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Der Faust

Am 24. November wird zum ersten Mal der neue deutsche Theaterpreis "Der Faust" vergeben, gestiftet vom Deutschen Bühnenverein, der Kulturstiftung der Länder, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und dem Land Nordrhein-Westfalen. Nun sind die Namen der für den ersten "Faust" Nominierten in Essen bekanntgegeben worden.

Von Ulrich Deuter |
    Es muss gegen Ende der letzten Theatersaison gewesen sein, dass die Verantwortlichen des Deutschen Bühnenvereins zusammensaßen und überlegten, wie das deutsche Theater mal wieder ins Gespräch und also voran und also weiter aus der Krise gebracht werden könnte.

    Qualität anweisen, Relevanz verordnen, das geht nicht sich so einfach. Gesellschaftliche Bedeutung aber, das wissen gerade Theaterleute, kriegt man auch anderswie. Mit Öffentlichkeit zum Beispiel, mit Glanz und Gloria. Und da leistet ein Preis immer gute Dienste. Ein Preis, lang angekündigt, öffentlich verliehen, ist mit die beste PR. Selbst wenn er undotiert bleibt.

    Ein Theaterpreis also, ein neuer, das war die Idee. Und auch ein ganz anderer sollte es sein. Einer, bei dem einmal nicht die Theaterkritiker ihre Finger drin hätten, Leute also, die das Theater erst in die Krise hineingeschrieben haben.

    Nein, ein Preis, der aus der Tiefe des Deutschen Bühnenlebens selbst käme. Von Theaterleuten für Theaterleute verliehen, wie Klaus Zehelein, der Präsident des Bühnenvereins, dies formulierte. Ein Preis welcher, so kann man es auch ausdrücken, der Deutsche Bühnenverein an seine Mitglieder, die deutschen Stadt-, Staats- und Privattheater, verleiht.

    Weshalb man beschloss, auch nicht etwa eine Auswahljury durchs Land reisen zu lassen, sondern den Theatern selber das Vorschlagsrecht einzuräumen. Selbstnominierung sollte zwar verboten sein, aber natürlich nicht, dass benachbarte Intendanten in trauter Runde zusammensitzen und verabreden: Nennst du meinen, nenn ich deinen. Denn das deutsche Theater, so groß es ist, es ist eine Familie.

    Soweit ist im Frühsommer alles verabredet worden. Blieb die Frage: Wie heißt der Preis? Da es um sämtliche Bühnenkünste gehen sollte, also um Regie, Darstellung, Gesang, Choreografie, Ausstattung usw., müsste ein Name her, der für das Theaterganze steht. Thalia-Kranz vielleicht oder goldenes Thespis-Karren-Rad? Nicht knackig genug. Goethe-, Schiller-, Büchner-Preis? Ein Dramatikername wäre aus Gerechtigkeitsgründen angebracht gewesen, denn bei den sämtlichen Bühnenkünsten, um die es hier gehen soll, fehlen sonderbarerweise die Dramatiker. Aber Goethe-, Schiller-, Büchner-Preis war eben aus anderen Gründen unmöglich.

    Man kann sich regelrecht vorstellen, wie da aus lauter Verzweiflung über die Namensfrage irgendwann jemand beim Deutschen Bühnenverein mit der Faust auf den Tisch gehauen hat. Und wie daraufhin alle anderen gerufen haben: Genau! Das ist es. Wir nennen ihn Faust. Nur so lässt sich einigermaßen erklären, warum der neue Theaterpreis "Der Faust" getauft wurde. Denn außer, dass Faust eine große tragende Rolle deutscher Dramatik sei, wurde als Erklärung für die Namenswahl nichts genannt.

    Heute hat man im Essener Aalto-Theater, wo die Auszeichnung im November zum ersten Mal vergeben wird, die 24 Nominierten für diesen ganz neuen Preis vorgestellt. Ausgewählt von einer Jury aus Bühnenvereinsleuten, Intendanten und Kommunalvertretern, herausgehoben aus 500 Vorschlägen, die von 100 Theatern kamen.

    Und nun die Überraschung. Der Theaterpreis, bei dem endlich einmal Theaterleute für Theaterleute sichten, entscheiden, auszeichnen, ganz allein und ohne Kritiker, "Der Faust", wen hat er nominiert?

    Die üblichen Verdächtigen, garniert mit ein paar ganz wenigen Quotenunbekannten aus der Tiefe der Theaterprovinz.

    Jürgen Gosch nämlich beispielsweise, Andreas Kriegenburg, Franz Grundheber, Meg Stuart oder Nicole Heesters, Achim Freyer auch. Und der Preis fürs Lebenswerk, der Sonderpreis, geht an George Tabori. Alles hochverdient. Alles wenig überraschend. Hätte man eine echte Jury drangesetzt, sie hätte wahrscheinlich mutiger gewählt.

    Ein Preis ist eine schöne Sache. Er ehrt alle Beteiligten. Aber letztlich ist er nur so wertvoll wie sein Renommee. Und da tritt "Der Faust" nicht kühn wie sein Namensgeber auf die Bühne, sondern gibt sich ängstlich wie Wagner, Faustens Famulus.

    Jetzt wird die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste aus den für jedes Bühnenfach jeweils drei Nominierten den endgültigen Preisträger benennen. Ganz unabhängig, wie es heißt. Aber was heißt das schon bei dieser Vorauswahl.