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"Der Fliegende Holländer" beim Wagner-Festival Wels

Wer in Wels inszeniert, der sollte darauf achten, dass das Publikum bei Wagner eine authentische Version bevorzugt. Kein Regietheater, sondern ein szenisches Reingebot erwarten die Damen und Herren. Doch als sich der Vorhang zum "Fliegenden Holländer" öffnete, dürfte so manchem der Atem gestockt haben.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Das Augen- beziehungsweise Ohrenmerk der globalen Wagner-Gemeinde richtet sich diesen Sommer ganz besonders auf Bayreuth, wo ein neuer "Ring" auf dem Programm steht. Was der Regisseur Tankred Dorst am Weltendrama deutet und verdichtet, wird mit großer Spannung erwartet.

    Mit ungleich geringerer Spannung, zumindest was das Szenische betrifft, erwartete man beim Wagner-Festival in Wels die Neuinszenierung des "Fliegenden Holländer". Das Welser Publikum ist traditionell eher alt-gierig denn neugierig, es möchte einen 'authentischen’ Wagner erleben, ohne die 'Sperenzchen avantgardistischer Möchtegern-Regisseure’. In Wels gilt ein szenisches 'Reinheitsgebot’, das man auch so übersetzen könnte: Nieder mit dem Regietheater!

    Das Welser Stadttheater hat 600 Plätze und befindet sich praktischerweise in einem Hotel – der Weg ins Theater ist also kurz und eigentlich bleibt man sowieso zuhause, denn der Theatersaal besticht durch ein Interieur irgendwo zwischen halbprivatem Kino und Wohnzimmer, mit Teppichen, roten Samtsesseln und gutem Blick auf die nahe Bühne.

    Als sich der große rote Vorhang öffnet, dürfte manchem Regie-Reinheitsfanatiker aber zeitweise der Atem gestockt haben, denn man sieht ein heftig bewegtes Video-Meer.
    Plötzlich naht das blutrote Holländer-Schiff heran, wenig später verwandelt es sich blitzschnell in ein nicht nur virtuell anwesendes Geisterboot mit echten Planken und echten Segeln.

    Abgesehen von den häufigen, meist eher illustrativ eingesetzten Videos, wird die Geschichte des "Fliegenden Holländer" tatsächlich ziemlich genau so erzählt, wie sie in Partitur und Libretto steht. Wenn Wagner will, dass Senta langsam von rechts erscheint, erscheint sie auch langsam – und von rechts.

    Zum Glück hat Herbert Adler durchaus einige wirkungsvolle, unverstaubte Bilder gefunden, nur in der Spinnstube setzt er auf staubige Biederkeit, wie man sie aus alten Bayreuth-Inszenierungen kennt.

    Es bedarf schon einer exemplarischen Senta-Sängerin wie Susan Anthony, um die dort herrschende, volkstümelnde Lethargie aufzubrechen – Jungmädchencharme trifft bei ihr auf sehnsuchtsvolle Ahnungen.

    Am Ende löst sich das Holländer-Schiff wieder in seine Video-Einzelteile auf und Sentas Sprung ins Wasser führt zur Projektion eines sanften Sonnenaufgangs. Versöhnung ist angesagt beziehungsweise angezeigt.
    Soll man das Welser Reinheitsgebot nun als Gegenstück zu Bayreuth verstehen? Dazu die Intendantin Renate Doppler:

    "Gegenfestival ist es sicher keines. Es ist einfach unsere Einstellung – wir wollen es so. Uns gefällt es so. Und ich muss sagen, wir haben in den Jahren eigentlich bemerkt, dass es sich um eine Marktlücke handelt. Weil es eben unheimlich viele Leute gibt, die es eben 'so’ wollen. Sonst wären wir nicht so ausverkauft. "

    Vor und nach der "Holländer"- Premiere wurde heftig über dieses 'so’ diskutiert, ein Mit-Diskutant hielt gleich einen ganzen Vortrag – der Pianist Stefan Mikisch. Mikisch füllt mit seinen Gesprächskonzerten mittlerweile die Konzertsäle landauf landab. Dabei geht es ihm nicht nur um die Erklärung von Motivstrukturen, sondern auch um eine metaphysische Einordnung von Musik und Text. Wer oder was ist für Mikisch dieser Holländer?

    "Ein Karrieretyp – ganz aktuell unsere Zeit – der das Weibliche, Vernünftige, Herzliche, Seelische verachtet, der aufgrund dieser Verachtung in einen karmischen Stillstand der Todlosigkeit gezwungen wird. Und da wieder heraus finden muss. Das ist es. "
    Über die Senta wird diese Schiene laufen, er vollzieht aber letzten Endes die Erlösung an sich selbst, indem er wieder auf die Senta (am Ende des Stücks) verzichten lernt und dadurch schafft er es, die Große Terz zu gewinnen, also ins D-Dur.
    Nicht nur die Große Terz entzückte das Publikum, es goutierte auch die Leistung des Mozarteum-Orchesters unter Ralf Weikert, das allerdings kein wirkliches Fachpersonal für Wagner aufzubieten hatte – und bisweilen doch eher Konfektionsware ablieferte.

    Bleibt die Frage an Intendantin Doppler, unter welchen Bedingungen sie vielleicht doch mal einen Regieberserker à la Peter Konwitschny einladen würde:

    "Ich würd’ ihm sagen: wenn Sie sich dreinreden lassen von uns, dann gerne, aber alleine und unumschränkt herrschen? Sicher nicht! "