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"Der Film lässt alle Fragen offen"

Laut Filmkritiker Josef Schnelle ist der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel "pure Emotion der Action". Das funktioniere als Film zwar gut, lasse einen jedoch ein bisschen unzufrieden am Schluss zurück. Die Verfilmung von Stefan Austs Buch bringe darüber hinaus auch keine neuen Erkenntnisse etwa über das Ende der Terroristen in Stammheim.

Josef Schnelle im Gespräch mit Karin Fischer | 16.09.2008
    Karin Fischer: Was man bislang über den so geheim gehaltenen Film von Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel erfahren hat, war, dass die Maske ganze Arbeit geleistet und die allererste Garde deutscher Schauspielkunst perfekt ins Terrormilieu überführ hat. Moritz Bleibtreu ist der schnöselig-jähzornige Andreas Baader, Martina Gedeck, die intellektuelle Ulrike Meinhof, Bruno Ganz, der Terroristenjäger Horst Herold und Johanna Wokalek eine Gudrun Ensslin, die für ihre Überzeugungen bis zum Äußersten geht. Vor allem die Schauspielerinnen gaben zu Protokoll, sich in den Fanatismus ihrer Figuren so hineingedacht zu haben, dass sie manchmal nicht mehr verlässlich zurückfanden, so Martina Gedeck gegenüber der Zeitschrift "Park Avenue". Das Thema Identifikation mit den Terroristen hat ja auch im Diskurs über die RAF lange Zeit eine große Rolle gespielt. Die erste Frage an Josef Schnelle ist deshalb, nimmt der Film direkt oder indirekt irgendwie Partei?

    Josef Schnelle: Er nimmt Partei für alle und für alles. Das Interessante an diesem Film ist, dass er allen recht geben will. Das beginnt ja mit der Studentenbewegung, die Polizisten beim Schah-Besuch sind brutal, die Morde der RAF sind viel brutaler. Die Paranoia wird gezeigt, aber auch die Wächter in den Gefängnissen sind auch voreingenommen, die Richter parteiisch. Alles was man so sagen kann, alle Fragen und Parteien, die man da ergreifen kann, werden ergriffen. Man kann nicht sagen, dass dieser Film jetzt eine Gangsterpistole aus der Sicht der RAF-Terroristen erzählt so wie der Film "Baader" zum Beispiel vor ein paar Jahren.

    Fischer: Ich entnehme Ihren Worten, dass es sich nicht um eine RAF-Heldenerzählung handelt, wohl auch nicht um so etwas wie ein psychologisches Drama. Wie ist der Film gemacht? Ist das ein Action-Thriller, ist das eine Doku-Fiction, ist das ein Politdrama, ist das ein Film über die Liebe, wie Frank Schirrmacher behauptet hat?

    Schnelle: Nein, das bestimmt nicht. Für Psychologie ist gar keine Zeit in diesem Film. Es müssen ja so fast alle Schüsse, die die RAF abgegeben hat, auch abgegeben werden. Und diese Dinge müssen ja inszeniert werden, all diese Überfälle, all diese Explosionen, das kommt ja alles vor in diesen zehn Jahren. Es geht ja um zehn Jahre immerhin. Und da ist für Psychologie keine Zeit. Das tut dem Film eigentlich auch ganz gut, dass er darauf verzichtet, jetzt Psychogramme zu erstellen. Das geht so schnell und das geht so unter die Haut. Man kann dann sagen, hey, das ist ja nur ein Actionfilm, aber die Aktion ist halt authentisch und wahr. Das ist ja alles nachgeprüft, das ist ja Wissensdetail, alles abgesichert, das folgt ja dem Buch von Stefan Aust, dessen Verfilmung es ist. Und deswegen ist das auch so in Ordnung. Die Einzige, die da rausfällt ist die Geschichte von Ulrike Meinhof, wo man dann doch die Psychologie nicht ganz draußen lassen kann. Die geht so durch diesen Film wie eine, ja, die ist natürlich eine negative Heldin, aber sie ist eine Somnambule, anämische Heldin und man sieht von der ersten Szene an, wie sie denn langsam versinkt in dem Wahn. Die ist eigentlich die einzige Figur, mit der man in diesen Wahn eindringt und das entspricht ja auch der Wahrnehmung der RAF in Westdeutschland, dass man über Ulrike Meinhof versucht hat, die Terroristen zu verstehen. Über alle anderen hat man es ja nicht versucht.

    Fischer: Sie haben Stefan Aust erwähnt, dessen Buchvorlage ja auch heute noch als eine der besten Dokumentationen über das Phänomen der RAF gilt. In den letzten beiden Jahren hat die Terrorgruppe ja aber noch mal einen ungeheuren Hallraum erlangt wegen 30 Jahre Deutscher Herbst, 40 Jahre 68. Es gibt wieder neue Spekulationen über die noch nicht aufgeklärten Morde. Wieso gibt es jetzt einen Spielfilm, der aber auf einem Sachbuch beruht?

    Schnelle: Das konnte mir auch niemand so richtig erklären. Es dauert ja auch lange, so einen Film zu finanzieren und wirklich zu machen. Wahrscheinlich ist es purer Zufall, dass das nicht 2007 schon fertig war, zum Jubiläumsjahr, zum Stichtag fertig gewesen ist. Es gibt eigentlich keinen Grund, diese Geschichte noch mal zu erzählen aus inhaltlichen Gründen. Gut, es gibt den Horst Herold, der den Staat vertritt, aber so Bruno Ganz als grübelnder Polizeiintellektueller, es gibt eigentlich keine neuen Erkenntnisse, weil man auch versucht, ich sagte ja, die Stärke ist zugleich die Schwäche des Films, es allen recht zu machen. Es gibt auch keine Neuigkeiten darüber, was das jetzt in Stammheim war. Waren es Selbstmorde oder war da irgend noch was Rätselhaftes beteiligt? Auch das wird in der Schwebe gelassen. Im Film sieht man sie nicht sich selber umbringen. Und Brigitte Mohnhaupt, die übrigens von Nadja Uhl gespielt wird und einem wirklich so das Blut zum Erstarren bringt mit ihrer Kälte, das macht sie wirklich sehr gut. Die haben wir eben vergessen bei der Aufzählung. Die sagt dann natürlich, die wollten das und die haben das getan. Aber auf der anderen Seite wird es eben nicht gezeigt. Der Film lässt alle Fragen, die offen sind, auch offen. Und wenn irgendwo behauptet wird, dass das eine Neubewertung ist, das kann ich nicht erkennen. Es ist eine filmische Neubewertung, weil anstelle eines Dokumentarfilms, der immer argumentieren muss, ist es so die pure Emotion der Action, der Aktion. Und das lässt einen auch ein bisschen unzufrieden am Schluss zurück. Aber als Film funktioniert das schon sehr gut. Obwohl ich nicht sicher bin, dass es der beste deutsche Film eigentlich in diesem Jahr gewesen ist.

    Fischer: Vielen Dank, Josef Schnelle, für diesen ersten Bericht über den "Baader-Meinhof-Komplex", der als deutscher Kandidat ins Rennen um die Auslands-Oscars geschickt wird. Auch das ist seit heute bekannt.