Stillgelegte Flugzeug- oder Panzerhallen, aufgegebene Hospize, in Konkurs gegangene Fabriken - das sind die nostalgischen Restposten einer Welt, die ihr eigenes Verschwinden organisiert. Der Charme dieser Ruinen, die allabendlich unter dem Druck der wummernden Bässe erzittern, paraphrasiert die Tatsache, daß der Kapitalismus in den letzten zehn Jahren dramatisch sein Gesicht verändert hat.
Vor zweihundert Jahren begann die Industrialisierung mit dem großmäuligen Versprechen, die Arbeit abzuschaffen. Nun scheint es soweit zu sein: Die Arbeit wird tatsächlich allmählich abgeschafft und zu einem Gut, das von der Ökonomie des Mangels verwaltet wird. Dennoch haben wir deshalb nicht paradiesische Zustände erreicht, ganz im Gegenteil.
Eine Bäckerei in Boston, USA. Die hier arbeitenden Bäcker können kein Brot backen. Das müssen sie auch nicht, denn das Backen wird von computergestützten Maschinen erledigt. Die "Bäcker" müssen lediglich den Vorgang des Backens überwachen - und das tun sie vor Monitoren. Brot ist nichts weiter als ein Bildschirmsymbol, als eine Reihe von bunten Icons, die russisches und italienisches Brot, französisches Bâtard und amerikanische Bagel symbolisieren. Nur wenige "Bäcker" sehen das Brot tatsächlich, das sie herstellen. Hier backen Menschen, die sich nicht als Bäcker fühlen - ein Novum in der Industriekultur. Das Zeichen hat das, was es einst bezeichnet hat, überlebt. Das Verständnis der Arbeit ist oberflächlich, die berufliche Identität driftet. Wenn wir früher direkt produziert haben, so bedienen wir jetzt Automaten, die die Maschinen kontrollieren, die das für uns tun. Der computerisierte Produktionsprozeß entfernt uns noch weiter vom eigentlichen Produkt. "Die Technologie in der Bäckerei ist für diese schwache berufliche Identität relevant, aber nicht ganz so, wie man erwarten könnte", schreibt Richard Sennett Statt abweisend zu wirken, sind die Maschinen in diesem Betrieb allesamt auf ‘Benutzerfreundlichkeit’ angelegt; sie haben klare visuelle Symbole und gut organisierte Fenster, die den Bildschirmen von Heimcomputern ähneln. Ein Vietnamese, der kaum Englisch spricht und den Unterschied zwischen einem Bâtard und einem Bagel nicht wirklich versteht, kann diese Maschinen bedienen. Die Klarheit in der Bedienung der Mixer, Rührmaschinen und Öfen hat wirtschaftliche Motive; sie erlaubt es dem Unternehmen, Arbeitskräfte zu niedrigeren Löhnen als früher einzustellen, als die Arbeiter, nicht die Maschinen, das Handwerk beherrschten."
Was der in New York lehrende Soziologe Richard Sennett hier, am Beispiel von Fallstudien, beschreibt, ist die Fragmentierung der modernen Arbeit, die die zynische Kehrseite der Globalisierung bildet. Während Produktion und Verwaltung zunehmend computerisiert und weltweit vernetzt werden, wird das, was einmal "Lebensführung" genannt wurde, gnadenlos dereguliert. Langfristige Orientierung ist nicht mehr möglich, weil Erfahrung keine Voraussetzung mehr für gute Arbeit ist. Zeit wird darum nicht mehr linear und kumulativ erlebt, als wachsender Erfahrungsschatz, sondern zerissen und alle gesammelten Erfahrungen entwertend. Die New Yorker Barbesitzerin Rose, die einen kurzen Ausflug in die Werbewirtschaft unternahm, besitzt dazu einschlägige Erfahrungen, die von Richard Sennett folgendermaßen zusammengefaßt werden: "Außerdem mußte sie sich in der Werbeagentur einer bitteren Erkenntnis stellen. Menschen mittleren Alters wurden dort wie Alteisen behandelt, Roses Erfahrung galt wenig. Alles im Büro war auf den unmittelbaren Augenblick fixiert, auf das, was hinter der nächsten Kurve liegt; wenn jemand im Imagegeschäft einen Satz mit ‘Nach meiner Erfahrung ...’ beginnt, wandern die Augen der anderen zur Decke."
Dem "vitalen" Kapitalismus steht die kontinuierliche Berufslaufbahn im Weg, die Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten, die langjährige Bindung an einen Betrieb, das soziale Netz. Statt dessen werden Elastizität, mehr Eigenverantwortung, unentwegte Kreativität und Risikobereitschaft für Job-Hopping gefordert. Durchschnittlich elf Stellenwechsel in vierzig Berufsjahren bei dreimaligem Austausch der Kenntnisbasis - so lautet immer öfter das, was einmal den Namen "Karriere" trug. Aber wie dehnfest ist eine individuelle Biographie, bis zu welchem Punkt läßt sie sich äußerstenfalls strapazieren?
Von Tätigkeit zu Tätigkeit und von Ort zu Ort getrieben, zerfällt jedenfalls so - vor dem Horizont der aufgehenden "MacWorld", deren unglaubliche Eintönigkeit im ironischen Widerspruch zur geforderten Beweglichkeit und Kreativität steht - zerfällt so die Biographie des einzelnen in Fragmente und eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von immer wieder erneuerten Neuanfängen. Niemand kann heute sicher sein, morgen noch das zu tun, was er heute tat; auch nicht in den oberen Etagen. Der Strom jener Erzählung, der dem Leben einen inneren Zusammenhang gibt, versiegt; die Fähigkeit des Menschen, seinen Charakter zu einer "durchhaltbaren Erzählung" zu formen, ist bedroht. "The Corrosion of Charakter" lautet denn auch der amerikanische Originaltitel des Essays, in dem Sennett es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Folgen nachzuspüren, die die enormen Umwälzungen des Neoliberalismus für die Identitätsbildung des Menschen haben. Sennett greift das Thema nicht systematisch auf, er verfährt narrativ, erzählt Lebensgeschichten. Rose oder die Typen der Bostoner Bäckerei sind dabei die Figuren, anhand derer die Kultur des neuen Kapitalismus erkundet wird. Daneben treffen wir noch auf Rico, den Sohn eines Hausmeisters, der für den Preis der Entwurzelung den Aufstieg in die Welt des Consulting geschafft hat; wir begegnen einer Gruppe von gefeuerten IBM-Programmierern, und wir lernen den "homo Davosiensis" kennen, jene Spezies, die den "flexiblen Menschen" am reinsten verkörpert und die alljährlich das Weltwirtschaftsforum in Davos massenweise frequentiert.
Kehren wir noch einmal zurück nach Boston in die Bäckerei. Was passiert, wenn die Computer ausfallen? "Die Arbeiter können jedoch nicht ... Brot von Hand backen, wenn die Maschinen - wie so oft - ausfallen. Als programmabhängige Arbeitskräfte besitzen sie kein praktisches Wissen. Also ist ihnen ihre Arbeit nicht mehr in dem Sinn verständlich, daß sie wüßten, was sie eigentlich tun. Die flexiblen Arbeitszeiten in der Bäckerei verstärken noch die Probleme dieser Arbeitsweise. Wenn man mit computerisierten Schüben zu tun hat, die mißglücken, ist es jetzt einfacher, die verdorbenen Brote wegzuwerfen, den Computer neu zu programmieren und von vorn anzufangen. Früher sah ich in der Bäckerei wenig Abfall, nun sind die riesigen Plastikmülltonnen jeden Tag voller geschwärzter Laibe. Die Mülltonnen erscheinen als passendes Symbol für das, was aus der Kunst des Backens geworden ist."
Sennett ist kein Nostalgiker des alten Kapitalismus. Er verherrlicht in seinem Essay nicht die Routine und die "klaustrophobischen Weltbilder" des bis zur Rente absehbaren, traditionellen Lebenslaufs. Er registriert und schildert vielmehr die Erosionen der herrschenden Verhältnisse. Er zeigt, daß die Ablösung der monotonen und bürokratischen Routine "neue Macht- und Kontrollstukturen" ins Leben gerufen hat, die nichts mit gewonnener Freiheit zu tun haben, sondern mit weiterem Verlust von Handlungsfähigkeit. Der flexible Mensch kann noch weniger über sein Leben bestimmen als sein Vorgänger, der den Gesetzen des Fordismus unterworfen war, der Reduzierung auf bloße Handgriffe. Regierte früher der Terror der Routine, ist es heute die Apotheose des Augenblicks, die Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung des Menschen dominieren. Die Funktionsmodi des neuen Kapitalismus - die Macht und die Ausdifferenzierung der regulativen Systeme - zerfressen die soziale Gemeinschaft. Pläne sind nicht mehr zu machen, und Job-Hopping erweist sich lediglich als Überlebensstrategie: Man kommt der Kündigung einfach zuvor.
Und das ist der Punkt, wo der Autor normativ argumentiert, wenn er feststellt, daß eine soziale Ordnung ihre Legitimität einbüßt, wenn sie dem Menschen "keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern". Die Auflösung sämtlicher Bindungskräfte bedeutet die radikale Atomisierung der Gesellschaft und damit ihre Entsolidarisierung und Barbarisierung. Mit dem nautischen Ausdruck "Drift", wie der Essay noch in der Verlagsankündigung betitelt war, versucht Sennett den Zustand zu umschreiben, in dem die zur Flexibilität Gezwungenen sich befinden: in einem Zustand der Ungewißheit und des Dahintreibens. Und so hierarchisch flach, wie die Sprachregelung des Neoliberalismus es gern suggeriert, sind die dezentralen "Netzwerke", zu denen sich der Kapitalismus zusammengeschlossen hat, natürlich nicht. Zwar wird nicht mehr bis ins Kleinste von oben entschieden und nach unten durchgereicht, aber ein Oben und Unten, eine Übermittlung von Befehlen gibt es nach wie vor. Sennett zitiert den Ökonomen Paul Krugman: "Wir erhöhen das Einkommen hochqualifizierter Leute, die Flugzeuge (und andere High-Tech-Produkte) herstellen, und senken die Löhne der Ungelernten."
Dazu paßt, daß in den USA zwischen 1973 und 1995 das Einkommen der Arbeiter um durchschnittlich 18 Prozent zurückging, während die Spitzeneinkommen um 19 Prozent vor und sogar 66 Prozent nach Steuerabzug wuchsen. Die Schere zwischen Arm und Reich, Besitzenden und Besitzlosen öffnet sich immer weiter. Die Ströme der elektronischen Datenverarbeitung produzieren einen eigenen Raum und eine eigene Zeit. Diese stehen zunehmend in scharfer Konkurrenz zu dem Raum-Zeit-Kontinuum, das der Mensch erschaffen hat, um sein Leben in einer Geschichte bündeln und diese sich selbst erzählen zu können. Maschinenzeit - die auch die Normierung der Information nach sich zieht, wie sie die Medien beherrschen - zerreißt, durchlöchert und fragmentiert die Zeit, die allererst Identität stiftet. Der Mensch, einer kontinuierlichen Biographie beraubt, stürzt ins Haltlose, Zufällige, gerät in den Sog des Drifts. Das Leben der Menschen webt sich nicht länger zu Teppich und Text, es beginnt vielmehr dem gepixelten Schatten seiner selbst zu ähneln. Der flexible Mensch, sagen wir es frei heraus, ist ein armes Schwein.
Vor zweihundert Jahren begann die Industrialisierung mit dem großmäuligen Versprechen, die Arbeit abzuschaffen. Nun scheint es soweit zu sein: Die Arbeit wird tatsächlich allmählich abgeschafft und zu einem Gut, das von der Ökonomie des Mangels verwaltet wird. Dennoch haben wir deshalb nicht paradiesische Zustände erreicht, ganz im Gegenteil.
Eine Bäckerei in Boston, USA. Die hier arbeitenden Bäcker können kein Brot backen. Das müssen sie auch nicht, denn das Backen wird von computergestützten Maschinen erledigt. Die "Bäcker" müssen lediglich den Vorgang des Backens überwachen - und das tun sie vor Monitoren. Brot ist nichts weiter als ein Bildschirmsymbol, als eine Reihe von bunten Icons, die russisches und italienisches Brot, französisches Bâtard und amerikanische Bagel symbolisieren. Nur wenige "Bäcker" sehen das Brot tatsächlich, das sie herstellen. Hier backen Menschen, die sich nicht als Bäcker fühlen - ein Novum in der Industriekultur. Das Zeichen hat das, was es einst bezeichnet hat, überlebt. Das Verständnis der Arbeit ist oberflächlich, die berufliche Identität driftet. Wenn wir früher direkt produziert haben, so bedienen wir jetzt Automaten, die die Maschinen kontrollieren, die das für uns tun. Der computerisierte Produktionsprozeß entfernt uns noch weiter vom eigentlichen Produkt. "Die Technologie in der Bäckerei ist für diese schwache berufliche Identität relevant, aber nicht ganz so, wie man erwarten könnte", schreibt Richard Sennett Statt abweisend zu wirken, sind die Maschinen in diesem Betrieb allesamt auf ‘Benutzerfreundlichkeit’ angelegt; sie haben klare visuelle Symbole und gut organisierte Fenster, die den Bildschirmen von Heimcomputern ähneln. Ein Vietnamese, der kaum Englisch spricht und den Unterschied zwischen einem Bâtard und einem Bagel nicht wirklich versteht, kann diese Maschinen bedienen. Die Klarheit in der Bedienung der Mixer, Rührmaschinen und Öfen hat wirtschaftliche Motive; sie erlaubt es dem Unternehmen, Arbeitskräfte zu niedrigeren Löhnen als früher einzustellen, als die Arbeiter, nicht die Maschinen, das Handwerk beherrschten."
Was der in New York lehrende Soziologe Richard Sennett hier, am Beispiel von Fallstudien, beschreibt, ist die Fragmentierung der modernen Arbeit, die die zynische Kehrseite der Globalisierung bildet. Während Produktion und Verwaltung zunehmend computerisiert und weltweit vernetzt werden, wird das, was einmal "Lebensführung" genannt wurde, gnadenlos dereguliert. Langfristige Orientierung ist nicht mehr möglich, weil Erfahrung keine Voraussetzung mehr für gute Arbeit ist. Zeit wird darum nicht mehr linear und kumulativ erlebt, als wachsender Erfahrungsschatz, sondern zerissen und alle gesammelten Erfahrungen entwertend. Die New Yorker Barbesitzerin Rose, die einen kurzen Ausflug in die Werbewirtschaft unternahm, besitzt dazu einschlägige Erfahrungen, die von Richard Sennett folgendermaßen zusammengefaßt werden: "Außerdem mußte sie sich in der Werbeagentur einer bitteren Erkenntnis stellen. Menschen mittleren Alters wurden dort wie Alteisen behandelt, Roses Erfahrung galt wenig. Alles im Büro war auf den unmittelbaren Augenblick fixiert, auf das, was hinter der nächsten Kurve liegt; wenn jemand im Imagegeschäft einen Satz mit ‘Nach meiner Erfahrung ...’ beginnt, wandern die Augen der anderen zur Decke."
Dem "vitalen" Kapitalismus steht die kontinuierliche Berufslaufbahn im Weg, die Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten, die langjährige Bindung an einen Betrieb, das soziale Netz. Statt dessen werden Elastizität, mehr Eigenverantwortung, unentwegte Kreativität und Risikobereitschaft für Job-Hopping gefordert. Durchschnittlich elf Stellenwechsel in vierzig Berufsjahren bei dreimaligem Austausch der Kenntnisbasis - so lautet immer öfter das, was einmal den Namen "Karriere" trug. Aber wie dehnfest ist eine individuelle Biographie, bis zu welchem Punkt läßt sie sich äußerstenfalls strapazieren?
Von Tätigkeit zu Tätigkeit und von Ort zu Ort getrieben, zerfällt jedenfalls so - vor dem Horizont der aufgehenden "MacWorld", deren unglaubliche Eintönigkeit im ironischen Widerspruch zur geforderten Beweglichkeit und Kreativität steht - zerfällt so die Biographie des einzelnen in Fragmente und eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von immer wieder erneuerten Neuanfängen. Niemand kann heute sicher sein, morgen noch das zu tun, was er heute tat; auch nicht in den oberen Etagen. Der Strom jener Erzählung, der dem Leben einen inneren Zusammenhang gibt, versiegt; die Fähigkeit des Menschen, seinen Charakter zu einer "durchhaltbaren Erzählung" zu formen, ist bedroht. "The Corrosion of Charakter" lautet denn auch der amerikanische Originaltitel des Essays, in dem Sennett es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Folgen nachzuspüren, die die enormen Umwälzungen des Neoliberalismus für die Identitätsbildung des Menschen haben. Sennett greift das Thema nicht systematisch auf, er verfährt narrativ, erzählt Lebensgeschichten. Rose oder die Typen der Bostoner Bäckerei sind dabei die Figuren, anhand derer die Kultur des neuen Kapitalismus erkundet wird. Daneben treffen wir noch auf Rico, den Sohn eines Hausmeisters, der für den Preis der Entwurzelung den Aufstieg in die Welt des Consulting geschafft hat; wir begegnen einer Gruppe von gefeuerten IBM-Programmierern, und wir lernen den "homo Davosiensis" kennen, jene Spezies, die den "flexiblen Menschen" am reinsten verkörpert und die alljährlich das Weltwirtschaftsforum in Davos massenweise frequentiert.
Kehren wir noch einmal zurück nach Boston in die Bäckerei. Was passiert, wenn die Computer ausfallen? "Die Arbeiter können jedoch nicht ... Brot von Hand backen, wenn die Maschinen - wie so oft - ausfallen. Als programmabhängige Arbeitskräfte besitzen sie kein praktisches Wissen. Also ist ihnen ihre Arbeit nicht mehr in dem Sinn verständlich, daß sie wüßten, was sie eigentlich tun. Die flexiblen Arbeitszeiten in der Bäckerei verstärken noch die Probleme dieser Arbeitsweise. Wenn man mit computerisierten Schüben zu tun hat, die mißglücken, ist es jetzt einfacher, die verdorbenen Brote wegzuwerfen, den Computer neu zu programmieren und von vorn anzufangen. Früher sah ich in der Bäckerei wenig Abfall, nun sind die riesigen Plastikmülltonnen jeden Tag voller geschwärzter Laibe. Die Mülltonnen erscheinen als passendes Symbol für das, was aus der Kunst des Backens geworden ist."
Sennett ist kein Nostalgiker des alten Kapitalismus. Er verherrlicht in seinem Essay nicht die Routine und die "klaustrophobischen Weltbilder" des bis zur Rente absehbaren, traditionellen Lebenslaufs. Er registriert und schildert vielmehr die Erosionen der herrschenden Verhältnisse. Er zeigt, daß die Ablösung der monotonen und bürokratischen Routine "neue Macht- und Kontrollstukturen" ins Leben gerufen hat, die nichts mit gewonnener Freiheit zu tun haben, sondern mit weiterem Verlust von Handlungsfähigkeit. Der flexible Mensch kann noch weniger über sein Leben bestimmen als sein Vorgänger, der den Gesetzen des Fordismus unterworfen war, der Reduzierung auf bloße Handgriffe. Regierte früher der Terror der Routine, ist es heute die Apotheose des Augenblicks, die Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung des Menschen dominieren. Die Funktionsmodi des neuen Kapitalismus - die Macht und die Ausdifferenzierung der regulativen Systeme - zerfressen die soziale Gemeinschaft. Pläne sind nicht mehr zu machen, und Job-Hopping erweist sich lediglich als Überlebensstrategie: Man kommt der Kündigung einfach zuvor.
Und das ist der Punkt, wo der Autor normativ argumentiert, wenn er feststellt, daß eine soziale Ordnung ihre Legitimität einbüßt, wenn sie dem Menschen "keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern". Die Auflösung sämtlicher Bindungskräfte bedeutet die radikale Atomisierung der Gesellschaft und damit ihre Entsolidarisierung und Barbarisierung. Mit dem nautischen Ausdruck "Drift", wie der Essay noch in der Verlagsankündigung betitelt war, versucht Sennett den Zustand zu umschreiben, in dem die zur Flexibilität Gezwungenen sich befinden: in einem Zustand der Ungewißheit und des Dahintreibens. Und so hierarchisch flach, wie die Sprachregelung des Neoliberalismus es gern suggeriert, sind die dezentralen "Netzwerke", zu denen sich der Kapitalismus zusammengeschlossen hat, natürlich nicht. Zwar wird nicht mehr bis ins Kleinste von oben entschieden und nach unten durchgereicht, aber ein Oben und Unten, eine Übermittlung von Befehlen gibt es nach wie vor. Sennett zitiert den Ökonomen Paul Krugman: "Wir erhöhen das Einkommen hochqualifizierter Leute, die Flugzeuge (und andere High-Tech-Produkte) herstellen, und senken die Löhne der Ungelernten."
Dazu paßt, daß in den USA zwischen 1973 und 1995 das Einkommen der Arbeiter um durchschnittlich 18 Prozent zurückging, während die Spitzeneinkommen um 19 Prozent vor und sogar 66 Prozent nach Steuerabzug wuchsen. Die Schere zwischen Arm und Reich, Besitzenden und Besitzlosen öffnet sich immer weiter. Die Ströme der elektronischen Datenverarbeitung produzieren einen eigenen Raum und eine eigene Zeit. Diese stehen zunehmend in scharfer Konkurrenz zu dem Raum-Zeit-Kontinuum, das der Mensch erschaffen hat, um sein Leben in einer Geschichte bündeln und diese sich selbst erzählen zu können. Maschinenzeit - die auch die Normierung der Information nach sich zieht, wie sie die Medien beherrschen - zerreißt, durchlöchert und fragmentiert die Zeit, die allererst Identität stiftet. Der Mensch, einer kontinuierlichen Biographie beraubt, stürzt ins Haltlose, Zufällige, gerät in den Sog des Drifts. Das Leben der Menschen webt sich nicht länger zu Teppich und Text, es beginnt vielmehr dem gepixelten Schatten seiner selbst zu ähneln. Der flexible Mensch, sagen wir es frei heraus, ist ein armes Schwein.