ist gleichzeitig Vize-Präsidentin der Industrie- und Handelkammer in Bremerhaven und als solche an einer positiven Berichterstattung über Wirtschaftsthemen interessiert.

    "Offensichtlich erwartet sie von Mitarbeitern, dass sie keinen unabhängigen Journalismus betreiben, sondern so etwas wie PR für die Interessen der Wirtschaft in Bremerhaven wahrnehmen."

    Auch Detlef Kolze glaubt, dass das der wirkliche Grund ist.

    "Schönmalerei ist wichtig, alles positiv malen und ich mit kritischen Nachforschungen oder mit einem Blick ins Archiv störe solche Sachen."

    Die Bremerhavener Wirtschaft vor allem die Industrie- und Handelskammer reagiert empfindlich auf kritische Berichterstattung. Nachdem vor wenigen Monaten ein Artikel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel über die neuen teuren Hochglanz-Großprojekte die Frage aufwarf, ob sich die milliardenverschuldete Stadt solche Investitionen überhaupt leisten kann, statt das Geld in soziale Projekte zu stecken, da war die Entrüstung groß. Bremerhaven soll ein positives Image bekommen, um jeden Preis.

    "Ich finde das gänzlich falsch, meine Erfahrung hat gezeigt: Wenn eine Berichterstattung durchweg zu positiv ist, dann macht sie sich unglaubwürdig. Weil dann die Leute das Gefühl haben: Irgendwie kann das doch so nicht angehen."

    Der Fall in Bremerhaven ist mehr als eine Provinzposse, sagt der Journalist Eckhard Stengel. Denn hier geht es seiner Ansicht nach um grundlegende Fragen der unabhängigen journalistischen Arbeit.

    "Es sieht fast so aus, als hätte der konservative Publizist Paul Seethe recht, der schon 1965 gesagt hat: "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.". Man könnte wirklich zu dem Schluss kommen, dass der Fall in Bremerhaven das so bestätigt. Dass die Verleger sich gelegentlich herausnehmen, über die Köpfe zu bestimmen, was die Öffentlichkeit zu erfahren hat und wer die Öffentlichkeit zu informieren hat."

    Deshalb so Stengel, der auch Mitglied des Presserates ist, müsse erneut über ein Redaktionsstatut diskutiert werden, schon lange fordern Journalistenverbände, dass die innere Pressefreiheit von Redaktionen gegenüber ihren Verlegern abgesichert werden müsse.
    Der Verlagsleitung äußert sich nicht zu dem Fall. Und während der Fall Kolze im Verlag selbst kein großes Thema ist, kommt viel Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Duzende Leserbriefe sind schon eingegangen, wurden aber nicht abgedruckt. Auch in der Kommunalpolitik wird darüber diskutiert, und eine Schulrektorin droht damit, das Projekt "Zeitung in der Schule" abzubrechen. Sie wartet immer noch auf eine Antwort der Verlegerin.