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Der flexible Mensch

Waren wir nicht alle ganz hoffnungsvoll, als das aufkam? Natürlich nur, wenn wir noch Arbeit hatten. Die neuen Gebote der dynamischen, aufs Globale gerichteten Betriebsorganisation hörten sich gut an. Das roch alles nach Abenteuer. Besonders der Siegeszug der Teamarbeit. Wirkte das nicht, als hätten die 68er die Revolution durch raffinierte Vermittlung der Managementconsultants doch noch hingekriegt. Schluß mit der Diktatur des einen allmächtigen Chefs, weg mit der Autorität dieser Vaterfigur an der Spitze. Welche wertvollen und nie aufgeschlossenen Ressourcen liegen doch unten brach? Im Sekretariat. In der Sachbearbeitung. in der Pförtnerloge. Alle leisten ihren Beitrag für die erfolgreiche Penetration des Marktes mit dem einen Produkt. "Schön wär’s, wenn sich in der Betriebsorganisation wirklich was getan hätte", sagt Richard Sennett. "In Wirklichkeit ist das mit der Teamarbeit eine Lüge. Und eine Zumutung für alle, die mitmachen müssen."

Brigitte Neumann |
    Warum? "Weil es eine Art erzwungener Schauspielerei ist - eine Maskerade der Kooperation", sagt Sennett. Die Regeln des Spiels heißen: Tue so als ob Arbeitnehmer und Vorgesetzte keine Gegenspieler wären. Als ob die Kollegen untereinander nicht mehr konkurrieren würden, sondern zum Wohle des Produkts zusammenarbeiten. Tue so, als ob alle untereinander offen sind für neue Ideen und sich gegenseitig unterstützen. "In Wirklichkeit ist Teamwork ein Weg Leute unter Kontrolle zu halten", so Sennett. "Meistens ist es so, daß ein Team als Gruppe für ein Projekt verantwortlich ist. Anstatt sich am Vorgesetzten zu orientieren und sich über ihn abzusichern, übt die Gruppe den Druck selbst auf ihre Mitglieder aus. Wenn du das jetzt nicht tust, dann geht’s unserem Team schlecht."

    Die Vietnamesen, die Sennett in Amerika befragt hat, kennen diese Art Arbeitsdisziplin von zu Hause aus ihren kommunistischen Arbeitsteams. Richard Sennett, der bisher eher mit philosophisch-ästhetischen Werken hervortat, über den Verfall des öffentlichen Lebens oder über Körper und Stadt, läßt sich am Ende seiner Karriere noch mal von den Verhältnissen auf Trab bringen. Mit "Der flexible Mensch" hat der Soziologe Sennett eine politische, eine aufrührische Message an seine Leser: "Dieses Buch bedeutet eine gewisse Veränderung für mich. Ich bin alt und bin durch dieses Buch wieder mehr ein Linker geworden. Ich kann mich nicht mehr so gut mit den Verhältnissen abfinden. Und ich glaube, ich werde noch mehr solcher Bücher schreiben."

    Sennetts provokante These in dem Buch "Der flexible Mensch": Nicht die Globalisierung der Märkte ist die große Bedrohung. Es ist die neue Arbeitsorganisation. Massenentlassungen, das Verschwinden der Verantwortung, die Abwälzung des Risikos auf den einzelnen - mit einem Wort, die Flexibilisierung der Arbeit, ist nicht der Weisheit letzter Schluß, ganz im Gegenteil. Absolute Flexibilität bedeutet für den einzelnen, einer unvorhersehbaren Kontrolle durch wechselnde Dritte ausgesetzt zu sein. Bedeutet Zerstückelung der Lebensgeschichte. Sinnentleerung. Und schließlich Destabilisierung. Und damit ist der Mensch nicht mehr arbeitsfähig. "Das ganze Buch gründet auf amerikanischem Material und ist als eine Art Warnung an die Europäer zu verstehen", so Sennett. Ich möchte Ihnen hier sagen: Noch haben Sie die Wahl, ob sie die totale Flexibilisierung der Arbeit haben wollen. Das ist nicht unvermeidlich. Es ist kein Fortschritt. Es ist noch nicht einmal besonders effizient. Uns wurde es präsentiert als absolute Notwendigkeit. Es ist eine Art, schnell Profit zu machen, und kein erstrebenswertes Ziel."

    Der größte Arbeitgeber in den USA ist eine Zeitarbeitsfirma. Mit großem Abstand folgen GM und IBM. "Das Job-Wunder in den USA besteht aus kleinen schlecht bezahlten Jobs, Kurzzeitarbeit ohne Zukunft. Uns darum zu beneiden, ist nicht nötig."

    Nicht daß der amerikansiche Starsoziologe Sennett wieder das unbewegliche aber sichere Großunternehmen propagieren würde. Nicht daß er zum Kampf gegen das internationale Großkapital aufruft. Aber eine vage Idee von einer besseren Arbeitswelt hat er schon: "Eine Idee für die Zukunft wäre, die Wirtschaft regional zu kontrollieren. Natürlich ist die Reaktion bei amerikanischen Firmen bisher immer gewesen: okay, wenn ihr nicht macht, was wir wollen, dann gehen wir eben woanders hin, wo die Leute uns mehr entgegenkommen. Aber das muß nicht länger funktioniern. Irgendwo müssen Sie ihre Firma ja bauen, und schließlich brauchen sie uns als Verbraucher."

    Es gibt viele Bücher über das Ende der Arbeit, die globale Herausforderung oder die Kunst des Scheiterns. Richard Sennetts Beobachtungen der Gefühle unter dem Druck der neuen Ökonomie ist eines der menschenfreundlichsten und klarsten.

    Link: Kritik zu Richard Sennetts "Der flexible Mensch"