Wir sind in der Eurogruppe. Also dem erlauchten Kreis der Finanzminister aus den 12 EU-Staaten, die den Euro bereits eingeführt haben. Immer dann, wenn sich die 15 EU-Finanzminister zu ihrem Ministerrat, dem sogenannten Ecofin, treffen - und das geschieht in der Regel einmal im Monat - immer dann stimmen sich auch diese 12 Minister aus der Eurozone gesondert ab. Und das geschieht stets am Abend vor dem Treffen der 15, also auch heute ab 20 Uhr. Vordergründig gilt dabei auch diesmal: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Denn da Hans, sprich Bundesfinanzminister Hans Eichel, es wieder geschafft hat, bleibt personell in der Eurogruppe erst einmal alles beim alten. Auch an den Problemen der Minister hat sich - 14-Tage nach der Wahl in Deutschland - wenig verändert: Fast alle klagen über hohe Schuldenberge, den schwachen Konjunkturverlauf und dadurch verursachte niedrige Steuereinnahmen. Das wiederum lässt die Defizite aus dem Ruder laufen, und - da schließt sich der Kreis wieder - es macht auch den Abbau der Schuldenberge so schwer.
Trotzdem: Es hat sich etwas geändert in diesen wenigen Tagen seit der Bundestagswahl, und darüber - da sind sich alle einig - muss heute Abend geredet werden. Unerhörtes ist geschehen! Hat doch die EU-Kommission vor knapp 2 Wochen einen Vorschlag gemacht, ohne vorher die machtbewussten Finanzminister auch nur vorzuwarnen. Ein unabgestimmter Alleingang also, und das bei einem so sensiblen Thema: Der Frage, wie - und damit auch: bis wann einige große und damit wichtige Länder der Eurozone ihre hochdefizitären Staatshaushalte in Ordnung bringen sollen.
Die Kommission hat vorgeschlagen, dass die Regeln des Stabilitätspaktes eingehalten werden sollen. Das ist erstens die Regel, die 3 Prozent-Obergrenze für ein Haushaltsdefizit nicht zu überschreiten. Zweitens hat die Kommission vorgeschlagen, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen - was ja die zweite Regel des Stabilitätspaktes ist - dass pro Jahr mindestens eine Konsolidierung von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erfolgen sollte. Wir haben deshalb vorgeschlagen, dass das strukturelle Defizit in den Ländern, wo es noch hohe Defizite gibt, pro Jahr mindestens um einen halben Prozentpunkt sinkt.
Die Ruhe, mit der Klaus Regling erklärt, was die Kommission vorgeschlagen hat, erweckt den Eindruck, als könne er die ganze Aufregung um ihn herum gar nicht so recht verstehen. Denn wenn es darum geht, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU-Staaten zu überwachen, damit diese nicht durch eine zu große Ausgabenfreudigkeit die Stabilität des Euro gefährden, dann ist der Generaldirektor Wirtschaft und Finanzen Klaus Regling nach Währungskommissar Pedro Solbes die Nr. 2 in der Brüsseler EU-Kommission. Insofern wäre Regling vielleicht nicht der Letzte, aber in jedem Fall der Vorletzte, der irgend etwas vorschlagen würde, was die Stabilität des Euro gefährden könnte. Folgerichtig hebt er im Gespräch auch hervor, worin die eigentliche Bedeutung des von ihm mit erdachten Kommissionsvorschlages liegt.
Die vier Länder, die derzeit wegen ihrer Haushaltsprobleme die größten Sorgen bereiten - Portugal, Italien, Frankreich und auch Deutschland - diese vier Länder sollen sich endlich verpflichten, ihre strukturellen Haushaltsdefizite zu senken - ohne wenn und aber und ohne sich noch einmal irgendwelche Hintertürchen offen zu lassen. Geschehen soll dies in jährlichen Schritten von einem halben Prozentpunkt - von 2,5 runter auf 2 Prozent, von 2 auf 1,5 Prozent und so weiter und so weiter. Klaus Regling:
Es ist keine Aufweichung des Stabilitätspaktes. Die Haushaltskonsolidierung, die wir in den nächsten Jahren von den Mitgliedsstaaten erwarten, ist genau so strikt wie zu Beginn des Jahres geplant war. Allerdings wird jetzt mehr Rücksicht darauf genommen, dass die Konjunktur nicht so gut läuft wie vorher gedacht.
Genau hier setzen die Kritiker an. Sie glauben, dass den Haushaltssündern mit der Verpflichtung, die Defizite jährlich um 0,5 Prozentpunkte zu verringern, keine Peitsche, sondern ein Zuckerbrot gereicht würde. Tatsächlich wird das Zieldatum, bis zu dem die vier Länder ihre Haushalte ausgleichen müssen, damit nach hinten geschoben: von 2004 auf das Jahr 2006. Diese Verschiebung ist es, die für Aufregung sorgt. Man könne doch nicht ausgerechnet jetzt im Herbst, wo in allen EU-Staaten die Haushalte für das nächste Jahr aufgestellt werden, den Zwang zum Sparen lockern, meint nicht nur der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und ehemalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt:
Da wird Druck aus dem Kessel genommen. Wenn man 2004 ankündigt, dann muss man 2004 auch halten. Ansonsten entsteht der Eindruck einer unsoliden Finanzierung.
Damit spielt Günter Rexrodt natürlich auf die prekäre Kassenlage von Hans Eichel an. Dieser musste drei Tage nach der Bundestagswahl eingestehen, was schon lange gemunkelt wurde: In Deutschland steigt das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf mindestens 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ob es damit haarscharf an der Obergrenze von 3 Prozent vorbeischrammt, ist noch längst nicht sicher, räumt auch der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Thomas Gerhard, ein:
Das ist die Zahl, die wir vor dem Hintergrund der jetzigen Erkenntnisse im September jetzt gemeldet haben. Mit 2,9 tragen wir den erhöhten Risiken der Konjunktur und den Kosten der Flutkatastrophe Rechnung. Aber noch mal: Das ist der Stand jetzt Ende September gewesen, wir müssen natürlich weiter abwarten, wie sich der konjunkturelle Verlauf in den letzten beiden Quartalen entwickeln wird.
Da aber sieht es düster aus. Zwar steigen zum Jahresende hin die Steuereinnahmen immer noch etwas an - etwa wegen des Weihnachtsgeschäfts. Fraglich ist aber, ob in diesem Jahr die katastrophalen Einbrüche aus den ersten 8 Monaten noch wieder wett gemacht werden können.
Um 3,9 Prozent blieben die Einkünfte von Bund und Ländern unter den Erwartungen. Allein beim Bund betrug die Haushaltslücke fast 43 Mrd. Euro. Wohlgemerkt: in den ersten 8 Monaten! Dabei sollen im gesamten Jahr insgesamt nur 23,7 Mrd. Euro neue Schulden gemacht werden. Noch dramatischer ist die Lage bei den Ländern. Die Steuern, die nur ihnen zustehen, gingen um 5,8 Prozent zurück.
Deutschland steht also mit dem Rücken zur Wand, betont deshalb auch Rolf Peffekoven, Professor für Finanzwissenschaft in Mainz und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates:
Also ich gehe davon aus, dass wir gegen Ende des Jahres, spätestens aber Anfang nächsten Jahrs diesen Wert 2,9 noch einmal nach oben korrigieren werden. Denn wir werden ja im November eine neue Steuerschätzung bekommen, und alle die mit dem Thema vertraut sind, sagen, es wird ein neuer Einbruch kommen. Dann muss es auch eine Erhöhung des Defizits geben. Also wir werden noch in Kürze erfahren, dass der Wert deutlich über 3Prozent liegen wird.
Deutschland ist aber nicht das einzige Land, aus dem derartige Hiobsbotschaften kommen. Portugal hat bereits im letzten Jahr mit einem Defizit von 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes die Obergrenze von 3 Prozent deutlich überschritten, und in diesem Jahr droht das Gleiche.
Italien und Frankreich wollen wegen der schleppenden Konjunktur in diesem Jahr von Sparen nichts wissen, sondern im Gegenteil: Sie wollen mehr Schulden machen. Das ist in den Augen von Klaus Regling von der EU-Kommission fast noch schlimmer als die 2,9 Prozent Defizit, die aus Deutschland gemeldet werden. Schließlich erweckt Hans Eichel nach außen immer noch den Eindruck, eisern am Sparkurs festzuhalten.
Sorgen macht uns in der Tat auch Frankreich, weil der Haushaltsplan 2003 keinerlei Konsolidierungsschritte vorsieht. Nach dem Plan der französischen Regierung, wie er an das französische Parlament gegangen ist, würde das französische Defizit im nächsten Jahr bei 2,6 Prozent des BIP liegen genau wie in diesem Jahr. Dort wäre also kein Konsolidierungsschritt zu verzeichnen, das steht nicht im Einklang mit den Absprachen, denen auch Frankreich auch zugestimmt hat. Das macht uns zur Zeit auch große Sorgen.
Der haushaltspolitische Schlendrian feiert in Europa also wieder fröhliche Urständ. Dabei lautete das Versprechen bei der Ablösung von Pesete, Gulden, Franc, Lira oder D-Mark: Der Euro soll genau so hart werden und bleiben wie die D-Mark. Das war und ist die Philosophie des Stabilitätspaktes, der auf deutschen Druck geschaffen wurde und der 1999 in Kraft trat- zeitgleich mit der Einführung des Euro als bargeldloses Zahlungsmittel.
In dem Pakt verpflichten sich alle EU-Staaten erstens, in konjunkturell schlechten Zeiten wie diesen das gesamtstaatliche Defizit nicht über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen zu lassen. Zum Gesamtstaat zählen dabei alle öffentlichen Haushalte - in Deutschland also die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Sozialversicherungen. Drohen die 3 Prozent überschritten zu werden, wird das betreffende Land rechtzeitig gewarnt und aufgefordert, gegen zu steuern. Das war im Februar beispielsweise der Fall, als der sogenannte "Blaue Brief" an Deutschland abgeschickt werden sollte. Fruchten die Gegenmaßnahmen nichts und schießt das Defizit trotzdem über die 3-Prozent-Grenze hinaus, dann können die anderen Euro-Staaten auf Vorschlag der Kommission den Haushaltssündern Gegenmaßnahmen auferlegen und als letztes Mittel sogar Strafgelder in Milliardenhöhe verhängen.
Zweitens verpflichten sich die EU-Staaten, konjunkturell gute Zeiten zu nutzen, um mittelfristig ihre Haushaltsdefizite auszugleichen. Länder mit hohen Schuldenbergen sollen sogar Überschüsse ausweisen, um die Schuldenberge abzutragen.
Soweit die Theorie. In Praxis hingegen gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie der Stabilitätspakt immer wieder bis zum Äußersten strapaziert wurde, um den Zwang zum Sparen so erträglich wie möglich zu machen. Das Sündenregister ist lang, und in diese Reihe, so warnen Kritiker, passt auch der jüngste Vorschlag aus Brüssel, den vier Problemstaaten in der Eurozone bis 2006 Zeit zu lassen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Denn nachdem sich zunächst 11 EU-Staaten für den Euro qualifiziert hatten, legten die Staats- und Regierungschefs der EU 1998 auch fest, bis wann die Staatshaushalte auszugleichen waren: bis 2001. Aber das schafften nicht alle Euroländer, so Klaus Regling:
Acht der zwölf Mitgliedsländer der Währungsunion haben im Jahre 2001 einen ausgeglichenen Haushalt gehabt oder sogar einen Überschuss. Vier andere Länder haben das nicht geschafft - Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal. Es wurde dann 2001 festgelegt, dass diese Länder spätestens bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen sollten.
Und nun, so die Kritiker des jüngsten Vorschlags aus Brüssel, wird dieses Zieldatum wieder verschoben - auf 2006 - und vielleicht sogar auf den St. Nimmerleinstag. Das sorgt auch unter den Euro-Staaten für erheblichen Unmut.
Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser sprach schon von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Euro-Zone. Grasser ist Mitglied der FPÖ. Weil er unter der Fuchtel des Stabilitätspaktes Österreich einen strikten Sparkurs verordnete, ließ Jörg Haider, der heimliche Parteichef der FPÖ, im September sogar die Koalition in Wien platzen, was Grasser wahrscheinlich um sein Amt bringt. Wenn die EU-Kommission nun den großen EU-Staaten Italien, Frankreich und Deutschland entgegen kommt, hat nicht nur Karl-Heinz Grasser das Gefühl, dass bei den großen Ländern weniger rigide auf den Budgetausgleich gedrängt wird als bei den kleinen.
Erinnert wird auch daran, dass die vier Problemstaaten von heute stabilitätspolitisch gesehen Wiederholungstäter sind. Schon 1997, dem für die Teilnahme am Euro entscheidenden Jahr, schrammten sie allesamt nur knapp an der 3-Prozent-Marke vorbei: Portugal mit 2,5 Prozent , Frankreich schaffte eine unrühmliche Punktlandung bei genau 3 Prozent , Italien und Deutschland waren mit je 2,7 Prozent auch nicht viel besser. Trotzdem war der damalige Finanzminister Theo Waigel sogar noch stolz auf diese Zahl:
Ich habe immer gesagt: Drei ist Drei, und Drei bedeutet natürlich auch 3,0. Damals ist mir gesagt worden, ehrliche 3,2 ist besser als unehrliche 3,0. Ich kann heute nur sagen: ehrliche 2,7 sind besser als ehrliche 3,2 - und zwar um etwa einen halben Prozentpunkt besser.
Noch besser wäre es aus Sicht der EU-Kommission gewesen, wenn diese Länder wenigstens anschließend angefangen hätten zu sparen, so wie es der Stabilitätspakt auch vorschreibt. Doch die Statistiken der letzten Jahre beweisen das Gegenteil, so Generaldirektor Klaus Regling:
Wenn man das Jahr 2000 heran nimmt, wo das Wachstum ja sehr gut war, das höchste Wachstum in vielen Jahren: Hier ist in den drei größten Ländern der Währungsunion - Deutschland, Frankreich und Italien - das nominale Hausdefizit zwar gesunken, aber das strukturelle Defizit gestiegen, und das deutet ja an, dass die zusätzlichen Einnahmen, die bei gutem Wachstum in die Kassen gespült wurden, genutzt wurden, um zusätzliche Ausgaben zu finanzieren. Sonst wäre das strukturelle Defizit nicht hoch gegangen.
Es gibt aber noch viele andere Sündenfälle wider den Stabilitätspakt. Italien beispielsweise wurde erst im letzten Jahr dabei erwischt, staatliche Immobilien überteuert an Staatsunternehmen verkauft zu haben, um mit den Erlösen sein Defizit zu verringern. Faktisch wanderte das Geld jedoch nur von der einen in die andere Tasche. Weit schwerer als solche Haushalts-Tricksereien wiegen jedoch andere Fälle - etwa der harte Kampf, den nach seinen eigenen Worten Bundesfinanzminister Hans Eichel im Februar ausfechten musste, um im Wahljahr nicht eine Frühwarnung wegen der steigenden Defizite in Deutschland zu erhalten, im Volksmund Blauer Brief genannt. Professor Rolf Peffekoven:
Die eigentliche Schwächung ist schon im Februar begangen worden, als man den nach allen Kriterien erforderlichen Blauen Brief an Deutschland und auch Frankreich und Portugal nicht geschickt hat, sondern sich auf die Zusage des Bundesfinanzministers Eichel eingelassen hat, dass ein nahezu - ist unklar was das überhaupt heißt – ein nahezu ausgeglichener Haushalt bis 2004 erreicht werden sollte. Das ist eine Demontage des Stabilitätspaktes gewesen. Ich gehe davon aus, dass heute keiner mehr davon ausgeht, dass jemals eines der großen Länder mit Sanktionen belegt wird.
Was auch daran liegt, dass es keinen Automatismus gibt, wenn die Haushaltslücke in einem Land über 3 Prozent steigt. Vielmehr entscheiden die Finanzminister selbst, ob einer der Ihren als Haushaltssünder an den Pranger gestellt wird. Doch dafür muss sich erst einmal eine Mehrheit unter den EU-Staaten finden, kritisiert Rolf Peffekoven:
Das hat man ja jetzt einer politischen Entscheidung überlassen, und da gibt es eine Sperrminorität, die drei großen und ein zwei kleine Länder, und damit wird da nie ein Beschluss zustande kommen, das ist grundsätzlich falsch.
Was überleitet zu den vielen Vorschlägen, wie der Stabilitätspakt geändert werden könnte oder müsste. Am weitesten wagt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund vor. Zwar will auch er in guten Zeiten sparen, aber in schlechten soll der Stabilitätspakt dafür flexibler werden, so DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer:
Die 3 Prozent sind auf Dauer nicht zu halten, Unsere Vorschläge gehen in die Richtung, dass es in bestimmten Zeiten sinnvoll und notwenig ist, und dies auch durch Regeln abgesichert werden muss, weit unter den 3 Prozent zu bleiben. Auf der anderen Seite wird es mit Sicherheit in den nächsten Jahren für einige große Länder unrealistisch sein, an der starren 3-Prozent-Grenze festzuhalten. Sie wird überschritten werden, ob das dem Herrn Solbes passt oder nicht. Von daher muss man diese Regelung im Sinne eines flexiblen aber nicht aufweichenden Umgangs mit neuen Stabilitätskriterien überdenken.
Flexibel aber nicht aufweichend - in diesem Sinne gibt es unzählige Vorschläge, wie der Stabilitätspakt geändert werden könnte. Die meisten zielen darauf ab, die starre 3-Prozent-Grenze aufzubrechen, vor allem in konjunkturellen Schwächephasen. Heinz Putzhammer vom DGB holt die alte Idee wieder hervor, Kredite dann herauszurechnen, wenn mit ihnen Zukunftsinvestitionen finanziert werden, deren Ertrag auch späteren Generationen zugute kommt. Eine andere Idee kommt von der französischen Regierung: Sie hat schon einmal bei den EU-Partnern vorgefühlt, ob zusätzliche Rüstungsausgaben - etwa für einen zweiten Flugzeugträger - nicht beim Defizit außen vor bleiben könnten. All diesen Vorschlägen ist gemein, dass suggeriert wird, man könne zwischen nützlichen und daher guten Schulden auf der einen und schädlichen Schulden auf der anderen Seite unterscheiden, was die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, nicht gelten lässt:
Von solchen -Vorschlägen halte ich überhaupt nichts, denn dann kommen andere Länder, die sagen: Jetzt möchte ich gerne die landwirtschaftlichen Ausgaben herausgerechnet haben. Und jeder hat da so sein Steckenpferd, das er gerne rausgerechnet haben möchte. Ich halte diesen Vorschlag von Frankreich auch im Hinblick auf die Phantasie, die dann in anderen Ländern geweckt wird, für nicht weiter führend. Und ich hoffe auch, dass die Gemeinschaft das ablehnt.
Wieder ein anderer Vorschlag lautet, nicht wie ein Buchhalter auf die nackte Zahl von 3-Prozent zu schauen, sondern zwischen strukturellen und konjunkturellen Defiziten zu unterscheiden. Konjunkturell bedingte Schulden seien zum Beispiel die Kredite, die für Mehrausgaben zur Bekämpfung einer steigenden Arbeitslosigkeit aufgenommen werden. Strukturell sind dabei die Schulden, die etwa anfallen, weil ein Staat über seine Verhältnissen lebt und sich mehr leistet als die Steuereinnahmen hergeben. Diese Schulden will auch die EU-Kommission für die Berechnung des Defizits heranziehen, und nur für diese strukturellen Haushaltsdefizite würde auch die Verpflichtung gelten, sie bis 2006 um einen halben Prozentpunkt pro Jahr zu senken. Die bestechende Idee ist in der Praxis nur schwierig umzusetzen, denn einheitliche Regeln für die Abgrenzung der zwei Defizitarten gibt es nicht. Der Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven:
Wenn man das strukturelle Defizit meint, also das Defizit, das unabhängig vom Konjunkturverlauf besteht, dann ist es sicherlich richtig, das man eine solche Politik einführt. Ich kann nur hoffen, das sich die Länder daran halten, denn es ist im Einzelfall ziemlich umstritten, was denn nun strukturelle und was sind konjunkturell bedingte Defizite. Im Augenblick versucht natürlich jeder, die Defizite voll auf das Konto konjunkturell zu buchen - was falsch ist.
Vielversprechender für eine Reform des Stabilitätspakts ist deshalb auch ein anderer Ansatz. Statt mit drakonischen Sanktionen für den Fall eines überschießenden Haushaltsdefizits zu drohen, soll der Stabilitätspakt künftig stärker auf Anreize setzen, um in konjunkturell günstigen Zeiten die Budgets auszugleichen.
Ich bin der Meinung, man müsste Frühwarnung und Sanktion auch schon machen, wenn jemand in Normalsituation den ausgeglichenen Haushalt nicht hin bekommt. Wäre das der Fall gewesen, dann hätten wir schon im Jahr 2000 eine Frühwarnung und auch möglicherweise eine Sanktion bekommen, dann hätten wir wahrscheinlich die damaligen Defizite abgebaut, um der Sanktion zu entgehen, und dann hätten wir möglicherweise heute nicht die Probleme, die zur Unzeit, nämlich in einer konjunkturell außerordentlich schwachen Zeit anfallen.
Trotzdem: Es hat sich etwas geändert in diesen wenigen Tagen seit der Bundestagswahl, und darüber - da sind sich alle einig - muss heute Abend geredet werden. Unerhörtes ist geschehen! Hat doch die EU-Kommission vor knapp 2 Wochen einen Vorschlag gemacht, ohne vorher die machtbewussten Finanzminister auch nur vorzuwarnen. Ein unabgestimmter Alleingang also, und das bei einem so sensiblen Thema: Der Frage, wie - und damit auch: bis wann einige große und damit wichtige Länder der Eurozone ihre hochdefizitären Staatshaushalte in Ordnung bringen sollen.
Die Kommission hat vorgeschlagen, dass die Regeln des Stabilitätspaktes eingehalten werden sollen. Das ist erstens die Regel, die 3 Prozent-Obergrenze für ein Haushaltsdefizit nicht zu überschreiten. Zweitens hat die Kommission vorgeschlagen, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen - was ja die zweite Regel des Stabilitätspaktes ist - dass pro Jahr mindestens eine Konsolidierung von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erfolgen sollte. Wir haben deshalb vorgeschlagen, dass das strukturelle Defizit in den Ländern, wo es noch hohe Defizite gibt, pro Jahr mindestens um einen halben Prozentpunkt sinkt.
Die Ruhe, mit der Klaus Regling erklärt, was die Kommission vorgeschlagen hat, erweckt den Eindruck, als könne er die ganze Aufregung um ihn herum gar nicht so recht verstehen. Denn wenn es darum geht, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU-Staaten zu überwachen, damit diese nicht durch eine zu große Ausgabenfreudigkeit die Stabilität des Euro gefährden, dann ist der Generaldirektor Wirtschaft und Finanzen Klaus Regling nach Währungskommissar Pedro Solbes die Nr. 2 in der Brüsseler EU-Kommission. Insofern wäre Regling vielleicht nicht der Letzte, aber in jedem Fall der Vorletzte, der irgend etwas vorschlagen würde, was die Stabilität des Euro gefährden könnte. Folgerichtig hebt er im Gespräch auch hervor, worin die eigentliche Bedeutung des von ihm mit erdachten Kommissionsvorschlages liegt.
Die vier Länder, die derzeit wegen ihrer Haushaltsprobleme die größten Sorgen bereiten - Portugal, Italien, Frankreich und auch Deutschland - diese vier Länder sollen sich endlich verpflichten, ihre strukturellen Haushaltsdefizite zu senken - ohne wenn und aber und ohne sich noch einmal irgendwelche Hintertürchen offen zu lassen. Geschehen soll dies in jährlichen Schritten von einem halben Prozentpunkt - von 2,5 runter auf 2 Prozent, von 2 auf 1,5 Prozent und so weiter und so weiter. Klaus Regling:
Es ist keine Aufweichung des Stabilitätspaktes. Die Haushaltskonsolidierung, die wir in den nächsten Jahren von den Mitgliedsstaaten erwarten, ist genau so strikt wie zu Beginn des Jahres geplant war. Allerdings wird jetzt mehr Rücksicht darauf genommen, dass die Konjunktur nicht so gut läuft wie vorher gedacht.
Genau hier setzen die Kritiker an. Sie glauben, dass den Haushaltssündern mit der Verpflichtung, die Defizite jährlich um 0,5 Prozentpunkte zu verringern, keine Peitsche, sondern ein Zuckerbrot gereicht würde. Tatsächlich wird das Zieldatum, bis zu dem die vier Länder ihre Haushalte ausgleichen müssen, damit nach hinten geschoben: von 2004 auf das Jahr 2006. Diese Verschiebung ist es, die für Aufregung sorgt. Man könne doch nicht ausgerechnet jetzt im Herbst, wo in allen EU-Staaten die Haushalte für das nächste Jahr aufgestellt werden, den Zwang zum Sparen lockern, meint nicht nur der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und ehemalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt:
Da wird Druck aus dem Kessel genommen. Wenn man 2004 ankündigt, dann muss man 2004 auch halten. Ansonsten entsteht der Eindruck einer unsoliden Finanzierung.
Damit spielt Günter Rexrodt natürlich auf die prekäre Kassenlage von Hans Eichel an. Dieser musste drei Tage nach der Bundestagswahl eingestehen, was schon lange gemunkelt wurde: In Deutschland steigt das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf mindestens 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ob es damit haarscharf an der Obergrenze von 3 Prozent vorbeischrammt, ist noch längst nicht sicher, räumt auch der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Thomas Gerhard, ein:
Das ist die Zahl, die wir vor dem Hintergrund der jetzigen Erkenntnisse im September jetzt gemeldet haben. Mit 2,9 tragen wir den erhöhten Risiken der Konjunktur und den Kosten der Flutkatastrophe Rechnung. Aber noch mal: Das ist der Stand jetzt Ende September gewesen, wir müssen natürlich weiter abwarten, wie sich der konjunkturelle Verlauf in den letzten beiden Quartalen entwickeln wird.
Da aber sieht es düster aus. Zwar steigen zum Jahresende hin die Steuereinnahmen immer noch etwas an - etwa wegen des Weihnachtsgeschäfts. Fraglich ist aber, ob in diesem Jahr die katastrophalen Einbrüche aus den ersten 8 Monaten noch wieder wett gemacht werden können.
Um 3,9 Prozent blieben die Einkünfte von Bund und Ländern unter den Erwartungen. Allein beim Bund betrug die Haushaltslücke fast 43 Mrd. Euro. Wohlgemerkt: in den ersten 8 Monaten! Dabei sollen im gesamten Jahr insgesamt nur 23,7 Mrd. Euro neue Schulden gemacht werden. Noch dramatischer ist die Lage bei den Ländern. Die Steuern, die nur ihnen zustehen, gingen um 5,8 Prozent zurück.
Deutschland steht also mit dem Rücken zur Wand, betont deshalb auch Rolf Peffekoven, Professor für Finanzwissenschaft in Mainz und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates:
Also ich gehe davon aus, dass wir gegen Ende des Jahres, spätestens aber Anfang nächsten Jahrs diesen Wert 2,9 noch einmal nach oben korrigieren werden. Denn wir werden ja im November eine neue Steuerschätzung bekommen, und alle die mit dem Thema vertraut sind, sagen, es wird ein neuer Einbruch kommen. Dann muss es auch eine Erhöhung des Defizits geben. Also wir werden noch in Kürze erfahren, dass der Wert deutlich über 3Prozent liegen wird.
Deutschland ist aber nicht das einzige Land, aus dem derartige Hiobsbotschaften kommen. Portugal hat bereits im letzten Jahr mit einem Defizit von 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes die Obergrenze von 3 Prozent deutlich überschritten, und in diesem Jahr droht das Gleiche.
Italien und Frankreich wollen wegen der schleppenden Konjunktur in diesem Jahr von Sparen nichts wissen, sondern im Gegenteil: Sie wollen mehr Schulden machen. Das ist in den Augen von Klaus Regling von der EU-Kommission fast noch schlimmer als die 2,9 Prozent Defizit, die aus Deutschland gemeldet werden. Schließlich erweckt Hans Eichel nach außen immer noch den Eindruck, eisern am Sparkurs festzuhalten.
Sorgen macht uns in der Tat auch Frankreich, weil der Haushaltsplan 2003 keinerlei Konsolidierungsschritte vorsieht. Nach dem Plan der französischen Regierung, wie er an das französische Parlament gegangen ist, würde das französische Defizit im nächsten Jahr bei 2,6 Prozent des BIP liegen genau wie in diesem Jahr. Dort wäre also kein Konsolidierungsschritt zu verzeichnen, das steht nicht im Einklang mit den Absprachen, denen auch Frankreich auch zugestimmt hat. Das macht uns zur Zeit auch große Sorgen.
Der haushaltspolitische Schlendrian feiert in Europa also wieder fröhliche Urständ. Dabei lautete das Versprechen bei der Ablösung von Pesete, Gulden, Franc, Lira oder D-Mark: Der Euro soll genau so hart werden und bleiben wie die D-Mark. Das war und ist die Philosophie des Stabilitätspaktes, der auf deutschen Druck geschaffen wurde und der 1999 in Kraft trat- zeitgleich mit der Einführung des Euro als bargeldloses Zahlungsmittel.
In dem Pakt verpflichten sich alle EU-Staaten erstens, in konjunkturell schlechten Zeiten wie diesen das gesamtstaatliche Defizit nicht über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen zu lassen. Zum Gesamtstaat zählen dabei alle öffentlichen Haushalte - in Deutschland also die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Sozialversicherungen. Drohen die 3 Prozent überschritten zu werden, wird das betreffende Land rechtzeitig gewarnt und aufgefordert, gegen zu steuern. Das war im Februar beispielsweise der Fall, als der sogenannte "Blaue Brief" an Deutschland abgeschickt werden sollte. Fruchten die Gegenmaßnahmen nichts und schießt das Defizit trotzdem über die 3-Prozent-Grenze hinaus, dann können die anderen Euro-Staaten auf Vorschlag der Kommission den Haushaltssündern Gegenmaßnahmen auferlegen und als letztes Mittel sogar Strafgelder in Milliardenhöhe verhängen.
Zweitens verpflichten sich die EU-Staaten, konjunkturell gute Zeiten zu nutzen, um mittelfristig ihre Haushaltsdefizite auszugleichen. Länder mit hohen Schuldenbergen sollen sogar Überschüsse ausweisen, um die Schuldenberge abzutragen.
Soweit die Theorie. In Praxis hingegen gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie der Stabilitätspakt immer wieder bis zum Äußersten strapaziert wurde, um den Zwang zum Sparen so erträglich wie möglich zu machen. Das Sündenregister ist lang, und in diese Reihe, so warnen Kritiker, passt auch der jüngste Vorschlag aus Brüssel, den vier Problemstaaten in der Eurozone bis 2006 Zeit zu lassen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Denn nachdem sich zunächst 11 EU-Staaten für den Euro qualifiziert hatten, legten die Staats- und Regierungschefs der EU 1998 auch fest, bis wann die Staatshaushalte auszugleichen waren: bis 2001. Aber das schafften nicht alle Euroländer, so Klaus Regling:
Acht der zwölf Mitgliedsländer der Währungsunion haben im Jahre 2001 einen ausgeglichenen Haushalt gehabt oder sogar einen Überschuss. Vier andere Länder haben das nicht geschafft - Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal. Es wurde dann 2001 festgelegt, dass diese Länder spätestens bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen sollten.
Und nun, so die Kritiker des jüngsten Vorschlags aus Brüssel, wird dieses Zieldatum wieder verschoben - auf 2006 - und vielleicht sogar auf den St. Nimmerleinstag. Das sorgt auch unter den Euro-Staaten für erheblichen Unmut.
Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser sprach schon von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Euro-Zone. Grasser ist Mitglied der FPÖ. Weil er unter der Fuchtel des Stabilitätspaktes Österreich einen strikten Sparkurs verordnete, ließ Jörg Haider, der heimliche Parteichef der FPÖ, im September sogar die Koalition in Wien platzen, was Grasser wahrscheinlich um sein Amt bringt. Wenn die EU-Kommission nun den großen EU-Staaten Italien, Frankreich und Deutschland entgegen kommt, hat nicht nur Karl-Heinz Grasser das Gefühl, dass bei den großen Ländern weniger rigide auf den Budgetausgleich gedrängt wird als bei den kleinen.
Erinnert wird auch daran, dass die vier Problemstaaten von heute stabilitätspolitisch gesehen Wiederholungstäter sind. Schon 1997, dem für die Teilnahme am Euro entscheidenden Jahr, schrammten sie allesamt nur knapp an der 3-Prozent-Marke vorbei: Portugal mit 2,5 Prozent , Frankreich schaffte eine unrühmliche Punktlandung bei genau 3 Prozent , Italien und Deutschland waren mit je 2,7 Prozent auch nicht viel besser. Trotzdem war der damalige Finanzminister Theo Waigel sogar noch stolz auf diese Zahl:
Ich habe immer gesagt: Drei ist Drei, und Drei bedeutet natürlich auch 3,0. Damals ist mir gesagt worden, ehrliche 3,2 ist besser als unehrliche 3,0. Ich kann heute nur sagen: ehrliche 2,7 sind besser als ehrliche 3,2 - und zwar um etwa einen halben Prozentpunkt besser.
Noch besser wäre es aus Sicht der EU-Kommission gewesen, wenn diese Länder wenigstens anschließend angefangen hätten zu sparen, so wie es der Stabilitätspakt auch vorschreibt. Doch die Statistiken der letzten Jahre beweisen das Gegenteil, so Generaldirektor Klaus Regling:
Wenn man das Jahr 2000 heran nimmt, wo das Wachstum ja sehr gut war, das höchste Wachstum in vielen Jahren: Hier ist in den drei größten Ländern der Währungsunion - Deutschland, Frankreich und Italien - das nominale Hausdefizit zwar gesunken, aber das strukturelle Defizit gestiegen, und das deutet ja an, dass die zusätzlichen Einnahmen, die bei gutem Wachstum in die Kassen gespült wurden, genutzt wurden, um zusätzliche Ausgaben zu finanzieren. Sonst wäre das strukturelle Defizit nicht hoch gegangen.
Es gibt aber noch viele andere Sündenfälle wider den Stabilitätspakt. Italien beispielsweise wurde erst im letzten Jahr dabei erwischt, staatliche Immobilien überteuert an Staatsunternehmen verkauft zu haben, um mit den Erlösen sein Defizit zu verringern. Faktisch wanderte das Geld jedoch nur von der einen in die andere Tasche. Weit schwerer als solche Haushalts-Tricksereien wiegen jedoch andere Fälle - etwa der harte Kampf, den nach seinen eigenen Worten Bundesfinanzminister Hans Eichel im Februar ausfechten musste, um im Wahljahr nicht eine Frühwarnung wegen der steigenden Defizite in Deutschland zu erhalten, im Volksmund Blauer Brief genannt. Professor Rolf Peffekoven:
Die eigentliche Schwächung ist schon im Februar begangen worden, als man den nach allen Kriterien erforderlichen Blauen Brief an Deutschland und auch Frankreich und Portugal nicht geschickt hat, sondern sich auf die Zusage des Bundesfinanzministers Eichel eingelassen hat, dass ein nahezu - ist unklar was das überhaupt heißt – ein nahezu ausgeglichener Haushalt bis 2004 erreicht werden sollte. Das ist eine Demontage des Stabilitätspaktes gewesen. Ich gehe davon aus, dass heute keiner mehr davon ausgeht, dass jemals eines der großen Länder mit Sanktionen belegt wird.
Was auch daran liegt, dass es keinen Automatismus gibt, wenn die Haushaltslücke in einem Land über 3 Prozent steigt. Vielmehr entscheiden die Finanzminister selbst, ob einer der Ihren als Haushaltssünder an den Pranger gestellt wird. Doch dafür muss sich erst einmal eine Mehrheit unter den EU-Staaten finden, kritisiert Rolf Peffekoven:
Das hat man ja jetzt einer politischen Entscheidung überlassen, und da gibt es eine Sperrminorität, die drei großen und ein zwei kleine Länder, und damit wird da nie ein Beschluss zustande kommen, das ist grundsätzlich falsch.
Was überleitet zu den vielen Vorschlägen, wie der Stabilitätspakt geändert werden könnte oder müsste. Am weitesten wagt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund vor. Zwar will auch er in guten Zeiten sparen, aber in schlechten soll der Stabilitätspakt dafür flexibler werden, so DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer:
Die 3 Prozent sind auf Dauer nicht zu halten, Unsere Vorschläge gehen in die Richtung, dass es in bestimmten Zeiten sinnvoll und notwenig ist, und dies auch durch Regeln abgesichert werden muss, weit unter den 3 Prozent zu bleiben. Auf der anderen Seite wird es mit Sicherheit in den nächsten Jahren für einige große Länder unrealistisch sein, an der starren 3-Prozent-Grenze festzuhalten. Sie wird überschritten werden, ob das dem Herrn Solbes passt oder nicht. Von daher muss man diese Regelung im Sinne eines flexiblen aber nicht aufweichenden Umgangs mit neuen Stabilitätskriterien überdenken.
Flexibel aber nicht aufweichend - in diesem Sinne gibt es unzählige Vorschläge, wie der Stabilitätspakt geändert werden könnte. Die meisten zielen darauf ab, die starre 3-Prozent-Grenze aufzubrechen, vor allem in konjunkturellen Schwächephasen. Heinz Putzhammer vom DGB holt die alte Idee wieder hervor, Kredite dann herauszurechnen, wenn mit ihnen Zukunftsinvestitionen finanziert werden, deren Ertrag auch späteren Generationen zugute kommt. Eine andere Idee kommt von der französischen Regierung: Sie hat schon einmal bei den EU-Partnern vorgefühlt, ob zusätzliche Rüstungsausgaben - etwa für einen zweiten Flugzeugträger - nicht beim Defizit außen vor bleiben könnten. All diesen Vorschlägen ist gemein, dass suggeriert wird, man könne zwischen nützlichen und daher guten Schulden auf der einen und schädlichen Schulden auf der anderen Seite unterscheiden, was die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, nicht gelten lässt:
Von solchen -Vorschlägen halte ich überhaupt nichts, denn dann kommen andere Länder, die sagen: Jetzt möchte ich gerne die landwirtschaftlichen Ausgaben herausgerechnet haben. Und jeder hat da so sein Steckenpferd, das er gerne rausgerechnet haben möchte. Ich halte diesen Vorschlag von Frankreich auch im Hinblick auf die Phantasie, die dann in anderen Ländern geweckt wird, für nicht weiter führend. Und ich hoffe auch, dass die Gemeinschaft das ablehnt.
Wieder ein anderer Vorschlag lautet, nicht wie ein Buchhalter auf die nackte Zahl von 3-Prozent zu schauen, sondern zwischen strukturellen und konjunkturellen Defiziten zu unterscheiden. Konjunkturell bedingte Schulden seien zum Beispiel die Kredite, die für Mehrausgaben zur Bekämpfung einer steigenden Arbeitslosigkeit aufgenommen werden. Strukturell sind dabei die Schulden, die etwa anfallen, weil ein Staat über seine Verhältnissen lebt und sich mehr leistet als die Steuereinnahmen hergeben. Diese Schulden will auch die EU-Kommission für die Berechnung des Defizits heranziehen, und nur für diese strukturellen Haushaltsdefizite würde auch die Verpflichtung gelten, sie bis 2006 um einen halben Prozentpunkt pro Jahr zu senken. Die bestechende Idee ist in der Praxis nur schwierig umzusetzen, denn einheitliche Regeln für die Abgrenzung der zwei Defizitarten gibt es nicht. Der Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven:
Wenn man das strukturelle Defizit meint, also das Defizit, das unabhängig vom Konjunkturverlauf besteht, dann ist es sicherlich richtig, das man eine solche Politik einführt. Ich kann nur hoffen, das sich die Länder daran halten, denn es ist im Einzelfall ziemlich umstritten, was denn nun strukturelle und was sind konjunkturell bedingte Defizite. Im Augenblick versucht natürlich jeder, die Defizite voll auf das Konto konjunkturell zu buchen - was falsch ist.
Vielversprechender für eine Reform des Stabilitätspakts ist deshalb auch ein anderer Ansatz. Statt mit drakonischen Sanktionen für den Fall eines überschießenden Haushaltsdefizits zu drohen, soll der Stabilitätspakt künftig stärker auf Anreize setzen, um in konjunkturell günstigen Zeiten die Budgets auszugleichen.
Ich bin der Meinung, man müsste Frühwarnung und Sanktion auch schon machen, wenn jemand in Normalsituation den ausgeglichenen Haushalt nicht hin bekommt. Wäre das der Fall gewesen, dann hätten wir schon im Jahr 2000 eine Frühwarnung und auch möglicherweise eine Sanktion bekommen, dann hätten wir wahrscheinlich die damaligen Defizite abgebaut, um der Sanktion zu entgehen, und dann hätten wir möglicherweise heute nicht die Probleme, die zur Unzeit, nämlich in einer konjunkturell außerordentlich schwachen Zeit anfallen.