Chirbes: Es war die Zeit meiner Kindheit und Jugend, und sie sind unauflöslich an diese Zeit gebunden. Es ist deshalb die Zeit, in der ich meine entscheidenden Anregungen und Ideale erhielt, und sie bezog ich aus dem Antifranquismus jener Zeit. Wenn die Leute mich fragen, ob ich in meinem Roman über den Franquismus geschrieben habe, antworte ich Ihnen, nein, ich habe über mein Leben geschrieben oder über die Zeit, in der ich gelebt habe.
Knipp: Glauben Sie, dass die Franco-Zeit von der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Literatur schon hinreichend erforscht worden ist? Inwieweit halten Sie es für nötig, diese Zeit auch literarisch zu erkunden?
Chirbes: Ich glaube, das meine Romane weniger die Franco-Zeit als sehr aktuelle Fragen der Gegenwart zum Thema haben, vor allem die "transición", also den Übergang zur Demokratie. Mein letzter Roman, "Der Fall von Madrid", ist kein getreues historisches Porträt des damaligen Spaniens, und er will es auch gar nicht sein. Er stellt eher eine Erfindung dar, er wählt jene Momente des 19. November 1975, den Vorabend von Francos Tod, einfach deshalb als Szenario, weil sich in ihm alle Spannungen spiegeln, die dann auch das spätere Spanien charakterisierten, vor allem natürlich jene Zeitenwende, die man heute als "transición" bezeichnet. Ich habe die spanischen Zeitungen von heute gelesen, die auf die Inthronisation König Juan Carlos des I. heute genau vor 25 Jahren Bezug nehmen. Es gab nicht eine einzige kritische, abweichende Stimme: Alles, so ist zu lesen, sei perfekt gewesen, und tatsächlich hat sich die spanische "transición" ja auch zum Modell für viele andere politische Umbrüche entwickelt: Argentinien, Chile, die Länder Osteuropas. "Der Fall von Madrid" will hingegen zeigen, dass dieser Übergang keineswegs perfekt war, sondern auf Kosten großer Teile der Gesellschaft ging, vor allem der republikanischen und der Arbeitertradition. Sie wurden nicht nur aus der spanischen Gesellschaft, sondern der ganzen Welt verdrängt - und zwar vor allem als Konzept, als Vorstellung, Idee. Niemandem würde es heute mehr einfallen, diese Worte zu benutzen, denn sie sind durch andere ersetzt worden. Wir betrachten die Welt nicht mehr mit Hilfe dieser Begriffe.
Knipp: Bei der Lektüre Ihres Romans hatte ich den Eindruck, dass sie ein sehr pessimistisches Bild des antifranquistischen Widerstands zeichneten. Als einen, der vor allem Durch Feigheit und Opportunismus gekennzeichnet ist.
Chirbes: Ich glaube nicht, dass es in dem Buch um einen Fall von Opportunismus geht. Vielmehr denke ich, dass es sich um erhebliche Selbstwidersprüche handelt. Das Buch ist in gewisser Weise eine Reflexion über meine Rolle oder die von Leuten, die mir in diesen Momenten vergleichbar waren. Die erste Reflexion wäre die, dass Franco ganz einfach im Bett starb. Das heißt, es waren nicht wir Antifranquisten, die Franco von der Macht vertrieben haben, sondern ganz schlicht die Jahre, sein hohes Alter. Und wirklich erscheint Franco in dem Roman ja auch nur als Sterbender im Bett. Das wäre die erste Überlegung. Die zweite wäre die, dass die transición sich Hals über Kopf ihre eigene politische Klasse schuf, und zwar zu großen Teilen von außerhalb der spanischen Grenzen. Sie wurde durch die Vereinigten Staaten und die Europäer unterstützt, die dann auch die politischen Voraussetzungen für die transición schufen. Die entsprach dann sehr deutlich den Vorstellungen des Westens. In der Tat habe ich noch nie einen Arbeiter an der Macht gesehen, und alle Parteien die sich als antifranquistisch bezeichneten, die bekannteste war die Sozialistische Spanische Arbeiterpartei, diskutierten darüber, ob sie das "O" für "Obrero", Arbeiter, beibehalten sollte oder nicht. Ich glaube, dass mein Bild dem offiziellen Bild entgegensteht, das ja behauptet, dass der Antifranquismo Franco besiegte; mir selbst scheint es eher so, als seien es die europäischen Mächte und die Vereinigten Staaten gewesen, die die Spielregeln bestimmten.
Knipp: Ihr Roman beschäftigt sich nicht mit Politik im engeren Sinne, es ist eher eine Art Psychogramm der Francozeit. Wollten Sie auch zeigen, in welchem Maß die Politik auf das Privatleben einwirkte, wie sehr sie die auch die Gefühle der Spanier geprägt hat.
Chirbes: Ich glaube nicht, dass meine Romane im eigentlichen Sinn politisch sind. Wenn ich einen Roman schreibe, habe ich nie einen bestimmten inhaltlichen Vorsatz, dass ich etwa ein Psychogramm des Franquismus zeichnen wollte. Meine Romane entstehen, indem ich mich über mich selbst befrage. "Der Fall von Madrid" entstand, als ich mich fragte: Was passiert eigentlich mit der Sprache, die du gebrauchst? Denn plötzlich konnte ich mit den Worten nichts mehr anfangen, denn die ganze Sprache der Linken, erschien immer leerer und sinnloser. Seit vor vier Jahren der Partido Popular an die Macht kam, erschienen einige Romane über den Antifranquismus und die "transición". Man verwebte in ihre Handlungen die Konzepte und Vorstellungen der Linken, und wandte sie an, als handle es sich um einen politischen Essay, aber es wurden reichlich misslungene Essay. Ich wollte in meinem Buch hingegen eine extrem pluriperspektivistische Technik anwenden, durch die ich allen Personen Gerechtigkeit widerfahren lassen konnte, sogar den allerschwärzesten Dienern des Franquismus. Das ganze Buch ist eine Art Zeremonie, in der die verschiedenen Art der Weltbetrachtung sich gegenseitig aufheben, und manchmal hatte ich den Eindruck, dass am Schluss eine Art weißer Fleck ohne Sprache übriggeblieben ist. Mir selbst sagt keine dieser Sprachen etwas, es sind alles Sprachweisen, die extrem engsichtigen politischen Vorgaben entspringen, auch wenn sie von Seiten der Linken kommen. Mir scheint, das einzige, was bleibt ist der Eindruck, wie diese großen Worte alle ihren Sinn verloren haben, und ich, wir alle, haben aufgehört, in dem Film der Geschichte eine Rolle zu spielen, wir alle spielen nicht mehr mit, wir alle sind mehr und mehr zu Zuschauern geworden, währen die Geschichte von den großen Unternehmen und Banken gestaltet wird, während gleichzeitig die Regierungen sehr weit weg von uns sind.
Knipp: Glauben Sie, dass die Franco-Zeit von der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Literatur schon hinreichend erforscht worden ist? Inwieweit halten Sie es für nötig, diese Zeit auch literarisch zu erkunden?
Chirbes: Ich glaube, das meine Romane weniger die Franco-Zeit als sehr aktuelle Fragen der Gegenwart zum Thema haben, vor allem die "transición", also den Übergang zur Demokratie. Mein letzter Roman, "Der Fall von Madrid", ist kein getreues historisches Porträt des damaligen Spaniens, und er will es auch gar nicht sein. Er stellt eher eine Erfindung dar, er wählt jene Momente des 19. November 1975, den Vorabend von Francos Tod, einfach deshalb als Szenario, weil sich in ihm alle Spannungen spiegeln, die dann auch das spätere Spanien charakterisierten, vor allem natürlich jene Zeitenwende, die man heute als "transición" bezeichnet. Ich habe die spanischen Zeitungen von heute gelesen, die auf die Inthronisation König Juan Carlos des I. heute genau vor 25 Jahren Bezug nehmen. Es gab nicht eine einzige kritische, abweichende Stimme: Alles, so ist zu lesen, sei perfekt gewesen, und tatsächlich hat sich die spanische "transición" ja auch zum Modell für viele andere politische Umbrüche entwickelt: Argentinien, Chile, die Länder Osteuropas. "Der Fall von Madrid" will hingegen zeigen, dass dieser Übergang keineswegs perfekt war, sondern auf Kosten großer Teile der Gesellschaft ging, vor allem der republikanischen und der Arbeitertradition. Sie wurden nicht nur aus der spanischen Gesellschaft, sondern der ganzen Welt verdrängt - und zwar vor allem als Konzept, als Vorstellung, Idee. Niemandem würde es heute mehr einfallen, diese Worte zu benutzen, denn sie sind durch andere ersetzt worden. Wir betrachten die Welt nicht mehr mit Hilfe dieser Begriffe.
Knipp: Bei der Lektüre Ihres Romans hatte ich den Eindruck, dass sie ein sehr pessimistisches Bild des antifranquistischen Widerstands zeichneten. Als einen, der vor allem Durch Feigheit und Opportunismus gekennzeichnet ist.
Chirbes: Ich glaube nicht, dass es in dem Buch um einen Fall von Opportunismus geht. Vielmehr denke ich, dass es sich um erhebliche Selbstwidersprüche handelt. Das Buch ist in gewisser Weise eine Reflexion über meine Rolle oder die von Leuten, die mir in diesen Momenten vergleichbar waren. Die erste Reflexion wäre die, dass Franco ganz einfach im Bett starb. Das heißt, es waren nicht wir Antifranquisten, die Franco von der Macht vertrieben haben, sondern ganz schlicht die Jahre, sein hohes Alter. Und wirklich erscheint Franco in dem Roman ja auch nur als Sterbender im Bett. Das wäre die erste Überlegung. Die zweite wäre die, dass die transición sich Hals über Kopf ihre eigene politische Klasse schuf, und zwar zu großen Teilen von außerhalb der spanischen Grenzen. Sie wurde durch die Vereinigten Staaten und die Europäer unterstützt, die dann auch die politischen Voraussetzungen für die transición schufen. Die entsprach dann sehr deutlich den Vorstellungen des Westens. In der Tat habe ich noch nie einen Arbeiter an der Macht gesehen, und alle Parteien die sich als antifranquistisch bezeichneten, die bekannteste war die Sozialistische Spanische Arbeiterpartei, diskutierten darüber, ob sie das "O" für "Obrero", Arbeiter, beibehalten sollte oder nicht. Ich glaube, dass mein Bild dem offiziellen Bild entgegensteht, das ja behauptet, dass der Antifranquismo Franco besiegte; mir selbst scheint es eher so, als seien es die europäischen Mächte und die Vereinigten Staaten gewesen, die die Spielregeln bestimmten.
Knipp: Ihr Roman beschäftigt sich nicht mit Politik im engeren Sinne, es ist eher eine Art Psychogramm der Francozeit. Wollten Sie auch zeigen, in welchem Maß die Politik auf das Privatleben einwirkte, wie sehr sie die auch die Gefühle der Spanier geprägt hat.
Chirbes: Ich glaube nicht, dass meine Romane im eigentlichen Sinn politisch sind. Wenn ich einen Roman schreibe, habe ich nie einen bestimmten inhaltlichen Vorsatz, dass ich etwa ein Psychogramm des Franquismus zeichnen wollte. Meine Romane entstehen, indem ich mich über mich selbst befrage. "Der Fall von Madrid" entstand, als ich mich fragte: Was passiert eigentlich mit der Sprache, die du gebrauchst? Denn plötzlich konnte ich mit den Worten nichts mehr anfangen, denn die ganze Sprache der Linken, erschien immer leerer und sinnloser. Seit vor vier Jahren der Partido Popular an die Macht kam, erschienen einige Romane über den Antifranquismus und die "transición". Man verwebte in ihre Handlungen die Konzepte und Vorstellungen der Linken, und wandte sie an, als handle es sich um einen politischen Essay, aber es wurden reichlich misslungene Essay. Ich wollte in meinem Buch hingegen eine extrem pluriperspektivistische Technik anwenden, durch die ich allen Personen Gerechtigkeit widerfahren lassen konnte, sogar den allerschwärzesten Dienern des Franquismus. Das ganze Buch ist eine Art Zeremonie, in der die verschiedenen Art der Weltbetrachtung sich gegenseitig aufheben, und manchmal hatte ich den Eindruck, dass am Schluss eine Art weißer Fleck ohne Sprache übriggeblieben ist. Mir selbst sagt keine dieser Sprachen etwas, es sind alles Sprachweisen, die extrem engsichtigen politischen Vorgaben entspringen, auch wenn sie von Seiten der Linken kommen. Mir scheint, das einzige, was bleibt ist der Eindruck, wie diese großen Worte alle ihren Sinn verloren haben, und ich, wir alle, haben aufgehört, in dem Film der Geschichte eine Rolle zu spielen, wir alle spielen nicht mehr mit, wir alle sind mehr und mehr zu Zuschauern geworden, währen die Geschichte von den großen Unternehmen und Banken gestaltet wird, während gleichzeitig die Regierungen sehr weit weg von uns sind.