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Der Fall Meriam Ibrahim
Inhaftiert und instrumentalisiert

Das Hochzeitsfoto der Sudanesin Meriam Ibrahim ging vor zwei Jahren um die Welt. Die junge Frau hatte einen Christen geheiratet und wurde wegen Abtrünnigkeit vom Islam zum Tode verurteilt. Nach einer internationalen Solidaritätsaktion wurde sie freigelassen. Jetzt ist ihre Geschichte als Buch erschienen. Viele wollen von ihrem Ruhm etwas abhaben.

Von Marc Engelhardt | 15.02.2016
    Mariam Jahia Ibrahim Ishak und ihre frisch geborene Tochter - im Gefängnis.
    Mariam Jahia Ibrahim Ishak - wegen Abtrünnigkeit vom Islam zum Tode verurteilt - musste ihre Tochter im Gefängnis zur Welt bringen (dpa/epa/str)
    Meriam Ibrahims Leidensweg beginnt am 17. Februar 2014 wie in einer Geschichte Franz Kafkas. Sudanesische Polizisten klopfen an die Tür der nichtsahnenden 27-Jährigen. Sie ist allein zu Haus, nur ihr 20 Monate alter Sohn ist bei ihr. Beide werden abgeführt. Der Vorwurf: Sie, eine Muslima, habe einen Katholiken geheiratet. Im Sudan gilt das als Apostasie – darauf steht der Tod durch den Strang. Vergeblich habe seine Frau versucht zu erklären, dass sie von ihrer christlichen Mutter seit der Geburt als Christin erzogen worden sei, sagt später ihr Mann, Daniel Wani, ein Südsudanese mit amerikanischem Pass. Doch auch der hilft ihm und seiner Frau zunächst nicht.
    "Wenn ich daran denke, dass ich US-Bürger bin, dann bin ich doch sehr enttäuscht von dem, was die US-Botschaft bisher getan hat. Ich habe sie sofort informiert, aber sie haben mir einfach gesagt, sie hätten keine Zeit und es würde sie auch nicht interessieren. Erst als die Medien berichtet haben, haben sie sich gerührt – nach langer Zeit."
    Proteste in den USA
    Das Interview gibt Wani zwei Wochen nach dem Todesurteil. Zusätzlich soll seine Frau 100 Peitschenhiebe erhalten, wegen Unzucht. Wani hat Angst, um seine Frau, seinen Sohn und das ungeborene Baby.
    "Mein Sohn Martin und meine Frau sind im Gefängnis, und meine Frau ist schwanger – sie könnte jederzeit unser Kind zur Welt bringen. Ich wäre so dankbar, sie würden ihr erlauben, in das gleiche Krankenhaus zu gehen, in der sie schon unseren Sohn zur Welt gebracht hat – selbst wenn es unter Aufsicht bewaffneter Wachen wäre."
    Ibrahims Schicksal bewegt Menschen weltweit, vor allem, nachdem sie ihre Tochter, wie von Wani befürchtet, in der Gefängniszelle zur Welt bringen muss. Menschenrechtler setzen sich für die junge Frau ein. Und auch radikale Christen machen sich den Fall Meriam Ibrahim zu eigen, protestieren vor dem Weißen Haus. Unter ihnen: Ted Cruz, der republikanische Senator aus Texas, der heute US-Präsident werden will.
    "Diese Frau wurde zum Tode verurteilt, weil sie Christin ist. Der Präsident der Vereinigten Staaten sollte außer sich sein. Er muss sich die volle Stärke seines Amtes einsetzen. Was wir brauchen, ist präsidiale Führung."
    Medienkampagne in Italien
    Von Rom aus engagiert sich Antonella Napoli für Meriam Ibrahim und ihre Kinder. Die italienische Journalistin startet eine Kampagne, die von der katholischen Kirche und ihren in Italien einflussreichen Medien verstärkt wird. Als Meriam Ibrahim schließlich freigelassen wird und ein halbes Jahr nach ihrer Festnahme endlich das Land in Richtung Rom verlässt, gilt das auch als Napolis Erfolg. Zumindest ist sie selber davon überzeugt. Das schreibt sie in ihrem Buch "Meriam – Mit der Kraft der Liebe gegen religiösen Fanatismus", das gerade auf Deutsch erschienen ist.
    "Als sie aus dem Flugzeug ausstieg, war das wohl einer der bewegendsten Momente, die ich jemals erlebt habe. Sie kam gemeinsam mit ihrem Kind, beide in traditioneller Kleidung. Ich habe das als unterschwellige Botschaft verstanden, als einen Dank an mich. Papst Franziskus, der sie dann bald getroffen hat, hat sehr einfache, sehr treffenden Worte gebraucht: Du warst ein Vorbild für uns alle, auch für mich."
    Das Papstlob kommt gelegen, schließlich spricht Napoli über ihr Buch in einem Fernsehsender, der der italienischen Bischofskonferenz untersteht. Und die katholische Kirche ist nur eine von vielen Bewegungen, die von Meriam Ibrahims Ruhm etwas abhaben will. In den USA sind es religiös Konservative wie der Thinktank ACLJ, die mit der sudanesischen Märtyrerin für ihren Glauben werben. Von einer biblischen Prüfung spricht Jordan Sekulow, der Exekutivdirektor der Organisation, in einem Interview mit der Sudanesin. Ob sie denn gefühlt habe, wie man überall auf der Welt für sie gebetet habe?
    "Es war sehr schwer für mich, irgendwelche Informationen zu bekommen, selbst als mein Fall schon weltweit bekannt war. Die Leute, die dort mit mir waren, haben mir immer wieder gesagt: Willst Du sterben? Und sie sagten auch: Es ist besser, wenn Du deinem christlichen Glauben abschwörst und Muslima wirst. Aber das wollte ich auf keinen Fall."
    Ein Opfer von vielen
    Drei Tage Zeit zum Konvertieren habe der Richter ihr vor der Verkündung des Todesurteils gegeben, berichtet Meriam Ibrahim in Napolis Buch. Aber sie sei standhaft geblieben. Nicht nur im Buch hat sich Meriam Ibrahim eingerichtet mit ihrer Rolle als standhafte Christin. Dabei hat sie schon einmal zugegeben, dass ihr ein Bekenntnis zum Islam vor Gericht kaum geholfen hätte. Ihr Fall ist zudem verworren. Denunziert hatte sie ein Mann, der ihr Bruder sein wollte, doch nach eigenen Angaben hatte Ibrahim ihn nie zuvor gesehen – so wie ihren Vater, der angeblich Muslim sei. Fakten sind rar. Vielleicht war Ibrahim schlicht das Opfer eines Rachefeldzugs, mit dem der angeschlagene Präsident Omar al-Baschir seine Macht beweisen wollte. Spätestens seit der Loslösung des Südsudans vor fünf Jahren sind Christen im Sudan zu Sündenböcken geworden, weiß Marina Peter, die Vorsitzende des Sudan/ Südsudan Forums.
    "Es war noch nicht einmal ein Monat vergangen, als dann gesagt wurde: so und hiermit ist jetzt endgültig der Sudan ein Land, was kulturell arabisch und muslimisch geprägt ist. Das ist die einzige Religion. Das hat natürlich zu einem Aufschrei geführt bei vielen Christen, die gesagt haben, wir sind ja schließlich auch noch hier. Aber die sind in so einer kleinen Minderheitenposition und setzen sich für bestimmte Rechte ein und eben für christliche Werte, die alle im Sudan unter der gegenwärtigen Regierung nicht viel zählen."
    Dass viele sudanesische Christen aus Regionen wie den Nuba-Bergen stammen, wo ein Bürgerkrieg gegen die Regierung geführt wird, macht die Lage nicht besser. Seit Jahren werden Kirchenführer verhaftet und enteignet, werden Kirchen abgerissen oder – in Extremfällen – von staatlich geduldeten Mobs niedergebrannt.
    "Wir haben zum Beispiel letztens wieder einen Fall gehabt, auch in Khartum, wo die Kirche niedergerissen worden ist, aus städteplanerischen Gründen. Ein Problem ist oft, dass Kirchen, weil sie es auch nicht durften, keine vernünftigen Landtitel hatten – aber die Moschee, die direkt daneben stand, natürlich nicht abgerissen worden ist."
    Im vergangenen Jahr wurden zwei Pfarrer evangelikaler Kirchen monatelang in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten. Beide, Peter Yein Reith und Yat Michael Ruot, stammten aus dem Südsudan. Angeblich hatte Ruot in einer Predigt Allah beleidigt, was selbst dem sudanesischen Berufungsgericht zu fadenscheinig war. Es ordnete die Freilassung an, für die sich in einem Video auch Meriam Ibrahim eingesetzt hatte.
    Ich saß in der Todeszelle, weil ich Christin bin – aber das ist kein Verbrechen, sagt sie. Das Video ist von einer Gruppe gefördert, die auf ihrer Webseite behauptet, Christen weltweit seien Opfer eines Völkermords, würden geköpft, misshandelt und gefoltert. Dass solche radikalen Bewegungen Meriam Ibrahim instrumentalisieren, bedauert Marina Peter als unredlich. Am schweren Schicksal der Christen im Sudan ändere das aber nichts.
    "Im Sudan kann man wirklich sagen, dass das Überleben der Christenheit im Moment auf dem Spiel steht."
    Meriam Ibrahim ist nur ein Opfer von vielen.