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Der Fall Mollath
Niemand hat versucht umzudenken

Es ist einer der spektakulärsten Justizfälle Bayerns und längst ein Politikum: Siebeneinhalb Jahre saß Gustl Mollath aufgrund falscher Anschuldigungen und eines dürftigen Gutachtens in der Psychiatrie. Nun wird sein Fall neu aufgerollt.

Von Annette Wilmes | 03.07.2014
    Gustl Mollath gestikuliert am 05.09.2013 in Nürnberg während eines Interviews im Büro der Deutschen Pressagentur.
    Saß jahrelang zu Unrecht in der Psychiatrie: Gustl Mollath. (picture alliance / dpa / Timm Schamberger)
    Die Kanzlei von Gerhard Strate liegt am Holstenwall in Hamburg. Die Räume im Brammerhaus, einer ehemaligen Hutfabrik mit Jugendstilfassade, sind groß und luftig. Am Empfang blicken einem - auf übergroßen Schwarz-Weiß-Fotos - Romy Schneider und Steve McQueen entgegen.
    Das Büro erreicht man über einen Aufzug mit elektronisch gesicherter Zugangskontrolle. Strate, einer der bekanntesten Strafverteidiger in Deutschland, sitzt im 5. Stock.
    Gerhard Strates Mandant Gustl Mollath saß siebeneinhalb Jahre im Maßregelvollzug. Er war wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, er sollte seine Frau gewürgt und geschlagen, außerdem Autoreifen zerstochen haben. Wegen Schuldunfähigkeit wurde er 2006 freigesprochen und im Maßregelvollzug untergebracht. Denn laut Gutachten war er nicht nur psychisch krank, sondern auch gefährlich - das ist die Voraussetzung für eine Unterbringung. Mollaths Version war immer eine andere gewesen: Er hatte seine damalige Frau angezeigt, sie habe bei der Hypo-Vereinsbank in großem Stil Schwarzgeld verschoben. Deshalb habe sie sich an ihm gerächt und ihn für gewalttätig erklärt.
    Das Gericht glaubte ihr damals und stellte aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens eine "wahnhafte psychische Störung" fest. Schon das Gutachten war unangebracht, sagt sein Verteidiger: "Also man hätte nie hier einen Sachverständigen bestellen dürfen, weil keine Anhaltspunkte, jedenfalls keine für eine Unterbringung brauchbaren Anhaltspunkte bei Herrn Mollath vorlagen."
    Das Gericht hatte auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens entschieden, ein dürftiges Gutachten, wie Strate meint. Es habe kein klares Krankheitsbild bezeichnet. Auch bei den jährlichen Überprüfungen sei es nicht anders gewesen.
    Psychiatrische Gutachter in der Kritik
    "Es wird jährlich überprüft durch eine Strafvollstreckungskammer unter Heranziehung weiterer Sachverständiger. Aber auch hier ist letztlich das Ergebnis immer klar gewesen. Aus den Akten jetzt von Herrn Mollath gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass auch nur irgendeiner mal versucht hat, umzudenken und möglicherweise hinterfragt hat, ist das möglicherweise eine Person, die gar nicht hierher gehört?"
    Durch den Fall Mollath sind vor allem die psychiatrischen Gutachter in die Kritik geraten. Axel Boetticher, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, hält die Vorwürfe für überzogen und plädiert dafür, die Kritik auf eine sachliche Basis zu stellen.
    "Natürlich passieren immer wieder Fehler, wenn es um den Freispruch eines Schuldigen geht oder die Verurteilung eines Unschuldigen. Aber nun zu sagen, da ist ein großer Komplott, der dazu geführt hat, dass Gustl Mollath in die Psychiatrie gebracht worden ist, das weise ich sowohl für die Psychiater als auch für die beteiligten Richter ganz massiv zurück."
    Aber dass Mollath zu lange im Maßregelvollzug festgehalten wurde, das steht auch für Axel Boetticher außer Frage. "Auch der Sachverständige, aus meiner Sicht jedenfalls, muss die Aspekte der Verhältnismäßigkeit auch bei seinem Gutachten berücksichtigen und sagen, dass die Straftaten, die dann zu erwarten sind, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vielleicht dann doch nicht mehr zu erwarten sind. Und dann muss aus meiner Sicht auch in einem solchen Fall eine vorzeitige Entlassung möglich sein."
    Für Gustl Mollath läuft es inzwischen besser. Ende 2012 tauchte ein Revisionsbericht der Bank auf, der bis dahin zurückgehalten worden war und in dem bereits 2003 die Schwarzgeldgeschäfte bestätigt wurden. Die Sache erschien plötzlich in einem anderen Licht. Auch aufgrund politischen Drucks aus dem bayerischen Justizministerium kam Mollath im vergangenen August schließlich frei. Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte ein Wiederaufnahmeverfahren angeordnet. Beantragt hatte dies sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verteidiger.
    Hohe Hürden bei Wiederaufnahmeverhandlungen
    "Die Staatsanwaltschaft hat sich vor allen Dingen auch konzentriert auf eine Urkunde, die in dem Prozess eine Rolle spielte und die eine falsche Urkunde war."
    Es war das Attest, mit dem Mollaths Ehefrau ihre Verletzungen belegen wollte und das zu seiner Unterbringung beitrug. Diese Bescheinigung hatte nicht, wie behauptet, ihre Ärztin ausgestellt, sondern deren Sohn, der sie offiziell vertrat, aber das nicht hinreichend vermerkt hatte.
    Wiederaufnahmeverfahren kommen in Deutschland nur sehr selten zustande, die Hürden liegen außerordentlich hoch. Es müssen neue Beweise gefunden und substanziiert dargelegt oder frühere Beweise entkräftet werden. Bei Mollath war es besagte falsche Urkunde.
    Gerhard Strate, der Wiederaufnahme-Spezialist, hatte in seinem Antrag noch andere Argumente angeführt, vor allem Amtspflichtverletzung und Rechtsbeugung. So sei die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung Mollaths unterlassen worden. Auch habe man ihm den Grund seiner Unterbringung nicht unverzüglich mitgeteilt, sondern ihn wochenlang im Ungewissen gelassen.
    Die Regensburger Strafkammer hat bereits 17 Prozesstage terminiert, verhandelt wird an fünf Tagen in der Woche. Das wird für Mollath gleichermaßen eine Erleichterung und eine Strapaze werden, sagt sein Verteidiger.
    "Er leidet natürlich schon unter diesen vielen Verletzungen, die diese Einschließung über siebeneinhalb Jahre mit sich bringt. Und natürlich auch die persönlichen Enttäuschungen, das Verhalten seiner Ehefrau, das glaube ich, würde jedem unter die Haut gehen. Ich bin aber kein Seelendoktor, ich kann in die Psyche anderer Menschen nur schwer hineinschauen, und verschone auch mich mit dieser Fragestellung."